Was der Glaube an Frauen und Männern in Russland bewirken kann

Hansjörg Baldinger
Bibelstudiengruppe

Aus westlicher Sicht nehmen viele Männer in Russland ihre Bestimmung zuwenig wahr. Wenn sie sich am christlichen Glauben orientieren, kann ihre Identität gestärkt werden und ihr Verantwortungsbewusstsein wachsen, wie an einer Osteuropa-Tagung der Vereinigten Bibelgruppen (VBG) am 22. November in Zürich deutlich wurde.

Männer- und Frauenrollen sind im heutigen Russland im Umbruch. Dabei spiele die Vergangenheit eine wichtige Rolle für die heutige Situation, betonte Hansjörg Baldinger, Leiter des Arbeitsbereichs LINK der VBG. Das Verhältnis der Geschlechter sei in verschiedener Hinsicht belastet. Ein wichtiger Aspekt dabei sei die „Abwesenheit der Männer“.

Die LINK-Mitglieder Esther Burgherr und Hansjörg Baldinger gaben sich betont vorsichtig und betonten, das Thema sei komplex und könne nur aus subjektiver Sicht beleuchtet werden konnte. Die Unterschiede zwischen West- und Osteuropa in diesem Bereich seien nicht völlig gegensätzlich. Unterschiedlich sei vor allem die Deutlichkeit der Probleme. So fehle es in Russland klar an Männern, die bereit seien, Verantwortung in der Familie zu übernehmen und „verlässlich“ zu sein. In Russland heisse es, Männer besetzten oft hohe Funktionen in Politik und Armee, aber das übrige Russland werde von Frauen regiert.

Die Last allein erziehender Mütter

Natürlich gebe es auch in Russland Männer, die Vaterschaft und Verantwortung in der Familie wahrnähmen. Ein auffälliges Phänomen seien aber die vielen berufstätigen und allein erziehenden Frauen. Erst nach der Wende sei der Status der ledigen, kinderlosen Frau überhaupt erst entstanden.

Grund für die mangelnde Verlässlichkeit der Väter und Männer ist oft Alkoholismus. Viele Frauen in Russland müssen deshalb die Familie allein durchbringen. Als Gründe für die Abwesenheit der Männer mögen die vergangenen Kriege mit den vielen Todesopfern unter den Männern gelten und vor allem der stalinistische Terror, dem viele Männer in Lagerhaft (Sibirien) zum Opfer gefallen sind.

Sicher spielt aber die der Frau aufgezwungene Rolle in der Sowjetzeit mit. Damals wurde der Typ der „produktiven“ und gleichzeitig „reproduktiven“ Frau propagiert. Die werktätige Frau sollte gleichzeitig auch Mutter sein. Was im Westen damals als vorbildliche Frauenemanzipation dargestellt wurde, sah in Realität viel weniger ideal aus.

Diese beiden Aspekte spielen eine Rolle für das Verhältnis von Mann und Frau im Sowjetstaat. Die Nachwirkungen sind im heutigen Russland noch allgegenwärtig. Viele Frauen sind heute in leitenden Funktionen in Wirtschaft und Erziehung anzutreffen, tragen aber zu Hause oft allein die Last der Familie.

Im familiären Bereich sind die alten Rollenmuster theoretisch noch deutlich vorhanden, wonach die Frau für Küche und Kinder besorgt ist, der Mann hingegen sich ums Auto und das Handwerkliche kümmert. Es gibt auch heute noch sehr wenige Frauen am Steuer von Privatautos, obwohl es sehr viele Tram- und Trolleybus-Fahrerinnen gibt. Diese traditionelle Rollenverteilung in der Familie ist aber wegen der oben erwähnten Umstände nur selten Realität.

Die Abwesenheit der Männer sei für die russische Gesellschaft, besonders aber für die Familien, schwerwiegend, sagte dazu Hansjörg Baldinger, der in den baltischen Staaten und in Russland den Aufbau von christlichen Studierendenbewegungen unterstützt. Baldinger: „Viele russische Männer übernehmen leider ihre Rolle nicht. ... Sie können aber gute Freunde sein“. Baldinger, legte Wert darauf, dass er damit seine eigene, beschränkte Erfahrung weitergebe.

Männer mit gutem Beispiel begleiten

Aus eigener Erfahrung glaubt Baldinger aber an die Ermutigung solcher Männer, insbesondere durch das persönliche Beispiel und freundschaftliche Beziehungen. Baldinger setzt auf das Zusammenleben und Zusammenarbeiten. Persönliche Freundschaft wirke sich über Jahre hinaus spürbar ermutigend aus.

Männer- und Frauenrollen in christlichen Gemeinden

Einen gegensätzlichen Trend gibt es unter Christen. Dort übernehmen die Männer sowohl in Familie und Gemeinde klar die Führung, während die Frauen auf Dienste unter Frauen und Kindern verwiesen werden. Damit wird die christliche Gemeinde den Frauen auch nicht gerecht. Viele Gaben und Erfahrungen, die sie einzubringen hätten, kommen nicht zum Zuge. Es gibt hier auch groteske Beispiele. In der Zeit, als die Männer im Krieg oder in Lagern waren, seien einzelne Frauen auch im Predigtdienst eingesprungen und hätten sich dabei teilweise als sehr begabt erwiesen, stellte Baldinger fest. Beschlüsse von Räten einzelner Gemeindeverbände verböten heute solchen Frauen aber das Predigen.

In der Studierendenarbeit Führung lernen

Gerade in der Studierendenarbeit müssten in Russland unbedingt mehr Männer für das Evangelium gewonnen werden, stellte Baldinger fest. In der Studierendenarbeit könnten junge Männer und Frauen lernen, Führung zu übernehmen. Allerdings verhielten sich Frauen da manchmal natürlicher, obwohl sie die Prägung christlicher Gemeinden, wonach Frauen weder lehren noch leiten sollen, überwinden müssten. Männer müssten aus ihrer Reserve geholt werden, was manchmal Zeit und Geduld brauche. Aber dann würden sie beginnen, ihre Rolle positiv wahrzunehmen, so der ermutigende Befund des LINK-Leiters, der im Rahmen der International Fellowship of Evangelical Students (IFES) arbeitet.

Datum: 29.11.2003
Autor: Fritz Imhof

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