Weissrussland: Alles ist verboten – alles ist möglich

Bethanienschwester Lilja bei Klientin Olga in Minsk.
Bethanien-Pflegemitarbeiterin Walja bei MS-Patientin Ludmilla.
Strassenaufnahmen von Weissrussland.
Filialleiter Sergej mit Bibel.
Hilfsgüterverteilung im Kinderlager.
Strassenaufnahmen von Weissrussland.
Strassenaufnahmen von Weissrussland.

1991 wurde die Schweiz 700jährig – und Weissrussland schrieb anlässlich seiner Unabhängigkeit das Jahr 0. Das Land ist arm, seine Leute aber aufgeschlossen. Und in Glaubensdingen ist man frei, wenn auch eingeschränkt.

Weissrussland sei ein christliches Volk, geprägt von der orthodoxen Kirche. «Die Menschen sind am Glauben interessiert», sagt Georges Dubi. «Die evangelischen Gemeinden müssen aber genauso arbeiten wie in der Schweiz. Sie wachsen nicht einfach explosionsartig.»

Seit über 30 Jahren, also schon seit Sowjetzeiten, ist «seine» Christliche Ostmission (COM) in dieser Gegend tätig. «Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind wir nun offiziell im Land.» Seine Unabhängigkeit erlangte diese osteuropäische Republik ohne Kampf oder Besetzung eines Parlaments.


Schranken und Vorfahrt

Über zehn Millionen Einwohner zählt dieses Land. Die Christen hier haben einerseits alle Freiheiten und andererseits alle möglichen Einschränkungen. Die Gemeinden werden angehalten, sich registrieren zu lassen. Die Behörde will die Kontrolle haben. Es wird zum Beispiel vorgeschrieben, wie und wo evangelisiert werden darf. «Das ist schwierig für die Christen. Und es bringt Unsicherheit», erklärt Dubi. Auf der anderen Seite gebe es christliche Schulen. «Alles ist verboten, und alles ist möglich. Man muss den Grat finden, auf dem man laufen kann.»

An diesen Religionsgesetzen beteiligt sich im übrigen die Orthodoxe Kirche, die sich über das Wachstum der evangelischen Gemeinden nicht nur freut ... Ihr Einfluss im Land ist nach wie vor gross; rund 60 Prozent der Bevölkerung sind russisch-orthodox. Die Regierung ist aber im Drohen eifriger denn im Ausführen. Christenverfolgung gibt es nicht. Stärker als die Christen werden politisch Andersdenkende kritisiert – denn im Gegensatz zu Letzteren gelten sie nicht als staatsgefährdend.

Ob einer der weissrussischen Eishockey-Cracks Christ ist? «Orthodoxe könnten darunter sein. Ob sie es ihren Glauben auch leben, weiss ich nicht. Es kommt auch darauf an, woher die Spieler kommen. Die Orthodoxe Kirche hat etwa den Einfluss, den früher bei uns die katholische Kirche hatte.»

«Auf die Beine, fertig, los!»

«Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie motiviert die Menschen hier sind», berichtet Georges Dubi. Vielen sei es ein Anliegen, anderen zu helfen; zum Beispiel in Spitälern, Alten- und Kinderheimen. «Dabei verdienen sie nicht viel. Und sie erhalten auch nicht mehr Lohn, wenn sie engagiert arbeiten. Aber trotzdem setzen sie sich sehr stark ein.» Darin sieht Dubi das Potential des Landes.

«Das motiviert auch mich am meisten. Man sieht, dass Hilfe, die nicht nachhaltig ist, nachhaltig wird.» Menschen die in einer hoffnungslosen Situation waren, hätten durch humanitäre Hilfe neuen Halt gefunden und könnten wieder auf eigenen Beinen stehen. Das mache ihm Mut für diese Länder.

Schweizer Mission schafft 30 Arbeitsplätze

Die COM engagiert sich vor Ort mit humanitärer Hilfe und einem grossen Spitex-Programm zur Hauspflege. «Pro Jahr bringen wir 25 Lastwagen mit Hilfsgütern. Der administrative Aufwand ist wegen des Zolls sehr kompliziert. Aber wir können mit der Behörde trotzdem sehr gut zusammenarbeiten. Und die Behörden sind sehr dankbar für unsere Hilfe.»

