„Gute Aussichten für das Christentum“

Das englische Original des Buches „Gebet für die Welt“ von Patrick Johnstone
Patrick Johnstone

Das Christentum in Europa zeigt sich derzeit mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Kirchen schrumpfen, christliche Positionen werden aus der Öffentlichkeit verdrängt, Angehörige anderer Religionen – insbesondere des Islam – wandern in grosser Zahl zu. Das Gesicht des Kontinents hat sich binnen weniger Jahrzehnte stark verändert. Global betrachtet ist dieser Trend allerdings keineswegs repräsentativ. Auf anderen Kontinenten besteht aus christlicher Sicht eher Grund zum Jubeln. Das jedenfalls meint der englische Religionsstatistiker und Missionar Patrick Johnstone (London). Seine Einsichten hat er jetzt einem deutschen Publikum präsentiert.

1100-Seiten-Schmöker

Anlass für Johnstones Deutschlandreise war die Neuauflage seines in evangelikalen Kreisen zum Klassiker gewordenen Buchs “Gebet für Welt”. Dieses Handbuch, das der Brite erstmals 1966 herausgegeben hat, bietet Informationen zur religiösen Situation aller Länder der Erde und formuliert, in welchen Bereichen diese Nationen das Gebet am nötigsten haben. Es vereinigt jährlich erhobene Statistiken von Regierungen, den Vereinten Nationen, Kirchenbünden und Missionsgesellschaften – ergänzt durch Daten aus einem weltweit verschickten Fragebogen. Handelte es sich bei der ersten Auflage noch um eine Broschüre vom Gewicht eines Schulheftes, so ist daraus in der sechsten Auflage ein 1100-Seiten-Schmöker geworden. Die Welt ist komplizierter geworden, und es stehen heute aus den verschiedenen Erdteilen viel mehr Informationen zur Verfügung als vor 40 Jahren.

Anteil der Katholiken schrumpt

Im Kampf um die Seelen hat sich das Christentum in den vergangenen Jahrhunderten nur durchschnittlich erfolgreich erwiesen. Seit 1900 stagniert sein Anteil an der Weltbevölkerung bei ziemlich genau einem Drittel. Von den derzeit 6,3 Milliarden Erdenbürgern sind demnach rund 2,1 Milliarden Kirchenmitglieder. Innerhalb der christlichen Gemeinschaft ereignen sich allerdings dramatische Verschiebungen. Die Katholiken müssen sich darauf einstellen, im Konzert der Konfessionen an Kraft zu verlieren. Mit derzeit 1,1 Milliarden Mitgliedern werden sie zwar auf lange Sicht die stärkste Konfession bleiben, doch wachsen sie heute deutlich langsamer als die Weltbevölkerung – und verlieren dabei unter anderem in Lateinamerika massenhaft Mitglieder an protestantische und unabhängige Freikirchen. Lag der Anteil der Katholiken vor 100 Jahren noch bei 17 Prozent der Weltbevölkerung, so dürfte er bis zum Jahr 2035 auf 12 Prozent geschrumpft sein.

Ende der Pioniermission?

Gewaltiges Wachstum erlebt indessen das Christentum in Gemeinden, die von den traditionellen Konfessionen und Kirchenbünden unabhängig sind. In Afrika und Asien boomt der Glaube an Jesus Christus, und seine neuen Anhänger sammeln sich vornehmlich in solchen unabhängigen Gemeinden. In 40 Jahren werden fast 80 Prozent aller Kirchenmitglieder nichtwestlich sein, vor 40 Jahren waren es nur 33 Prozent. Das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Mission. Der Pioniermissionar wird nahezu aussterben und lediglich noch bei unerreichten Indianerstämmen Südamerikas oder entlegenen Bergvölkern Asiens sein klassisches Berufsbild finden. Umgekehrt werden vor allem die agilen Kirchen Ostasiens der Mission neuen Schub verleihen. Singapur hat statistisch mehr als einen Missionar pro evangelischer Gemeinde.

