Wenn Strassenkehrer zu Tränen rühren

MCS

Sie opfern ihre Ferien und ihr Geld, um gratis Strassen zu kehren: Christen aus der Schweiz betätigen sich in Jerusalem als Reinigungsequipe. Mit Taten statt Worten wollen sie Freundschaft ausdrücken. Nicht selten fallen bei den Einheimischen Tränen der Rührung auf das nunmehr saubere Strassenpflaster.

Wir sprachen mit Einsatzleiter Walter Bachmann* und der mehrfachen Teilnehmerin Dora Hebeisen* über diese Aktion.

Daniel Gerber: Zweimal jährlich bieten Sie eigentümliche Reisen nach Jerusalem an. Man bezahlt Reise und Unterkunft und betätigt sich als Gratis-Strassenkehrer. Man hat Ferien und wischt in dieser Zeit Strassen. Da sind Sie beide wohl jeweils die einzigen Teilnehmer?!
Walter Bachmann: Wir wollen gezielt an die Wurzeln unseres Glaubens erinnern. Diese führen zurück nach Jerusalem und ins Alte Testament. Und auch in die christliche Geschichte und damit in die Sachen, die den Juden gegenüber passiert sind. Es hat mit dem spannungsvollen Verhältnis zwischen Christen und Juden zu tun. Dazu gäbe es viel zu sagen, doch das Strassenkehren ist ein praktischer Ausdruck unserer Solidarität, aber auch unserer Busse und Umkehr. Die christliche Theologie ist durchseucht von Antisemitismus. Ein Holocaust wäre nicht möglich gewesen ohne die antisemitischen Lehren der frühen Kirchenväter. Das Strassenkehren drückt einfach eine andere Haltung aus. Wir zeigen so auch Dankbarkeit. Denn Jesus war Jude. Unser Erlöser und die Bibel haben wir von ihnen. Dies bringen wir zum Ausdruck, und dass es uns leid tut, dass wir sie verfolgt und ermordet hagben und wo wir ihnen die Identität nehmen wollten. Wir wollen Versöhnung stiften. Im Epheserbrief steht, dass Gott durch Jesus die Scheidewand zwischen Israel und den Christen wegnahm. Aber durch unsere Geschichte haben wir sie wieder aufgebaut.

Es stimmt, die Leute, die bei uns mitmachen, zahlen einen hohen Preis: Sie geben ihre Ferien dran und zahlen dafür. Ich staune manchmal selber, dass sie mitmachen. Aber sie kommen immer wieder. Es muss 'was dran sein.

Frau Hebeisen, Sie haben sieben Mal dabei. Was ist denn da dran? Wie haben Sie das bisher erlebt?
Dora Hebeisen: Bei mir begann es im Jahr 1997. Meine Freundin überredete mich. Sie sagte, ich würde nachher nicht mehr die selbe sein. Ich fragte mich, ob ich mich denn überhaupt ändern müsse. Ich entschied mich, dass ich hinter dem jüdischen Volk stehen wolle. Das hat mich dann geprägt; für mich sind das Superferien.

Man hat viele Begegnungen. Einmal regnete es zum Beispiel wie aus Kübeln. Aus Plastiksäcken haben wir uns dann Kleider gemacht, damit wir nicht durchnässt würden. Wir waren im orthodoxen Viertel. Die Männer liefen an uns vorbei, denn sie dürfen uns als Frauen nicht anschauen. Dabei wären wir ein Blickfang gewesen, denn Frauen gehören nicht zur Putzequipe der Stadt. Wir sind also eine komische Spezies. Bei starkem Regen stellen wir uns in Hauseingänge, um uns etwas zu schützen, und sobald es nachlässt, wischen wir weiter. Einmal kam plötzlich eine junge Frau auf mich zu. Ich schätzte sie auf etwa 20 Jahre. Sie fragte mich, was wir tun würden. Ich antwortete: „Die Strasse kehren.“ Das sehe sie, war ihre Antwort. Aber warum wir das tun würden. Ich erklärte es ihr. Dann fragte sie, ob es sei, damit die Strassen sauberer wären. Ich sagte, nein, es hat mit der Sauberkeit wenig zu tun, sondern wir wollten zeigen, dass wir ihre Freunde sind und hinter dem Volk stehen. Sie machte riesige Augen, ihr Kiefer viel nach unten. Sie umarmte mich und sagte: „Arbeite nicht zuviel.“