Das Spitex-Programm wurde übrigens von einer Schweizer Diakonisse aufgebaut: Ruth Thomman, die früher im Salem-Spital arbeitete. «Viele alte und gebrechliche Menschen können in Weissrussland ihr Haus nicht verlassen und haben kaum Geld. Sie würden sonst verkümmern.» Die COM zählt rund 30 einheimische Mitarbeiter. So gesehen, hat das Werk aus Worb neben der humanitären Hilfe auch noch Arbeitsplätze geschaffen. Darüber hinaus habe die COM auch geistliche Ziele. «Wir wollen, dass Leute zu Gott kommen.» Die COM arbeitet mit Kirchen und Sozialämtern zusammen und organisiert grosse Jugendlager.

Autorin: Kathrin Hiltbrunner

Ein Morgen im Missionsbüro in Mogiljow

Wenige Stunden im Verteilzentrum der Christlichen Ostmission (COM) bieten einen ersten Eindruck von der sozialen Lage in Weissrussland. Viele Menschen sind fürs Überleben auf Hilfsgüter angewiesen.

Sergej Volkow leitet dieses Zentrum in der Mogiljow, einer Grossstadt nahe der russischen Grenze. Die Verteilung der Hilfsgüter macht den grössten Teil seiner Arbeit aus. Andere Stichworte sind: Kinderlager, Besuchsdienst, Unterstützung von einheimischen Missionaren, Rechtsberatung.

Die richtigen Priortitäten setzen

Jeden Mittwoch- und Donnerstagmorgen empfängt Sergej Menschen, die Hilfsgüter benötigen. Telefonisch machen sie einen Termin aus, damit sie nicht lange warten müssen. Eine Bestätigung vom Sozialamt oder einen IV-Ausweis müssen sie mitbringen und einen offiziellen Antrag, den sie auch vor Ort abschreiben können. Letzteres ist nötig wegen den staatlichen Kontrollen. Für Sergej ist es wichtig, dass er wirklich bedürftige Menschen unterstützt, nicht solche, die zu faul zum Arbeiten sind. Witwen, Waisen, kinderreiche Familien, Behinderte und Menschen in akuten Notsituationen haben Vorrang. Daneben werden Organisationen unterstützt, staatliche, private und viele christliche Gemeinden. In einem kurzen Gespräch prüft Sergej die Situation und fragt die Bittsteller nach ihren Wünschen, dann füllt er einen Schein aus, mit dem sie bei Lagermitarbeiter Leonid die entsprechenden Hilfsgüter abholen können.

Unterstützung auch für Heime

Eine gepflegte junge Frau betritt das Büro. Sie ist 22jährig. Als sie 9 Jahre alt war, wurde ihren Eltern wurde das Sorgerecht entzogen. Nach schwierigen Jahren in Kinderheimen wohnt sie heute mit ihrer Schwester zusammen. Im Moment ist sie arbeitslos und beim Arbeitsamt gemeldet. Sergej prüft die Papiere und stellt einige Fragen über die Verhältnisse. Er kennt die Schwestern, etwa alle 4 Monate kommen sie vorbei. Das Leben ohne Familie ist grade für eine alleinerziehende Mutter nicht einfach. Er sagt, mit ihrer Vergangenheit sei sie eine grosse Ausnahme, denn sie führe trotz allem ein geregeltes Leben. Mit dem Schein, den Sergej ausstellt, kann die junge Frau bei Leonid Lebensmittel holen. Kleider braucht sie keine.

Der Chef eines staatlichen Kinderheimes im Osten Weissrusslands ist über 100 Kilometer weit gefahren. In seinem Heim sind 17 Kinder von 3 bis 16 Jahren. Sie kommen in dieses Heim, wenn den Eltern das Sorgerecht entzogen wird. Laut Sozialamt sei ihr Leben in ihren verwahrlosten Familien gefährdet gewesen. Häufig ist dort Alkohol im Spiel. Die Kinder bleiben über ein halbes Jahr, bis entschieden wird, ob sie zur Adoption freigegeben werden oder in welches Kinderheim sie kommen. Der Heimleiter bittet um Schulpulte, Kleidung, Schuhe und Lebensmittel. Er ist nicht zum ersten Mal hier und ist gleich mit dem Lastwagen gekommen.

