Kein Sitz für eine Million irakische Christen

Iraks Premierminister Ayad Allawi bei der Stimmabgabe.

Vor den irakischen Wahlen vom 30. Januar hatten so gut wie alle kirchlichen Führungspersönlichkeiten der irakischen Christen zu massiver Beteiligung aufgerufen. Doch heute steht fest, dass die irakischen Christen bei den Wahlen zwischen alle Stühle gefallen sind.

Tatsächlich war die Stimmabgabe, zumindest in den Christenvierteln der Hauptstadt Bagdad, dann auch beachtlich hoch, allen Terrordrohungen aus dem Untergrund zum Trotz.

Acht Christenparteien, kein Sitz

Es ist aber nun keiner der acht Christenparteien gelungen, in die neue Volksvertretung am Tigris einzuziehen. Ebenso wenig hat es einer der christlichen Kandidaten auf weltlichen, interreligiösen Listen geschafft, auch nur einen der 275 Sitze zu erringen. Dazu kommt, dass die großen Sieger dieser Wahlen religiöse und nationale Parteien wurden, die den Christen alles andere als wohlgesinnt sind. Das gilt sowohl für das breite Wahlbündnis der islamischen Schiiten unter der geistlichen Führung von Ayatollah Sistani wie für die Kurden.

Ein Volk mit der Sprache von Jesus

Bei Iraks Christen ihnen handelt es sich auch um ein Volk, um Ostsyrer mit eigener Kultur und Sprache, die auf die aramäische Muttersprache Jesu Christi zurückgeht. National nennen sich heute alle irakischen Christen in Anlehnung an ihre Vorfahren im Altertum Assyrer, konfessionell ist das nur die Bezeichnung für jene von ihnen, die orthodox geblieben sind. Diejenigen, die später katholisch wurden, heißen Chaldäer.

Christen hofften auf 8 bis 10 Sitze

Führende Christenpartei, in der sich überkonfessionell Orthodoxe, Katholiken und die seit einigen Jahren aufblühenden Charismatisch-Evangelikalen zusammengeschlossen haben, ist die Christdemokratische Assyrische Bewegung. Diese gemeinsame Partei aller Christen hatte sich acht bis zehn Sitze ausgerechnet. Das hätte der Tatsache entsprochen, dass immerhin noch eine knappe Million der 24 Millionen Irakerinnen und Iraker christlichen Glaubens sind. Vor den drei Golfkriegen und dem nicht minder verheerenden Wirtschaftsboykott gegen den Irak von Saddam waren das Ende der siebziger Jahre mindestens noch doppelt soviel.

Lokale geschlossen, keine Stimmzettel oder Urnen

Hoffnungsgebiet der assyrischen Christdemokraten für Grundmandate waren die nordirakische Stadt Mossul und ihre weitere Umgebung unter kurdischer Kontrolle. Von 330 Wahllokalen konnte aber nur in 15 gewählt werden, die restlichen blieben geschlossen, hatten keine Wahlurnen oder keine Stimmzettel. Nachdem so die christlichen Grundmandate verloren gingen, konnten auch die Reststimmen aus ihrer regen Wahlbeteiligung in Bagdad oder auch im südlichen Basra nicht mehr ins Gewicht fallen.

Heinz Gstrein, langjähriger Korrespondent im Nahen Osten und dem Irak, heute wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut G2W – Glaube in der 2. Welt, Zürich.

Datum: 11.02.2005
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet.ch

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