Berlin - Stadt der Götter, Religionen, Sekten und Kulte

Berliner Dom
Kultteppich
Treffpunkt Breitscheidplatz in Berlin

Bis zum frühen 20. Jahrhundert konnte Berlin als "evangelische Stadt" bezeichnet werden. Repräsentative Kirchbauten, an ihrer Spitze der von Kaiser Wilhelm II. errichtete Berliner Dom, zeugen von der Stellung der Protestanten in der Epoche der Allianz von "Thron und Altar". Heute ist die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg zwar immer noch die grösste christliche Kirche, doch ihr gehören mittlerweile nur noch 790.000 Berliner und damit weniger als ein Viertel der Bevölkerung an. Fast 60 Prozent der 3,394 Millionen Berliner sind keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft zugehörig.

Die meisten Berliner Protestanten sind Lutheraner, daneben haben die Reformierten ihre Eigenständigkeit bewahrt. Sie sind im deutsch-reformierten Kirchenkreis Berlin-Brandenburg und im französisch-reformierten Kirchenkreis Berlin-Brandenburg, der die hugenottische Traditionslinie weiterführt, zusammengeschlossen.

Neben den beiden grossen Kirchen gibt es 24 kleinere christliche Kirchen und Gemeinschaften, die im Ökumenischen-Rat Berlin-Brandenburg zusammenarbeiten. Dazu gehören vor allem die Gruppen der so genannten Freikirchen und die orthodoxen Kirchen verschiedener Nationalität.

Zur Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft der Freikirchen gehören so unterschiedliche Richtungen wie die Baptisten des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, die Mennoniten, die Herrnhuter Brüdergemeine, der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden, die Heilsarmee sowie die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten. Aus der Orthodoxie hat die russisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats in Berlin den Sitz ihres ganz Deutschland umfassenden Bistums. Auch die kleine koptisch-orthodoxe Kirche hat ihren Bischofssitz in Berlin, dazu kommen orthodoxe Gemeinden anderer Nationalitäten.

Berlin multireligiös

Buddhisten am Brandenburger Tor und auf dem Gendarmenmarkt, Sufis und Sikhs am Hakeschen Markt: Berlin ist ein Bazar der Religionen. Bunt und verwirrend wie London, Paris oder New York. Der Ökumenische Kirchentag vom 28. Mai bis 1. Juni wirft auch ein Schlaglicht auf das babylonische Gewimmel an Sprachen und Bekenntnissen in der deutschen Hauptstadt.

Kein Schild, keine Fahne und auch kein Plakat deutet darauf hin, dass sich in einem Hinterhof am Hakeschen Markt Sikhs eingenistet haben. Nur der Duft von Kurkuma und Zimt, der den Hof füllt, deutet auf die Existenz der Inder.

Berliner und Touristen gehen achtlos vorbei. Es ist später Sonntag morgen und vier Dutzend Sikhs haben sich zum Gottesdienst versammelt. Die Männer tragen wuchtige Turbane, unter denen sie ihr meterlanges Haar stapeln. Verborgen unter dem Baldachin ruht das Granth Sahib, die Bibel der Sikhs. Bald verfällt die Gemeinde in einen magisch anmutenden Singsang, der im Raum hängt wie die Schwaden eines schweren Parfums. Am Kopfende der Gläubigen sitzt Amej Zuley. Wie viele der Sikhs hier arbeitet er in einem indischen Restaurant. Und wie viele andere ausländische Gläubige in Berlin lebt er ein religiöses Leben im Verborgenen.

Tempel, Schreine und Moscheen, getarnt in Hinterhöfen und Kellern, versteckt hinter Supermärkten und Grünanlagen. Rund um die Oranienburger-Strasse, dem pochenden Herzen des bekannten Stadtteils Kreuzberg, ist das Mit- und Nebeneinander von Glaubensgemeinschaften besonders dicht.

Neben Graffitis finden sich hebräische, arabische und russische Zeichen. Buchstaben in Sanskrit, Hindi und Singhalesisch. Am U-Bahnhof Kottbusser Tor sitzt die sunnitische Moschee Mevlana Camii wie eine Kröte aus Glas und Stein auf dem Dach vom Supermarkt „Kaiser’s“. Davor haben sich rumänische Bettler und vietnamesische Zigarettenhändler postiert. Wie an jedem Freitag kurz vor Gebetsende. Kaum sind die letzten Pyramiden aus Marlboro-Schachteln aufgeschichtet, beginnt sich eine lange Prozession von bärtigen Männern, verschleierten Frauen und Hodschas mit Turban die Treppen hinunterzuschieben.

Seit Jahren wächst in Berlin die Zahl der Moscheegänger. Immer mehr der 180.000 türkischen und arabischen Einwanderer suchen in den 150 Moscheen und islamischen Betsälen der Stadt ein Stück Heimat in der Fremde. In dieser Gegend wird während des Ökumenischen Kirchentages auch das "Begegnungszentrum Christen und Muslime" und das "Lehrhaus Judentum für Christen" zu finden sein.

Szenenwechsel. Die Hindus haben ihre heiligen Schreine im Stadtteil Neuköln in einem Keller versteckt. Hier kommen alle zusammen, die an die Wanderung der Seelen glauben und an die Zugehörigkeit einer Kaste. Die Berliner Hindus leben abgeschotteter als andere Gruppen. Einmal jährlich aber schleppen fromme Hindus ihren 250 Kilogramm schweren Hauptgott Muruga aus der Neuköllner Unterwelt ans Tageslicht und tragen ihn unter den Augen vieler Schaulustiger durch die Strassen des Viertels.

Stadt der vielen Götter

Dass Religion in Berlin Konjunktur hat, liegt unter anderem an der vielfachen Gebrochenheit der Stadt. Die Wunden, die die Geschichte der Stadt geschlagen hat, haben den Boden fruchtbar gemacht für Sinn- und Existenzfragen. Berliner und Zugewanderte, die seit 1989 einem steten Neuorientierungsprozess unterworfen sind, sind auf der Suche nach Kontinuität und Fixpunkten. In allen Häusern des Glaubens ist diese Tendenz zu spüren.

Die religiös-spirituelle Angebotspalette in der Millionen-Metropole wächst ständig. Wer sich auf die Spur macht, begibt sich in Berlin auf eine Reise durch mehrere Länder und Zeitzonen. In der Moschee der Sufi-Mystiker, die Stunde um Stunde den Namen Allahs wiederholen, fühlt man sich als Besucher auf einen fernen Planeten verirrt. Wenn die koptischen Christen aus Ägypten in ihrer Gemeinde ihre Choräle in der Sprache der Pharaonen anstimmen, fällt der Betrachter wie in eine andere Zeit. Oft erinnert nur der nervös blinkende Fernsehturm daran, dass hier immer noch Berlin ist, die Stadt der vielen Götter.

Datum: 09.05.2003
Quelle: Kipa

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