Sind die Strassen in Jerusalem schmutziger als unsere hier?
Dora Hebeisen: Es gibt bei uns in den Städten viel Dreck, und es gibt ihn auch dort. So wie es in den grossen Städten eben ist. Wir werden manchmal an Orten eingesetzt, die oberflächlich geputzt wurden. Die Schweizer Gründlichkeit fällt auf. Mir macht das Spass, doch darum geht es ja eigentlich nicht. Die Leute sehen einfach, dass wir nicht da sind, um „zu tun als ob“, sondern sie sehen, dass wir wirklich etwas machen.

Sie machen das nun seit zehn Jahren. Wie sieht das die Stadtverwaltung?
Walter Bachmann: Wir hatten einmal eine Begegnung mit Ehud Olmert, dem früheren Bürgermeister von Jerusalem. Er bestätigte den Dienst und gab uns einen Beauftragten, der für uns zuständig ist. Zu ihm haben wir mittlerweile eine freundschaftliche Beziehung. Er staunt schon, dass wir immer wieder kommen. Er hatte auch schon Tränen in den Augen.

Jerusalem ist oft Schauplatz von Terroranschlägen. Wie ist das für Sie beide, sich dort zu bewegen?
Walter Bachmann: Das erlebt sicherlich jeder Teilnehmer unterschiedlich. Ein Grundsatz ist, dass wir dorthin gehen, wo wir den Eindruck haben, dass uns Jesus hinsendet. Es zeigt dem jüdischen Volk auch, dass wir in schwierigen Zeiten zu ihm stehen. Die Terroranschläge wären eigentlich ein Grund, umnicht zu gehen. Das wäre der Weg des geringsten Wiederstandes. Ich ermutige die Leute, ehrlich zu sein, und wenn Ängste da sind, dass man darüber spricht. Dann kann man darüber beten. Da wir mit Mietautos unterwegs sind, gibt das eine bestimmte Sicherheit. Ausserdem sind wir vorsichtig und suchen nicht extra Gefahren. Ein befreundetermessianischer Jude sagte einmal, er wolle sein Leben nicht vom Terror bestimmen lassen. Wenn er in eine Strasse müsse, dann gehe er einfach. Aber er gehe nicht mehr extra, einfach damit er dort gewesen sei. Das ist auch für mich die Linie. Nur wegen dem Terror bleiben wir nicht im Hotelzimmer. Aber wir gehen auch nicht einfach überall hin. Es geht nicht nur ums Wischen alleine. Man hat Begegnungen mit Menschen, das prägt auch die Teilnehmer.

Wie sieht das eine Teilnehmerin?
Dora Hebeisen: Mit der Gruppe hatte ich nie Angst. Einmal war ich während acht Monaten als Volontärin in einem Gästehaus dort. Da hatte ich manchmal Angst. Es war zur Zeit des Irakkriegs. Da wurden Gasmasken ausgeteilt, die wir anprobieren mussten. Aber die Menschen, die dort leben, haben diese Spannungen ja auch, und im Gebet konnte ich dies Ängste immer wieder ablegen.

* Walter Bachmann leitet die Einsätze. Seit 1997 ist er Gemeindeleiter im messianischen Center St. Gallen (MCS). Bachmann ist zudem Leitungsmitglied des Vereins «Hope for the Nations». Dieser wurde 1994 durch Hanspeter und Anita Vogt gegründet, seit 2003 gehört der Verein zum messianischen Center.

* Dora Hebeisen war siebeamal als Strassenkehrerin dabei. Seit einem halben Jahr arbeitet sie in der MCS-Administration und will im Oktober 2004 zum achten Mal mitwischen.

Die Reisen 2004:
20. März bis 2. April.
2. bis 16. Oktober (in dieser Zeit wird das WM-Qualifikationsspiel Israel – Schweiz ausgetragen).

Datum: 27.02.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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