Nach Saddam Husseins Ergreifung: Erleichterung, Jubel, Unbehagen – und Forderungen an die USA

Die Reaktionen auf die Gefangennahme Saddam Husseins im Nahen Osten sind vielfältig; arabische Zeitungskommentare spiegeln die antiwestlichen Emotionen in den Völkern. Unter irakischen Christen brach Jubel aus, wie Exil-Iraker in den USA berichteten. Chaldäische Christen – etwa 100'000 von ihnen leben im Grossraum Detroit – sahen das Ereignis als passendes Weihnachtsgeschenk für ihr Land. Andere Iraker fühlten sich erneut an die Grausamkeiten des Regimes und den schrecklichen Blutzoll der Kriege erinnert, die Saddam vom Zaun brach.

Mehr Anschläge auf Christen im Irak

Wie viele Christen noch im Irak leben, nach Jahren der Auswanderung, ist umstritten; vorsichtige Schätzungen gehen bloss noch von einer Drittelmillion aus. Seit dem Sturz Saddams haben islamische Fanatiker im Irak Dutzende von Anschlägen auf Christen verübt. Vor allem Geschäfte, die Alkohol verkauften, wurden zur Zielscheibe. Viele Christen sind dadurch verarmt.

Die israelische Zeitung Haaretz hofft, dass die Gefangennahme Saddams den Geist des Widerstands brechen unter Saddams Anhängern brechen wird und dass das Gerichtsverfahren gegen ihn die Demokratisierung des Landes voranbringt. Die Amerikaner hätten in gewissem Sinn ein erneuertes Mandat erlangt, um das Werk des Befreiung und des Wiederaufbaus des Irak zu vollenden.

Israel plante 1992 Saddams Tötung

In Israel wurde 1992 eine Kommando-Operation zur Ermordung Saddam Husseins geprobt; die Informationen darüber wurden nun von der Zensur freigegeben. Regierungschef Jizchak Rabin hatte die Operation genehmigt. Geplant war, Saddam bei einer Trauerfeier mit einer eigens gefertigten Rakete zu töten. Das Kommando sollte in der Nähe des Ortes im Irak landen und dann wieder ausgeflogen werden. Saddam kam tatsächlich am vorgesehenen Tag an den Ort, aber die Israelis führten die Aktion nicht durch, weil fünf ihrer Männer bei der Vorbereitung durch ein Versehen umgekommen waren.

Die Jerusalemer Zeitung Haaretz spürt eine Grundwelle des Unbehagens in der arabischen Welt. Grund: „Einen nationalen Führer in solcher Schwäche zu sehen, ist ungewöhnlich.“ Vielen Arabern schlage seine Demütigung auf den Magen, weil er für sie den gesamt-arabischen Kampf gegen die US-Dominanz verkörpere. Die Zeitung verweist zudem auf die in den meisten Ländern unterdrückten Oppositionspolitiker, die ihren Staatsführern die Macht beschneiden wollen.

Offizielles Schweigen in Ramallah und Damaskus

Die Palästinensische Autonomiebehörde kommentierte die Verhaftung Saddams gar nicht, und auf der Strasse war tiefe Enttäuschung spürbar: „Wenn die Amerikaner stärker werden, werden wir schwächer“, sagte einer. In Syrien brachte das nationale Fernsehen die Nachricht nicht; die israelische Zeitung führt dies auf die Ähnlichkeit des irakischen Regimes mit dem syrischen zurück (zwei Baath-Regimes, die sich auf eine Minderheit stützen und sich durch Unterdrückung der Mehrheit an der Macht halten).

Jubel im irakischen Süden

In irakischen Zeitungen kommt grosse Erleichterung zum Ausdruck. Die Ära der Unterdrückung sei für immer zu Ende, heisst es, ein neues Fenster der Hoffnung habe sich aufgetan. Eine Zeitung verweist auf den Jubel und die Freudenschüsse in den schiitischen Zentren im Süden. Für die in London herausgegebene Tageszeitung Al-Sharq al-Awsat besteht Anlass zur Freude darüber, „dass die Iraker den Wind von Freiheit und Demokratie spüren können“.

Laut der jordanischen Tageszeitung Al-Dustour ist seine Verhaftung aber „nur ein Symbol dafür, dass der Irak unter die Besatzung von Amerikanern und Briten gefallen ist“. Die Zeitung bezeichnet es als unklar, wie sich die Ergreifung auf den irakischen Widerstand auswirken wird. Die halboffizielle ägyptische Tageszeitung Al-Ahram klagt die Besatzer an, sie zerstörten die Kapazitäten des Irak und erzeugten Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften. „Sie macht Millionen junger Männer arbeitslos und stürzt sie in die Armut…, sie unterdrückt … und tötet.“ Dies müsse Widerstand provozieren – „gleich ob Saddam Hussein frei oder gefangen ist“.

Bestürzt über die Feigheit

In vielen arabischen Zeitungen wird laut dem Berliner MEMRI-Digest die Forderung erhoben, die Macht rasch in die Hände des irakischen Volks zu legen. In der ‚Jordan Times’ wird an die hohe Kriminalität und die schlechte Grundversorgung der Iraker erinnert. Die meisten Zeitungen beschäftigen sich mit der Art von Husseins Ergreifung. „Ohne Widerstand und ohne Reue“, titelte die in London herausgegebene Tageszeitung Al-Hayat. Die jordanische Al-Rai fand, Saddam habe jene enttäuscht, die an seine Tapferkeit glaubten. Seine Feigheit wird in vielen Zeitungen als eines Arabers unwürdig verdammt, seine Festnahme ohne Widerstand als Demütigung für alle Araber empfunden.

Der Al-Hayat-Kolumnist: „Nichts an Saddam Husseins Schicksal könnte die arabische Welt betrüben – angesichts all seiner Fehler, Verschwörungen und Verbrechen, die den Arabern nichts Gutes gebracht haben. Schade nur, dass es nicht die Iraker selbst waren, die den Diktator ergriffen… Die Vereinigten Staaten verdanken ihm viel, weil er ihnen das Vordringen in die arabische Welt erleichtert hat.“

Datum: 17.12.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service