Der Papst, Auschwitz und die alte Frage

Die Rede von Papst Benedikt XVI. in Auschwitz Ende Mai führte in dessen Heimat zu gemischten Reaktionen. Im Hintergrund steht die Frage, ob man ein ganzes Volk für schuldig erklären darf.
Papgst Benedikt XVI. an der Todesmauer in Auschwitz: "Instrument des Zerstörens"
Riccardo di Segni

„Mit grosser Klarheit und mutiger Scham“ habe sich der Papst als Glied des deutschen Volkes zu erkennen gegeben, urteilte Kardinal Karl Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Von einer „Absolution für das Volk der Täter“ könne keine Rede sein. – Mehrere deutsche Historiker und andere Kritiker sehen das anders.

Benedikt XVI. hatte am Sonntag in Auschwitz erklärt, er sei als Sohn des deutschen Volkes nach Auschwitz gekommen, und zwar „als Sohn des Volkes, über das eine Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheissung der Grösse, des Wiedererstehens der Ehre der Nation und ihrer Bedeutung, mit der Verheissung des Wohlergehens und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, so dass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte".

Deutsche dürfen keine Opfer sein

Für den Frankfurter Historiker Dietfried Krause-Vilmar ist das „zumindest missverständlich“. Als Begründung verweist Krause auf die breite Zustimmung, die das nationalsozialistische Regime in der Bevölkerung genossen habe. Nach den Forschungsergebnissen von Hans-Ulrich Thamer, Historiker aus Münster, sind die Papstäusserungen eine „so nicht haltbare Interpretation der Geschichte“, weil sich „zahlreiche“ Deutsche an den Massentötungen beteiligt und Deportationen „zumindest geahnt“ hätten.

In Richtung einer – wie auch immer zu begründenden – Kollektivschuld äusserte sich der Grossrabbiner von Rom, Riccardo di Segni. Nach seinem Eindruck habe der Papst so geredet, „als wäre das deutsche Volk selbst Opfer gewesen und hätte nicht zu den Verfolgern gehört“.

Aussöhnung und Solidarität

Ein Kommentator der britischen Zeitung «Daily Telegraph» dagegen bezeichnete den Auschwitz-Besuch des Papstes als „die Krönung im langen Aussöhnungssprozess zwischen seinem Heimatland Deutschland und dessen östlichen Nachbarn“. Auch Karl Lehmann fand in einem Beitrag für die Mainzer Bistumszeitung «Glaube und Leben» würdigende Worte: „Stärker konnte er (der Papst) nicht solidarisch unserer Geschichte beitreten und sich so neben uns stellen.“

Weiterführender Link:
Die Rede des Papstes: „Mahnruf der Menschlichkeit“

Quellen: Kipa/Livenet

Datum: 03.06.2006

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