Wie Arafat sich zum "Staatsmann" mauserte

Arafat
Jassir Arafat

Jassir Arafat war Schöpfer und Symbol des palästinensischen Nationalbewusstseins. Das Konzert der Nachrufe kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er in Verhandlungen mit Israel Gewalt und Terror dem schmerzhaften Friedens-Kompromiss vorzog. So versagte Mr. Palestine seinen leidenden Landsleuten die Erfüllung ihrer nationalen Sehnsüchte, die er schürte, international erfolgreich propagierte und für seine Machtspiele benutzte. Ein schlagendes Beispiel: die Charta der PLO.

Wenige Wochen vor Arafats Tod fahren wir durch die Strassen von Bethlehem. Unser Taxifahrer entpuppt sich als Propagandaminister in eigener und palästinensischer Sache. Er vergisst nicht, über die israelische Mauer zu schimpfen, und er wählt seine Route so, dass sie an möglichst vielen zerstörten Häusern vorbeiführt.

Aber nicht nur die Israeli kommen beim Fahrer – wir wollen ihn Ibrahim nennen – schlecht weg. Er kritisiert auch die eigene Führung massiv. Allen voran Jassir Arafat. Er kassiere viel Geld; die korrupte Führungsspitze sacke unglaublich viel ein. «Um uns, um das palästinensische Volk kümmern sie sich nicht», schildert Ibrahim. Und er ist nicht der einzige, der mit dem milliardenschweren Arafat nicht zufrieden ist.

Nach seinem Tod werden nun Worte wie «Vom Terroristen zum Friedensengel» (RTL) in den Mund genommen. Und keiner vergisst zu erwähnen, dass der «schillernde und charismatische Führer» der Palästinenser den Friedensnobelpreis gewann. Seltener sind dagegen die kritischen Untertöne. Niemand scheint das Bild des «Freiheitskämpfers» zerstören zu wollen. Erst recht nicht durch die Realität. Beispiel: Die Charta der PLO, die Arafat gründete und führte.

Der erste Verkauf

Arafat verkaufte die Welt damit mehrfach für dumm. Bei den Friedensverhandlungen in Oslo verpflichtete er sich zur Streichung sämtlicher Passagen, die die Vernichtung Israels verlangen.

Von Anfang an bekam Israel Arafatsche Versprechungen zu hören, dass die Charta geändert werde. 1994 erhielt Arafat die Hoheit über Gaza und Jericho. Bis Ende 1995 übertrug Israel Arafat zudem die volle Hoheit über sieben Ortschaften in Judäa und Samaria. Hinzu kamen Zivil- und Polizeihoheit über rund 400 Dörfer. Im Gegenzug blieb die Charta aber unverändert.

Das zweite Versprechen

Nun wurde selbst der israelische Premier Yitzhak Rabin müde, ständig leere Versprechungen zu hören. Der israelische Staatschef stellte ein Ultimatum: Arafat habe seine Verpflichtungen zu erfüllen, sonst würden die Verhandlungen abgebrochen. Arafat versprach. Aber die Charta blieb erneut unverändert. Zwei Jahre nach Oslo.

Der Teppich wird zum dritten Mal verkauft

Im November 1995 wurde Rabin ermordet. Der Übergangsregierungschef Shimon Peres erneuerte das Ultimatum. «Wenn sie bis zum März 1996 nicht geändert ist, kommt der Zug des Friedensprozesses zum Stehen.» Arafat versprach. Und hielt nicht.

Unter riesigem Tamtam tagte dann am 24. April 1996 der Nationalrat der Palästinenser (PNC), um über Änderungen der Charta zu diskutieren. Eine Änderung brauchte eine Zweidrittelmehrheit der 669 Mitglieder. Nach kurzer Debatte entschloss eine Mehrheit von 504 Stimmen, die Passagen zu ändern, die die Zerstörung Israels forderten.

Flugs gingen die Schlagzeilen um die Welt, dass die PLO nun ihre Charta änderte. In der «Jerusalem Post» sprach Shimon Peres vom «bedeutendsten Entwicklungsschritt unserer Region seit 100 Jahren.» Also offenbar wichtiger als die Gründung des jüdischen Staates im Jahr 1948 ...

Vor der Abstimmung hatten alle nicht arabischen Presseleute den Saal zu verlassen müssen, berichtet der Nahostkenner Ramon Bennett in seinem Buch «Die Wand». Arafat habe dann festgehalten: «Die Abstimmung entscheidet darüber, die ganze Angelegenheit an ein neugegründetes ‚Gesetzgebungskomitee’ des PNC zu delegieren, und zwar mit der Empfehlung, die Änderungen in einer PNC-Sitzung zu verabschieden, die zu einem noch nicht festgesetzten Termin stattfinden soll.»