Hinduismus in der Krise

Wie entwickeln sich die Weltreligionen? Der Hinduismus in Indien steckt nach Johnstones Überzeugung in einer tiefen Krise. Das hängt mit dem Aufeinanderprallen des Kastenwesens mit der modernen Demokratie zusammen. 300 Millionen Angehörige der niedrigsten Kasten (Dalits) lassen sich die Diskriminierung nicht mehr gefallen und konvertieren in Scharen zum Buddhismus und zum Christentum. “Die Mehrheit der untersten Kasten wird den Hinduismus verlassen”, kündigt Johnstone an. Das weltweite Wachstum des Islam wird sich nach Überzeugung des Statistikers abschwächen. Bekehrungen gibt es kaum. Vor allem die Geburtenfreudigkeit beschert der Religion des Koran Zuwachs – doch auch in islamischen Gesellschaften geht die Kinderzahl (von hohem Niveau) zurück.

Andererseits sei zu beobachten, dass die fundamentalistische Form des Islam viele Menschen abstösst. In Staaten mit fanatischen Zügen wie dem Iran wendeten sich deshalb überraschend viele dem Christentum zu. “In den letzten 15 Jahren sind mehr Muslime zu Christus gekommen als je zuvor in der Geschichte”, heisst es in “Gebet für die Welt”. Die evangelikale Bewegung erlebe weltweit ein viel stärkeres Wachstum als der Islam – und das nicht aufgrund hoher Geburtenraten, sondern aufgrund von Bekehrungen, also bewusster Entscheidungen für den christlichen Glauben. Einen Zwang, Christ zu werden oder zu bleiben, gibt es nirgendwo auf der Welt. In vielen islamischen Ländern wird umgekehrt die Abkehr vom Koran geächtet oder sogar hart bestraft, wogegen beim Übertritt zum Islam zahllose Vergünstigungen winken.

Mehr Gebete

Religionsstatistiker Johnstone, der in den 60er Jahren als Missionar in südafrikanischen Townships arbeitete und später in die Leitung des internationalen Missionswerkes “Weltweiter Einsatz für Christus” (WEC) berufen wurde, hat die Beobachtung gemacht, dass es seit zehn Jahren eine “enorme Zunahme des Gebetes für die Welt” gibt. Auf allen Kontinenten würden Christen verstärkt für die Ausbreitung der christlichen Botschaft beten. Das sei nicht ohne Folgen geblieben. Als Beispiel nennt Johnstone den Staat Nepal. Bis heute drohen dort jedem, der sich taufen lässt, drei Jahre Gefängnis (dem Taufenden sogar sechs Jahre). Das Gesetz wird aber kaum mehr angewandt. Johnstone geht davon aus, dass heute rund eine halbe Million Christen in dem hinduistischen Königreich leben.

Mehr missionarische Leidenschaft

Solche Erfahrungen sollten auch Gemeinden in Europa ermutigen, verstärkt in das Gebet für die Welt zu investieren. Die im Neuen Testament erwähnten Leiden, die Christen am Ende der Zeit in verstärktem Masse drohen, seien verbunden mit der Verheissung, dass gerade dann allen Völkern der Erde das Evangelium gepredigt werde (Matthäus 24, Vers 14). Johnstone wirbt für mehr missionarische Leidenschaft. Menschen sollten wieder ihr Leben der Ausbreitung der christlichen Botschaft weihen. Das beinhalte auch die Mühe, sich in fremde Kulturen einzufinden und schwierige Sprachen zu lernen:. “Kurzzeitmitarbeiter werden diese Welt nicht missionieren. Am besten ist es, wenn aus Kurzzeit- einmal Langzeitmissionare werden”.

Zahlen können motivieren

Welchen Sinn macht es aber, sich weltweit mühsam Zahlen über die religiöse Situation zusammenzusuchen, anstatt einfach zu missionieren und die Statistik beiseite zu lassen. Der Theologe Thomas Schirrmacher (Bonn), der die Herausgabe der deutschen Ausgabe von “Gebet für die Welt” verantwortet, weiss aus seiner Geschichtskenntnis eine einfache Antwort: “Statistik ist ein Motor der Missionsbewegung.” Schirrmacher erinnert an den Engländer William Carey, der 1792 in einem Buch die religiöse Situation aller Länder und Inseln der Erde darstellte und damit das 19. Jahrhundert als “Missionsjahrhundert” einläutete. Das 1879 erstmals veröffentlichte Werk des Bonner Theologieprofessors Theodor Christlieb mit dem Titel “Der gegenwärtige Stand der evangelischen Heidenmission: Eine Weltüberschau” erlebte mehrere Übersetzungen und begeisterte zahllose Leser für die Mission. Nach Schirrmachers Überzeugung ist es ohne Statistik nicht möglich, die den Christen zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal einzusetzen. Als Negativbeispiel nennt er die aufwendige Herstellung einer Bibelübersetzung für ein Volk, das bei Vollendung der Übersetzung ausgestorben war. Pannen wie diese könnten durch bessere Informationen vermieden werden.

