Als die Republik Indien
1949 vom Britischen Empire unabhängig wurde, sprach ihre Verfassung die Hoffnung
aus, dass dieser Staat seinen Bürgern ein gemeinsames Zivilgesetzbuch schaffen würde.
Es sollte die verschiedenen, religiös begründeten Rechtssysteme von Hindus,
Muslimen, Christen, Juden und zarathustrischen Parsen aufeinander abstimmen
und harmonisieren.
Es hat aber über 70
Jahre gedauert, bis jetzt der Oberste Gerichtshof in Delhi die Regierung unter
Druck setzt, endlich einheitliches Recht für die inzwischen fast 1,4 Milliarden
Inderinnen und Inder in Kraft zu setzen.
Dieser Schritt, den gerade
die indische Christenheit seit Jahrzehnten gefordert hat, kommt aber jetzt in einer
nicht ungefährlichen Konstellation. Solange sich Indien als moderner, säkularer
und multireligiöser Staat verstand, konnte ein auf alle seine Bewohner anwendbares
Recht nur auf den international anerkannten Standards der Menschenrechte und
hier wiederum auf Gleichberechtigung der Frauen beruhen. Ein erster Schritt in
diese Richtung wurde 1955 mit Anleihen aus dem Internationalen Eherecht
gemacht. Heute ist aber in Delhi die hinduistische Bharatiya Janata Party (BJP) an der Macht.
Scheiterhaufen von Witwen
rauchen insgeheim bis heute
Bei ihrem Premier Narendra
Modi handelt es sich um einen Fanatiker. Er will ein allindisches Zivilgesetzbuch
mit den hinduistischen Satzungen als hauptsächliche Rechtsquelle durchsetzen.
Ihre schlimmste Bestimmung, das Verbrennen von Witwen bei lebendigem Leib am
Scheiterhaufen mit dem Körper des Ehemannes, haben die Engländer im 19. Jahrhundert
abgeschafft. Was nicht heisst, dass diese grauenvolle Zeremonie im Geheimen bis
heute weiter vollzogen wird. Ebenso wie das «Gesetz Manus» und die «Satzungen
Vishnus» das Denken und Handeln vieler Hindus bestimmen.
Frauenverächter von Manu bis Nietzsche
Bei «Manu» handelt es
sich nach hinduistischem Glauben um den Stammvater der Menschheit. Diesem «Adam»
der Hindus – auch sein Name bedeutet auf Sanskrit «Mensch» – wird ein viel
später entstandenes Gesetzbuch zugeschrieben, das «Manusmriti». Das Schlimme an
ihm sind nicht nur seine brutalen Satzungen, sondern vor allem der unmenschliche, insbesondere frauenverachtende Ungeist, der es durchweht. Kein Wunder, dass es
nach seiner Entdeckung und Übersetzung im Westen beim Visionär eines supermaskulinen «Übermenschen», Friedrich Nietzsche, Bewunderung fand.
Wörtlich steht im
Gesetz Manus über die gesellschaftliche Rolle der Frauen geschrieben: «Als
junges Mädchen gehört die Frau ihrem Vater, als Verheiratete ihrem Ehemann
und als Witwe ihren Söhnen und Verwandten, denn die Frau darf niemals unabhängig
sein.» Ihre wichtigste Aufgabe sei, Söhne zu gebären. Darin liege ihre
Existenzberechtigung und ihre soziale Anerkennung gegründet. Schon jetzt ist in
Indien Abtreibung auch staatlich legal, so weit es sich um ungeborene Mädchen
handelt. Das wird nach dem Fruchtwasser festgestellt. Die Tötung von Knaben im
Mutterleib wird hingegen als Mord bestraft.
Nach den Vorstellungen
der Hindus kann eine Frau erst zur Erlösung gelangen, wenn sie als Mann
wiedergeboren wird. Ein Mann dagegen kann nie so tief fallen, dass er als Frau
wiedergeboren würde, eher noch als abscheuliches Tier, eine Bestie. Gemäss
dem Manusmriti ist die Frau ein von Natur zum Bösen geneigtes Wesen, haltlos
und sinnlich, mit Liebe zum Bett, zu Schmuck, unreinen Begierden, Lüge und Zorn,
mit schlechtem Benehmen. Die Ideologie der Hindu-Nationalisten, «Hindutya», hebt
diese Vorurteile gerade jetzt wieder stark heraus.
Mit Jesus zur Menschenwürde
Demgegenüber
stellen christliche Freikirchen und besonders die Pfingstgemeinden befreiende
Kräfte dar. Der US-Baptistentheologe Roger Hedlund, der drei Jahrzehnte seines
Lebens in Indien verbracht hat, gib gerade jetzt die Hoffnung nicht auf: «Mit
Jesus können die vom Hinduismus diskriminierten Menschen, besonders Kastenlose
und Frauen, ihre Würde, ihr Selbstverständnis und ihre Selbstachtung als
menschliche Wesen zurückgewinnen.» Was immer Ministerpräsident Modi und seine
Anhänger noch als neue Rechtsordnung dekretieren mögen…