Bildersturm am Tempelberg

Jerusalem
Tempelberg

Jerusalem, die Stadt des Friedens – mit einem der explosivsten Quadratkilometer der Welt, dem Tempelberg. Der Streit um ihn spitzt sich zu.

Jerusalem beim Einnachten. Schaut man zu dieser Stunde von der hebräischen Universität hinüber auf den leicht tiefergelegenen Tempelberg, wähnt man sich in einem mesopotamischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht: Die weisse und orange Beleuchtung löst die untergehende Sonne ab und taucht den Felsendom in surreales Licht. In der Ferne blitzt immer wieder das Blaulicht einer Polizeistreife auf. Da und dort ertönt eine Sirene. Dann der Ruf der Muezzine und der Klang der Kirchenglocken. Die Glaubensbekenntnisse wetteifern miteinander.

Tempel wird zu Bauschutt

Auf dem Tempelberg zeigt sich dieser Wetteifer von einer hässlichen Seite. Der «Templemount» steht unter der Obhut der islamischen Wakf, mit der Auflage, keine baulichen Veränderungen vorzunehmen. Die Archäologin Dr. Eilat Mazar schlägt im Gespräch mit Livenet.ch Alarm: «Seit 1967 hat die Wakf die Aufsicht. Sie versteckt und zerstört. Ohne archäologische Supervision und Dokumentation wurde Antikes mit Lkws weggekarrt.» 20'000 Tonnen Stein, Geröll und Kulturerbe sei so auf der Schutthalde gelandet. Es musste dem Bau einer Moschee weichen, und gleichzeitig konnten so die Beweise für die beiden jüdischen Tempel vernichtet werden, jenen Salomos und den zweiten von Herodes dem Grossen, tausend Jahre später.

Inzwischen drohe die Südmauer einzustürzen, wenn viele Menschen den Platz besuchen. Viele Moslems könnten ums Leben kommen. Mazar: «Die Wakf nimmt das in Kauf, um den Berg zu zerstören. Sie riskiert Menschenleben. Das ist barbarisch. Das hat mit Religion nichts zu tun.»

«Eine ungeheuerliche Sache ohne Kampagne der Unesco, die das Weltkulturerbe doch behüten sollte!» Das Ziel der fundamentalistischen Tätigkeiten sei klar: «Sie wollen nur die islamische Periode erhalten. Die christliche und jüdische Zeit soll aus der Erinnerung gelöscht werden.»

Buddha wichtiger als der Tempelberg?

Da die Medien nicht vorgelassen würden, gebe es auch nichts zu zeigen. Dass die Unesco bisher keine Reaktion zeigte, regt Mazar auf: «Als die Taliban die Buddha-Statuen in Afghanistan zerstörten, war das weltweit in den Medien. Dass die Moslems nun den Tempelberg zerstören, dazu meldet sich keine politische Einrichtung zu Wort.» Obwohl hier die Geschichte eines existierenden Volkes zerstört wird. «Der Tempelberg ist einer der wichtigsten Monumente rund um den Globus, aber das scheint egal zu sein ...»

Unesco reagiert – in Zeitlupe

Eilat Mazars Vorwürfe wiegen schwer. Als Livenet.ch erstmals darüber berichtete, nahm die Unesco keine Stellung. Diesmal äusserte sich Mounir Bouchenaki, Vize-Generaldirektor für Kultur bei der Unesco in Paris, dazu.

Bezüglich Jerusalem halte sich die Unesco an Artikel 57 der UN-Charta. Auch an der Den Haager Vereinbarung von 1954 würde sie sich orientieren, der Konvention zum Schutz von kulturellem Eigentum im Falle eines bewaffneten Konflikt, wie auch an der 1972er-Konvention zum Schutz der Weltkultur und deren Erbe. «Beide wurden durch den Staat Israel ratifiziert.»

Weiter schreibt Bouchenakis Büro: In dieser Konvention von 1972 stehe die Jerusalemer Altstadt als Teil des Weltkulturerbes und eine der gefährdeten Stätten. Sie sei zudem auf der Unesco-Agenda für Bewahrungsprojekte. Die Unesco sei sich bewusst, dass «seit mehreren Jahren eine kontroverse Streitfrage» im Gange sei, für die ein unabhängiger, technischer Report nötig sei. Seit Mai 2000 sei diese Mission durch die israelischen Behörden jedoch nicht erlaubt worden.

Einen «sehr positiven Fortschritt» habe es aber bei der letzten Generalkonferenz der Unesco gegeben. Man habe beschlossen, einen Aktionsplan zum Schutze des kulturellen Erbes der Altstadt Jerusalem auszuarbeiten.

«Schuld sind die Juden»

Nach dem neuerlichen Erdbeben in Israel fürchtet Mufti Ekrema Sabri um die Al Aksa Moschee: «Bei einem stärkeren Beben fällt sie zusammen.» Wer Schuld ist, ist für ihn klar: die Israeli und die Juden. Seit 1967 graben nach seiner Darstellung fundamentalistische Juden im Tempelberg, nachzulesen auf der Homepage der Newsagentur WAFA (eine offizielle Seite der Palestinian Authority). Sabri rief am 16. Februar die arabische und die muslimische Welt auf, den Tempelberg zu beschützen. Sabri will auch vor der Unesco vorstellig werden.

Kommentar

Die gerufenen Geister sind da

Wie wir schon früher berichteten, versuchten islamische Fundamentalisten durch illegale Bauarbeiten die Zeit der beiden jüdischen Tempel auszuradieren. Der Aufschrei der Juden blieb ungehört. Durch die Grabungen sind nun aber auch die moslemischen Bauten (Algerien-Aksa-Moschee und Felsendom) in Gefahr. Der unterirdische Bildersturm wird zum Bumerang. Und es lässt viel Wasser auf die Mühlen eines bestimmten, jüdischen Flügels fliessen: Sollte ein von Mufti Ekrema Sabri befürchtetes Erdbeben die muselmanischen Bauten nämlich zerstören, sähen diese den Platz «freigeräumt» für ein anderes Bauwerk: den dritten Tempel, wie er in der Bibel bereits beschrieben ist.

Datum: 23.02.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service