Hat Gott eigentlich
Lieblingsvölker? Wenn man bestimmte Aussagen – aktuell z.B. aus den USA – hört,
könnte man meinen, dass der christliche Gott ein Nationalgott ist. Dabei will
er vor allem eins: Menschen verändern.
Vor kurzem wurde Gott in Irland gesichtet. Wissen Sie, was
er dort gemacht hat? Ganz einfach: Er arbeitet von zu Hause aus (alter irischer
Witz). Nun, wenn man Irland (und vor allem seine keltisch-christliche
Geschichte) kennt, könnte man schon meinen, dass Er sich besonders gern dort aufhält...
Aber es gibt viele Nationen, die für sich beanspruchen, irgendwie besonders
«auserwählt» zu sein. «God's own country» – in den USA ist das Bewusstsein
einer «christlichen Nation», die der Welt das Heil bringen soll, noch weit
verbreitet und auch in vielen Christen verwurzelt. So waren es denn auch vor
allem christliche Nationalisten, die am 6. Januar das Kapitol stürmten. Aber so
klingt es nicht nur aus den USA. Auch in England gab es das früher, in der
Schweiz gibt es ebenfalls Stimmen, die unser schönes Land als auserwähltes Volk
sehen. Hat Gott Lieblingsvölker?
Das gute christliche
Erbe
Dass wir es zu Anfang klar festhalten: Es ist gut und war für
unsere Gesellschaften von enormem Segen, was im Lauf der Jahrhunderte an
christlich begründeten Werten entstanden ist. Toleranz, Sozialsinn, Freiheiten,
Menschenrechte und der daraus resultierende Wohlstand wurzeln tief in der
judäo-christlichen Weltanschauung. Und der Radikalabbau dieser Werte bringt
nicht mehr Frieden und Glück, sondern mehr Missverständnisse, mehr Streit, mehr
Tod und mehr soziale Spannungen mit sich. Das ist in den USA so, aber auch in
unseren europäischen ehemals christlichen Ländern.
Aber die Werte und Gebote
Gottes funktionieren auf Dauer nur, wenn sie von vielen Menschen persönlich
befolgt werden. Und je säkularisierter unsere westlichen demokratischen
Gesellschaften werden, um so verzweifelter versuchen viele, das «christliche
Erbe» bzw. ihr Verständnis eines christlichen Volkes festzuhalten oder
wiederherzustellen.
Die erste globale
Bewegung
Christen sollen sich in den «Marktplatz» der Welt und der
Gesellschaft einbringen und wo immer möglich für ihre Überzeugung einstehen,
dass der biblische Gott gute Regeln zum Leben gegeben hat. Aber wir dürfen
nicht übersehen: Ein auserwähltes Volk gab es nur einmal – das war das Volk
Israel. Wir alle sind die «Nationen», die vom Segen dieses Volkes und seinem
Messias profitieren. Aber nicht mehr. Das Christentum war von Anfang an eine
transnationale, eigentlich die erste wirklich globale Bewegung. Menschen aus
allen Völkern und Nationen fanden unter Christus zu einer Einheit zusammen, die
alle Grenzen, Traditionen, Kulturen und Religionen überstieg. Männer und
Frauen, die von ihrem Hintergrund wenig gemeinsam hatten, wurden Brüder und
Schwestern – und sie lernten, zusammen zu leben und sich als neues Volk zu
verstehen. Und sie wirkten und wuchsen oft am stärksten in Gesellschaften, die
alles andere als christlich waren.
Wenn man dieses Evangelium nun mit Nationalismus verbindet, können in den
Köpfen Gebilde entstehen, die hinter das weltweite Reich Gottes zurückgehen,
die weltumspannende Realität der Herrschaft Jesu also schwächen. Nationen sind
etwas Vorübergehendes und Lokales, das Reich Gottes nicht. Die Völker und Nationen sind ihm
«wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage; die Inseln sind
wie ein Stäublein», sagt der Prophet Jesaja (Kapitel 40). Was wir so wichtig nehmen
– unsere Nation und unser Volk –, hat für Gott offenbar eine andere Priorität.
Die wahre Kraft:
persönlich
Die eigentliche Kraft des Evangeliums – das muss man auch für unsere
«christlichen» europäischen Länder sagen – besteht darin, dass Menschen
zutiefst verwandelt werden. Wer Christus wirklich begegnet, ist nie mehr
derselbe. Und so segensreich auch christlich inspirierte Gesetze und Normen
sind: Gottes Kerngeschäft sind Menschen. Er sucht die personale Beziehung zu
Männern und Frauen und will uns erlösen, Mensch um Mensch. Das ist kein Rückzug
aufs Persönliche, aber Personen sind nun mal diejenigen, für die Jesus
gestorben und auferstanden ist. Es ist zu hoffen, dass gerade in den USA nun
eine Umbesinnung
von der tief verwurzelten, aber letztlich irrigen Meinung einer «christlichen
Nation», die man wieder «great» machen muss, zum Kerngeschäft der rettenden, menschen-
und dann auch gesellschaftsverändernden Kraft des Evangeliums stattfindet.