Irans Herrscher erledigen die „islamische Demokratie“ – mit Wahlen

Präsident Khatami

Vor vier Jahren hatten reformorientierte Parteien einen unerwarteten Sieg gelandet und die Mehrheit im iranischen Parlament errungen. Dies sollte den Präsidenten Khatami, der mit Reformversprechen angetreten war, beflügeln und der sozialen Öffnung wie auch dem wirtschaftlichen Aufschwung den Weg bereiten.

Doch das Gegenteil geschah: Die eigentlichen Herrscher des Landes, die schiitischen Geistlichen im von Khomeiny geschaffenen Wächterrat, verwehrten den Reformkräften mit einer Betontaktik, das Land umzugestalten.

Viele Iraner haben sich in der Folge frustriert von den Reformern abgewandt und erwarten von der Politik nichts mehr. Zur Wahl am 20. Februar 2004 wurden 2500 Kandidaten aus ihren Reihen gar nicht zugelassen. Die EU hat am Montag dem neugewählten Parlament die Legitimität abgesprochen.

Bevölkerung gespalten

Das Land mit seinen bald 70 Millionen Menschen ist gespalten: Die Hälfte der Stimmberechtigten (2000 waren es noch zwei Drittel) ging trotz dem Boykottaufruf der Reformer zur Urne und wählte eine Parlamentsmehrheit, die sich den Vorgaben des Wächterrats unterzieht.

Die Anhänger des streng islamisch geordneten Staates, den Khomeiny gestaltete, zählen noch immer nach Millionen. Sie sind von konservativen Medien indoktriniert; die anderen wurden in den letzten Jahren alle verboten.

Meinungsvielfalt abgewürgt

Die Perser sind eines der ältesten Kulturvölker der Erde – und stolz darauf. Am Vorabend der Wahl wurden die zwei letzten grossen Zeitungen, die den Reformern nahestanden, verboten; sie hatten einen Brief an den obersten Geistlichen Ayatollah Ali Khamenei abgedruckt, der in nicht gekannter Schärfe das diktatorische Gehabe der Mächtigen kritisierte.

Den Reformern verbleiben fast nur noch die Direktübertragungen der Parlamentsdebatten, um ihre Ansichten – bis Mai, solange das alte Parlament noch tagt –unters Volk zu bringen! Jeder vorzeitige Rücktritt der nicht mehr Gewählten muss im Parlament einzeln verhandelt werden. Man kann gespannt sein, welches Schicksal die Reformer ereilt, wenn sie ihre parlamentarische Immunität verloren haben.

Erstarrung – und bald Konfrontation?

Die Zeichen stehen auf Erstarrung: In der Millionenstadt Isfahan, früher eine Hochburg der Reformer, gewannen die islamischen Hardliner alle fünf Sitze. In Teheran ging nur ein Drittel der Wahlberechtigten zur Urne. Im Süden des Landes kam es zu Unruhen, bei denen nach offiziellen Angaben acht Personen getötet wurden.

Reformer sprachen von einem „historischen Fiasko“. Der Politiker Rasoul Mehrparvar, der nicht mehr kandidieren durfte, rief den Hardlinern den Jüngsten Tag in Erinnerung. Ayatollah Khamenei werde sich dem Gericht Gottes stellen müssen, weil er nicht auf die Menschen gehört habe.

Datum: 25.02.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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