Die Kinder sind die Schwächsten

Eine 35-40jährige Dame in einem grünen Kostüm sitzt mit gehetztem Blick hier. Sie hat drei Kinder, 14, 7 und 3 Jahre alt. Der jüngste Sohn ist allein zu Hause, sein Kindergarten ist wegen einer Krankheit geschlossen. Die Mutter ist geschieden und seit vier Monaten arbeitslos. Beim Arbeitsamt ist sie gemeldet, aber es ist schwierig, eine Stelle zu kriegen. Vom Staat erhält sie pro Monat für alle drei Kinder umgerechnet 40 Franken (25 Euro) Kindergeld. Sergej füllt einen Schein für Kleidung, Mehl und Gewürze aus.

Eine Rentnerin ist für ihre Tochter da, die zehn Kinder hat und seit zwei Jahren Witwe ist. Eines der Mädchen hat grosse gesundheitliche Probleme, mit fünf Jahren hatte sie eine Herzoperation. Die Grossmutter ist das erste Mal hier. Sie erhält von Sergej ein Blatt Papier und schreibt im Wartezimmer den Antrag ab. Dort ist ein Anschlagbrett, auf dem genau erklärt ist, was es braucht, um Hilfe zu erhalten. Nachher erhält sie einen Schein für Kleidung und ein Patenschaftspaket.

Eine Frau bittet um einen Rollstuhl. Sergej erklärt ihr, dass im Moment leider keine Rollstühle mehr eingeführt werden dürfen. Enttäuscht verlässt die Frau das Büro.

14 Jahre lang gesoffen

Beim nächsten Besuch hat man den Eindruck, dass sich alte Freunde treffen. Wladimir hat vor zwei Jahren in Kalinkowitschi ein Rehabilitations-Zentrum für Alkoholiker und drogenabhängige Männer eröffnet, 200 Kilometer südlich von Mogiljow. Er war selber 14 Jahre lang Alkoholiker und ist heute engagierter Christ. Die Therapie-Teilnehmer bleiben in der Regel neun Monate. Neben körperlicher Arbeit auf umliegenden Kolchosen, für die sie Lebensmittel als Lohn erhalten, nehmen sich die Mitarbeiter viel Zeit für Gespräche mit jedem einzelnen. Der Alkohol ist in Weissrussland ein riesiges Problem. Ein ehemaliger Trinker kann diese Menschen am besten ansprechen. Wladimir erhält 20 Säcke Kleider, 50 Kilogramm Mehl, 46 Kilogramm Haferflocken und Gewürze.

Absprachen mit den Sozialamt

Eine Dame vom staatlichen Sozialamt der Stadt erzählt von ihren Problemen: von staatlichen Verordnungen, die einander widersprechen, von fordernden Sozialhilfeempfängern und dass sie zu wenig Hilfsgüter hat, um den wirklich Bedürftigen zu helfen. Sergej bespricht sich oft mit dem Sozialamt, damit sie nicht jemandem doppelt helfen und andere leer ausgehen. Wer zum Beispiel ein Patenschaftspaket möchte, muss eine Bestätigung vom Sozialamt mitbringen. Die Dame kommt etwa einmal pro Monat vorbei. Sergej füllt einen Schein aus für 20 Säcke Kleider, 5 Säcke Schuhe, 50 kg Mehl und Gewürze.

Eine unversiegbare Kraftquelle

Am Mittag meint Sergej: „Leider ist heute kein Obdachloser gekommen, nach dessen Besuch man das Büro zwei Tage lüften muss oder jemand mit psychischen Problemen, das hätte das Bild noch abgerundet.“ Jeden Tag werden er und seine Mitarbeitenden mit Elend konfrontiert. Oft entstehen Gespräche, sie werden um Rat gefragt, können Hilfsempfänger ermutigen oder mit ihnen beten. Dieses Dasein für andere braucht viel Kraft. Sie sind dankbar, dass sie sich selber immer wieder von Gott ermutigen lassen dürfen. Gemeinsam beginnen sie den Tag mit einer kurzen Andacht und Gebet und schliessen darin ihre Helfer aus dem Ausland mit ein.

Homepage Christliche Ostmission (COM): www.ostmission.ch

Datum: 11.05.2005
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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