Nach dem Einmarsch der Türken in Syrien im vergangenen Jahr, das den Christen in
Idlib Unheil brachte, überlässt die Türkei die Region jetzt extremen
Islamisten. Die bedrängten Christen reagieren mit Mut und Klugheit auf die neue
Situation.
Gebiete in Idlib wurden an HTS übergeben.
Im Nordwesten Syriens haben Russland und die Türkei
Baschar al-Assad bei der Wiedergewinnung fast aller Gebiete, die er im
Bürgerkrieg verlorenen hat, unterstützt. Die Ölberge und Weingärten von Idlib
am Orontes blieben von einer Rückeroberung durch das syrische Regime bislang ausgespart.
Dort ist die christliche Bevölkerung zum Freiwild für wilde Haufen von
Islamisten geworden. Seit Muslimrebellen
aus allen Richtungen Syriens in die jetzige «Schutzzone» einströmen, hat sich die Lage dieser
Presbyterianer, Orthodoxen und Katholiken weiter verschlechtert. Livenet berichtete
letzten September davon (zum Artikel).
Neue Schreckensherrschaft
Nun ist aber Mitte Januar ein weiterer Rückschlag
erfolgt: Das aus einem Ableger der globalen Terrororganisation Al-Kaida
hervorgegangene «Syrische Befreiungskomitee» (HTS) hat alle anderen
Milizen ausgeschaltet und ist nun alleiniger Herr in dem Territorium der
Grösse des Kantons Glarus. Auf seinen Anführer, Abu Mohammed al-Golani, hatten
die Amerikaner ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar ausgesetzt. Nach dem von
Trump beschlossenen US-Rückzug aus Syrien wird das aber kaum mehr zu verdienen
sein.
Golani schaltet und waltet jetzt unbeschränkt in
Idlib. Er hat Vorschriften für dessen Christen dekretiert, die sich kaum von
der vierjährigen Schreckensherrschaft des IS zwischen Euphrat und Tigris
unterscheiden. Nachdem Evangelische, melkitische Griechisch-Katholische und
Orthodoxe das Weihnachtsfest noch trotz aller schon bestehenden Schikanen
begehen konnten, darf jetzt nichts «Sichtbares» mehr vom Christentum
künden. Jedes christliche Gebet an der Öffentlichkeit wurde untersagt. Ein aus
der Hölle von Idlib mit seiner Mutter entronnener, melkitischer Christ
berichtet: Es darf keine einzige Glocke mehr zum Gottesdienst rufen. Im
strömenden Winterregen mussten alle Kreuze von den Kirchen entfernt werden.
Diese dürfen nicht mehr als solche erkennbar sein.
Steuerterror
Umso leichter auszukundschaften, und zwar durch ein
neben die Haustür gemaltes Kreuz, müssen dagegen die Häuser der Christen sein.
Das soll Golanis Steuereintreibern die Arbeit erleichtern, wenn sie von den «Ungläubigen» eine willkürlich bemessene Kopfsteuer eintreiben. Wer
nicht zahlen kann, dem werden nicht nur der Hausrat, sondern oft auch
heiratsfähige Töchter zum Verkauf an die meistbietenden Milizionäre oder an
al-Golanis eigenen Harem verschleppt.
Mut und Klugheit
Die Presbyterianer im Städtchen Mehardeh beweisen
angesichts dieser neuen Welle der Unterdrückung «Mut und Klugheit»,
wie sich Bürgermeister Simon Josef Churi ausdrückt. Sie feiern ihre
Gottesdienste nur mehr am helllichten Tag zur Mittagszeit und haben einen
Wachdienst eingerichtet: An den Kirchentüren stehen christliche Jugendliche und
stellen sicher, dass nur Gemeindemitglieder Zutritt erhalten. Sobald der
Gottesdienst begonnen hat, werden die Kirchentüren verschlossen.
Zum ersten Mal Christen genannt
Leid und Gefahren haben jedoch den Zusammenhalt und
das Glaubensbekenntnis der Christen von Idlib bestärkt. «Wir sitzen hier
in der Falle», sagt der Lehrer Dimitri (Name geändert): «Wir und die
Welt sollten aber nicht vergessen, dass genau hier beim alten Antiochia Jesu
Anhänger zum ersten Mal Christen genannt wurden. Dieses Namens wollen wir uns
gerade in diesem apokalyptischen Schrecken würdig erweisen.»