Bald 100.000 chinesische Missionare?

Dass aus der Mission dann wieder missionarische Gemeinden entstehen, zeigt übrigens die Entwicklung in China. Nicht nur, dass das Buch “Gebet für die Welt” derzeit auch für die Christen im bevölkerungsreichsten Land der Erde übersetzt wird. Von den Leitern der Hauskirchen Chinas ist auch bekannt, dass sie sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt haben: Bis zum Jahr 2020 wollen sie – trotz Verfolgung – 100.000 Missionare innerhalb des riesigen Landes aussenden. Diese Zahl beeindruckt um so mehr, als laut Johnstones Statistik bis heute auf der ganzen Welt nur etwas mehr als 200.000 hauptberufliche Missionare aus dem protestantischen Spektrum im Einsatz sind.

INTERVIEW
Marcus Mockler

„Kaputte Familien behindern Missionsbereitschaft“

Seit Jahrzehnten führt der Missionar Patrick Johnstone Statistik über die Entwicklung der Religionen weltweit. Marcus Mockler hat mit ihm am Rande seines Deutschlandbesuches in Holzgerlingen bei Böblingen gesprochen.

Marcus Mockler: Herr Johnstone, was macht heute noch Mut zur Mission?
Patrick Johnstone: Zuallererst, dass der biblische Auftrag zur Mission noch nicht zu Ende gebracht ist. Bevor Jesus Christus wiederkommt, soll allen Völkern das Evangelium gepredigt werden (Matthäus 24). Da wir heute ziemlich genaue Zahlen haben, welche Regionen vom Evangelium noch unerreicht sind, wissen wir auch, was zur Evangelisierung der Welt notwendig ist. Und es sieht so aus, als ob das mit vereinten Kräften in wenigen Jahren zu schaffen sein könnte. Das finde ich ermutigend.

Das 1.100-Seiten-Buch “Gebet für die Welt” wirkt wegen seines Umfangs und der vielen darin beschriebenen Nöte etwas erdrückend. Was lässt sich mit dem Werk anfangen?
Christen benutzen es auf die unterschiedlichste Weise. Es enthält einen Kalender, nach dem man täglich gezielt für einzelne Nationen beten kann. Natürlich ist es eine Überforderung, jeden Tag für alle Nöte der ganzen Welt zu beten – das schafft keiner. Gerade deshalb kann sich ja jeder die Informationen herausgreifen, die er benötigt.

Wozu dient das Buch noch?
Missionswerke und -bünde nutzen es als Datenquelle, um ihre Strategien zu verbessern. Sie finden Antworten auf die Frage, wo und auf welchem Gebiet die Herausforderungen am grössten sind. Andere Christen legen das Buch neben ihr Fernsehgerät. Wenn sie Nachrichten aus einem Land sehen, blättern sie nach, wie die geistliche Situation dort ist – und sie beten dafür. Kirchengemeinden entnehmen aus “Gebet für die Welt” Daten und Gebetsanliegen für ihren Gemeindebrief. Dadurch werden Gemeindemitglieder ermutigt, konkreter für einen entsandten Missionar zu beten.

Warum werden Europas Christen im Aussenden von Missionaren immer schwächer?
Wir beobachten, dass der Anteil junger Menschen, die aus intakten Familienverhältnissen kommen, ständig sinkt. Viele junge Christen müssen selbst erst einmal Heilung erfahren. Ihr ungefestigter Hintergrund hält viele davon ab, in die Mission zu gehen. Asiatische Staaten wie Singapur oder Südkorea bieten in sozialer Hinsicht einen viel stabileren Hintergrund – und von dort kommt eine rasch wachsende Zahl von Missionaren. Der Westen bezahlt jetzt die Strafe dafür, dass er Gott den Rücken gekehrt und eine Gesellschaft gebaut hat, in der alles erlaubt ist. Meine Hoffnung ist, dass es – wie schon mehrfach in der britischen Geschichte – in der Situation sozialer Verelendung zu einer neuen geistlichen Erweckung kommt, durch die auch die Gesellschaft gesundet. Wenn das geschieht, werden wir wieder mehr Missionare aussenden.

Datum: 14.02.2003
Autor: Marcus Mockler
Quelle: idea Deutschland

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