«Regierung immer autoritärer»

Quebec: Tragen religiöser Symbole im öffentlichen Dienst verboten

Im Vorfeld der Wahlen in Kanada Mitte Oktober müssen sich die Kandidaten unter anderem zu einem Gesetz äussern, an dem sich nach Ansicht vieler entscheidet, ob Kanada ein freies Land bleibt.
Kreuz-Halskette (Symbolbild)

Im Juni hat die – hauptsächlich französischsprachige – Provinz Quebec ein Gesetz erlassen, nach dem Angestellte im öffentlichen Dienst bei der Arbeit keine religiösen Symbole tragen dürfen. Dieses «Bill 21» genannte Gesetz gilt für Richter, Polizeioffiziere und Lehrer und verbietet, «religiöse Kleidung» wie die Kippa, den Turban oder den Hidschab zu tragen; ebenfalls gilt das Verbot für religiöse Symbole wie Kreuze, Kruzifixe, Davidsterne und andere Ausdrücke des Glaubens. Das Gesetz gilt nur für Neueintretende oder beim Stellenwechsel innerhalb einer Organisation.

Neutralität oder Diskriminierung?

Befürworter von «Bill 21» wollen die Säkularisation zum Ausdruck bringen und gewährleisten, dass religiöse Praxis von der Arbeit für den Staat getrennt wird. Einige von ihnen warnen, solche religiösen Ausdrücke seien eine Art von «Proselytenmacherei».

Gegner nennen das Gesetz eine klare und deutliche Diskriminierung, die nach Ansicht einiger vor allem die Muslime treffen soll. Die meisten sind aber der Überzeugung, dass hier alle Gläubigen getroffen werden, die eine Säkularisation ablehnen und dass die individuellen Rechte auf Glauben und Gewissen abgeschafft werden.

«Den Glauben nicht an der Tür abgeben»

Amrit Kaur hofft, wie ihre Eltern Lehrerin zu werden. Aber jetzt ist sie unsicher, dass nach ihrer Ausbildung mit «Bill 21» überhaupt eine Lehrerstelle für sie in Aussicht ist. «Als Sikh ist mein Turban so ein integraler Teil meines Ethos, dass ich es nicht von mir abtrennen kann. Mein Glaube ist nicht etwas, das ich an der Tür abgeben kann. Das ist praktisch unmöglich.» Und sie ergänzt: «Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht, und das wird hier in den Schmutz getreten.»

David Ranch auf der anderen Seite ist ein strenger Atheist und überzeugt, dass «Bill 21» «eine total vernünftige Einschränkung» ist, vergleichbar mit dem Verbot, an der Arbeitsstelle Parteipolitik zu machen. Er ist der Überzeugung, dass die Arbeit für den Staat eine gewisse Einschränkung nötig macht. «Ich würde ja auch kein T-Shirt mit der Aufschrift 'Gott gibt es nicht' tragen; die gleiche Rücksicht erwarte ich von einer Frau mit ihrem Hijab oder einem Mann, der eine Kippa trägt, dass sie das ablegen, wenn sie zur Arbeit gehen.»

Regierung vorsichtig

Alle Kandidaten der wichtigsten Parteien, einschliesslich Premierminister Trudeau, lehnen das neue Gesetz ab. Aber aus Rücksicht auf die historische Empfindlichkeit der französischsprachigen Provinz sind sie vorsichtig mit ihren Stellungnahmen. Der Premier Quebecs, François Legault, erklärte, dass die Bundesregierung sich «für immer» aus diesem Thema heraushalten müsse; Kritik sei eine Gefahr für die Souveränität Quebecs innerhalb Kanada. Ein weiterer Grund, warum sich Trudeau aus dem Thema heraushält, ist der, dass das neue Gesetz vor den Gerichten verhandelt wird.

«Unterwegs zu autoritärer Regierung»

Für viele Kritiker ist Bill 21 ein grosser Schritt abwärts auf der schlüpfrigen Bahn in Richtung auf eine autoritäre Regierung hin, bei der religiöse Menschen, die sich nicht fügen, immer die ersten Opfer sind. Avi Shick, früherer Generalanwalt von New York und praktizierender Jude, erklärt es so: «In Wirklichkeit bestimmt das neue Gesetz, dass die Ausübung von Religion inkompatibel ist mit dem öffentlichen Dienst, dass man Menschen des Glaubens nicht trauen kann, dass sie ihre religiösen Überzeugungen und ihren öffentlichen Dienst selbst ausbalancieren können; so müssen Angestellte zwischen ihrem Gewissen und ihrer Karriere wählen.»

Wesley Smith schrieb in «National Review», dass die Unterdrückung religiöser Überzeugungen in Quebec mittlerweile der Regel in ganz Kanada entspreche und keine Ausnahme mehr sei. Als Beispiel nannte er Ärzte: «Alle Ärzte müssen abtreiben, Menschen durch Euthanasie töten, Transgender-Operationen durchführen – oder dann einen Arzt finden, der es macht; wenn sie selbst solche Dinge nicht tun, dann werden sie in Fachgebiete abgeschoben, wo solche Operationen nicht vorkommen; und wenn sie das nicht mögen, können sie ja `ganz aus der Medizin verschwinden`, wie es ein Richter formuliert hat. Sehen Sie das Muster?»

In dieses Muster passt auch die Verweigerung der Akkreditierung einer privaten christlichen Universität in British Columbia. Der Grund: Zu ihren Regeln gehört es, dass die Studenten sich «entsprechend ihres Glaubens verhalten». Nach Ansicht des Gerichts könnte eine solche Vorschrift «die Würde der Menschen aus der LGBT-Gemeinschaft verletzen, die die Universität besuchen wollen».

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Datum: 04.10.2019
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / CBN News

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