Daraufhin informierte Arafat die Presse, der PNC habe seine Charta geändert. Während die palästinensischen Medien tags darauf berichteten, die Änderungen seien vertagt worden, erhielt Peres einen Brief von Arafat, wo dieser berichtet, dass «die Charta hiermit geändert ist.»

In der arabischen Urfassung steht dagegen: «Es wurde beschlossen, die Charta abzuändern.» In dieser Fassung ging der Brief nach Washington. Peres feierte den Arafat-Schwindel als «historischen Durchbruch». Und die Weltöffentlichkeit liess sich den Bären aufbinden, die Änderungen seien beschlossen worden.

Die Lüge wird honoriert

Der damalige US-Staatssekretär Warren Christopher entschied, dass die PLO die US-Bedingungen für den Empfang von jährlich 100 Millionen Dollar an Unterstützungsgeldern erfüllte. Zudem wurde Arafat zu US-Präsident Clinton ins Oval Office eingeladen.

Ein paar Tage noch der Show-Abstimmung war in einem internen Dokument der von Arafat geleiteten «Fatah» zu lesen: «Der Text der palästinensischen Nationalcharta bleibt, wie er war. Es hat keinerlei Änderungen gegeben.» Diese Einstellung trug Arafat dann in Interviews im Januar 1997 auch nach aussen.

Der vierte Streich

Israels neuer Premier Benjamin Netanjahu verlangte ebenfalls eine klare Annullierung der israelfeindlichen Charta-Teile, ehe Israel der PLO weitere Zugeständnisse machen sollte.

1998 brauchte Bill Clinton, als gegen ihn ein Amtsenthebungsverfahren lief, einen Erfolg. Und so war er am 14. Dezember 1998 in Gaza bei einer PNC-Sitzung zugegen. Sie wollte «den Beschluss bekräftigen», jene Artikel der Charta zu ändern, die die Vernichtung Israels fordern. Als Arafat um Handzeichen bat, wurden viele Hände erhoben. Die Welt jubelte nun zum vierten Mal über ein «historisches Votum».

In der «Jerusalem Post» war bereits am Vortag zu lesen, dass US-Unterhändler das Abstimmungsprozedere längst ausgehandelt hätten.

Die meisten Delegierten indessen, die ihre Hände hoben, um das «historische Votum» herbeizuführen, waren gar nicht Mitglieder der PNC, sondern gehörten anderen Palästinensergruppen an. Die Abstimmung war also nicht nur durch die USA abgekartet, sondern sie wurde auch durch arglistige Täuschung begleitet, indem anstelle des PNC Personen abstimmten, die dazu gar nicht autorisiert waren. Neben den Nicht-PNC-Mitgliedern waren 727 Delegierte anwesend. 456 hoben bei der Abstimmung die Hand. In der Charta ist eine Zweidrittelmehrheit vorgeschrieben. Sie wurde nicht erreicht.

Noch immer ist nichts geschehen

Als Gegenleistung für die «historische Abstimmung» sollte Netanjahu, auf Forderung der USA, Arafat ein weiteres Territorium von der 13fachen Grösse Tel Avivs abtreten. Und während israelische Politiker wie Yossi Beilin die Bedeutung der Charta gerne herunterspielen («Diese Charta ist ein pathetisches, überholtes Dokument») bezeichnen sie PLO-Kader als «unsere Bibel».

Tatsache ist, wie Zuhair Sanduka, Direktor des «International Parliamentary Affairs Department of the Palestine National Council» (Abteilung für internationale parlamentarische Angelegenheiten des PNC) am 23. Januar 2002 zugeben musste, dass «keine andere Charta geschrieben worden ist. Es gibt tatsächlich Veröffentlichungen, die auf die Entscheidung Bezug nehmen, die Veränderungen vorzunehmen. Aber das sind andere Texte - keine anderen Paragraphen oder Artikel an Stelle der Artikel, die gestrichen oder verändert werden sollten. Aber es gibt die Bezugnahme darauf, dass es Artikel gibt, die entweder gestrichen oder modifiziert oder ergänzt werden sollten.»

Mit anderen Worten: Zehn Jahre nach dem Versprechen zur Änderung besteht die offizielle Charta unverändert. Die Weltöffentlichkeit wurde bewusst getäuscht und hingehalten. Mit all dem Wirbel wurde dem Westen Sand in die Augen gestreut!

Lügen zahlen sich aus

Für ein leeres Versprechen kassierte Arafat Gaza, Jericho, die Hoheit über sieben Ortschaften der Westbank sowie über 400 Dörfer. Zudem jährlich 100 Millionen Dollar an US-Unterstützung. Mit der Einladung ins Oval Office wurde Arafat zudem aufs internationale Parket gehoben. Netanjahu, der die Einhaltung forderte, trug rasch das Etikett des «Hardliners». Wenn man sich belügen lassen will, haben Lügen nicht kurze Beine.

Datum: 13.11.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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