Sind die Taliban Nachfahren eines jüdischen Stammes?
Paschtunische Stammesälteste (Bild: Wikipedia)
Der Blick der Weltöffentlichkeit richtet
sich wieder in Richtung Afghanistan – und damit gewinnt eine alte Frage neu an Bedeutung: Stammen die Taliban von einem alten, jüdischen Stamm ab? Die
Hinweise sind da, wie die «Jerusalem Post» berichtet.
Der 20. Jahrestag der Anschläge vom
11. September sowie der Fall Kabuls in die Hände der Taliban sorgen dafür,
dass die Welt erneut nach Afghanistan schaut.
Michael Freund, Gründer von «Shavei» und regelmässiger
Autor der «Jerusalem Post», schreibt in diesem Blatt: «Afghanistan ist seit
langem die Heimat eines der faszinierendsten ungelösten Rätsel der jüdischen
Geschichte: das Schicksal einiger der zehn verlorenen Stämme Israels.»
In den letzten zwei Jahrzehnten
wurde in der israelischen Presse regelmässig die Frage aufgeworfen, ob die
paschtunischen Stämme, aus denen sich die meisten Taliban zusammensetzen, «in
Wirklichkeit unsere lange verschollenen Verwandten sind, Nachkommen der
Israeliten, die vor mehr als 2700 Jahren vom assyrischen Reich ins Exil
vertrieben wurden». Ähnlich des Stammes Manasse, der aus zwei indischen Bundesstaaten nach Israel zurückkehrt.
Paschtunen nannten sich «Bani
Israel»
Die Zahl der Paschtunen wird auf
mehrere zehn Millionen geschätzt, die mehrheitlich in Pakistan, Afghanistan und
Indien in mehreren Hundert Stämmen und Clans leben. Michael Freund in der Jerusalem
Post: «Vor dem Aufkommen des islamischen Fundamentalismus in der Region
bezeichneten sich viele Paschtunen als 'Bani Israel' ('Söhne Israels'), eine
mündliche Tradition, die von ihren Vorfahren über Generationen weitergegeben
wurde.»
Verschiedene islamische Reisende und
Historiker würden dies bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen – und dies zu
einem Zeitpunkt, wo eine solche Behauptung einer alten israelitischen Identität
in Zentralasien kaum einen Vorteil brachte.
Antike Namen untermauern Theorie
Im 19. Jahrhundert rechneten
einige westliche Forscher, die die Region besuchten, die Paschtunen den Nachfahren
der Israeliten zu. So schrieb beispielsweise Henry W.
Bellew, der in der britischen Kolonialarmee in Indien diente, in seinem Werk «The
Lost Tribes» aus dem Jahr 1861 über die Paschtunen: «Die Nomenklatur ihrer
Stämme und Bezirke, sowohl in der alten Geografie als auch in der Gegenwart,
bestätigt diese Tradition. Schliesslich ist die Route der Israeliten von Medien
(Anm.d.Red.: ein alter Teil Persiens) nach Afghanistan und Indien durch eine
Reihe von Zwischenstationen gekennzeichnet, die die Namen mehrerer Stämme
tragen und die Etappen ihrer langen und beschwerlichen Reise deutlich anzeigen.»
Rund hundert Jahre später widmete
der verstorbene Präsident Israels, Yitzchak Ben-Zvi, in seiner 1957
erschienenen Studie über weit verstreute jüdische Gemeinden «The Exiled and the
Redeemed» ein ganzes Kapitel den afghanischen Stämmen und den Traditionen ihrer
Herkunft.
Auf der Grundlage wissenschaftlicher
Untersuchungen sowie von Interviews, die er mit zahlreichen afghanischen Juden
führte, die in den 1950er Jahren Alija machten, schrieb Ben-Zvi: «Die
afghanischen Stämme, unter denen die Juden seit Generationen leben, sind Muslime, die bis heute ihre erstaunliche Tradition über ihre Abstammung von den
zehn Stämmen beibehalten haben.»
DNA-Hinweise stellen sich hinter
Theorie
Heutige Forschungen erhärten das
Gesamtbild: so etwa durch Navraz Aafreedi, ein indischer Akademiker in
Kalkutta, der selbst einen paschtunischen Hintergrund hat, oder durch Eyal
Be'eri, der führende israelische Gelehrte über die Paschtunen, der eine Reihe ihrer
Bräuche und Traditionen aufgezeichnet hat, die mit denen der Juden identisch sind. Michael Freund listet auf: «Dazu gehören Praktiken wie die Beschneidung am
achten Tag nach der Geburt, der Verzicht auf das Vermischen von Fleisch und
Milch, das Anzünden von Kerzen am Vorabend des Sabbats und sogar die
Leviratsehe.»
Andere Wissenschaftler haben
Ähnlichkeiten zwischen dem alten Stammeskodex der Paschtunen, dem Paschtunwali,
und jüdischen Traditionen festgestellt.
Und laut der Zeitschrift «Mitochondrial
DNA» gibt es eine genetische Verbindung zwischen jüdischen Stämmen und dem
paschtunischen Drei-Millionen-Stamm der Khattak.
«Überzeugende Beweise»
Michael Freund verweisst in der
«Jerusalem Post» unter anderem auf die Anthropologin Shalva Weil von der
Hebräischen Universität. Laut ihr gibt es in Bezug auf die Verbindung der
Paschtunen mit den verlorenen Stämmen Israels mehr überzeugende Beweise als für
jeden anderen.
Gleichzeitig ordnet Michael Freund
ein: «Selbst wenn die Paschtunen biologisch und historisch mit dem Volk Israel
verbunden sind, heisst das noch lange nicht, dass sie morgen zum Judentum
konvertieren und im Land Israel leben werden.»
Allerdings, so Freund weiter, könnte «allein die
Möglichkeit einer gemeinsamen historischen Identität als Grundlage für
Gespräche zwischen Juden und Paschtunen dienen, die zu einem Abbau von
Feindseligkeit und Misstrauen führen und vielleicht den Grundstein für eine
stärkere Beziehung in der Zukunft legen könnten.»