Wird Russland im Westen bald vergessen?

G2W-Russlandmitarbeiterin Franziska Rich.

In den Schweizer Kirchen ist die Hilfe für Russland nicht mehr populär. Während sich die Schweizer Landeskirchen in der Zeit des Kommunismus und nach dessen Zusammenbruch 1989 stark engagierten und z. B. 50 Prozent des Budgets für Glaube in der 2. Welt G2W aufbrachten, ist das Interesse seither stark erlahmt.

Die Kirchen bringen nur noch etwa einen viertel des Budgets von G2W auf, wie der Leiter des Werkes, Erich Bryner erklärte. Bryner sprach von einer regelrechten "Russland-Verdrossenheit". Viele Hoffnungen, die sich die Menschen in Westeuropa nach dem Einbruch des Kommunismus gemacht hatten, hätten sich nicht erfüllt. Und die Kirchen seien heute mehr an der Nord-Süd-Problematik interessiert und engagierten sich wieder vermehrt in Dritt- Welt-Ländern. Bryner berichtete deshalb einen dringenden Appell an die Kirchen, die Osthilfe nicht zu vernachlässigen.

Nebst vielen negativen gibt es in Russland nämlich auch hoffnungsvolle Entwicklungen. Dies betonte die Moskauer Mitarbeiterin von Glaube in der 2. Welt G2W, Franziska Rich. Sie erwähnte die Öffnung für die kirchliche Arbeit in den Haftanstalten der Wolgarepublik Tschuwaschien. Hier arbeitet die vor 12 Jahren gegründete Organisation "Glaube, Hoffnung, Liebe" in 9 Strafkolonien und zwei Untersuchungsgefängnissen mit den Gefangenen und unterstützt sie mit seelsorgerlichem Beistand, medizinisch und mit Rechtsberatung. Die drei Hilfsangebote zielten darauf, den Gefangenen zu helfen, ihr Leben zu überdenken und sich klar darüber zu werden, weshalb sie ins Gefängnis geraten sind, so G2W.

Der Leiter der Strafvollzugsbehörde in Tschuwaschien, Wjatscheslaw Wolkow, ist ein Beispiel dafür, wie sich auch Mitglieder von Behörden kooperativ zeigen. Kirchliche Organisationen können sogar Andachtsräume und Kirchengebäude in den Strafkolonien der Republik errichten. Vertreter verschiedener religiöser Bekenntnisse sind an der Arbeit beteiligt, die im Zeichen einer Reform des Strafvollzugssystems und der Humanisierung des Strafvollzugs in der Republik geschehe. Sie wirken bei ihrer Arbeit auf eine Verhaltensänderung der Häftlinge hin, indem sie mit ihnen auch über ethische und religiöse Themen reden. Weiter erhalten die Gefangenen seelsorgerliche und wo nötig rechtliche und medizinische Hilfe.

Auch andere russische Republiken haben sich der Arbeit geöffnet, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Insgesamt gibt es in Russland 748 Strafkolonien für Verurteilte mit 715 600 Insassen, 185 Untersuchungsgefängnissen 12 Gefängnissen und weiteren 157 Einrichtungen mit Zellenregime, ausserdem 64 Jugendhaftanstalten für Minderjährige im Alter von 14-18 Jahren mit 11'400 Insassen.

Die Leiterin des Moskauer Büros von G2W, Franziska Rich, verteidigt daher den Einsatz in Russland. Die Hilfe sei weiterhin sehr nötig. Gerade zu Russland müsse man Brücken bauen, unabbhängig von seinem heutigen Zustand. Das Land habe ein grosses Gewicht, auch für Osteuropa. Und die Russisch-orthodoxe Kirche habe einen grossen Einfluss in der Welt. Statt Brücken abzubrechen, müssten diese verbreitert werden, auch wenn noch nicht an allen Schaltstellen die richtigen Leute sässen und vielerorts kohärente Strukturen fehlten. Noch müsse sich vieles verändern. Die Arbeit von G2W möchte mehr als Nothilfe leisten, nämlich zur Veränderungen der Menschen im ureigenen Interesse des Westens beitragen. Das heisst, menschliche Werte aufzubauen, die unter dem Kommunismus zerrüttet worden sind, betonte G2W-Mitarbeiter Heinz Gstrein.

Datum: 12.05.2003
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

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