Honduras: Suche nach Gott und einem fähigen Präsidenten

Die meisten Honduraner können nicht verstehen, weshalb man in Europa davon spricht, dass es in ihrem Land einen Militärputsch gab. Für sie ist die Absetzung von Präsident Zelaya ein demokratischer Akt. Livenet.ch hat sich mit dem Schweizer Kinderhilfswerk «Casa Girasol» vor Ort ein Bild der Lage gemacht.
Im Norden des Landes leben die Garifunas - eine Volksgruppe, die von Indianern und Afrikanern abstammt. (Fotos: David Sommerhalder)
Karibisches Paradies: Die politischen Unruhen halten viele Touristen von einer Reise nach Honduras ab.
Über 70 Prozent der Honduraner leben unter der Armutsgrenze.
Die Strassen sind gesäumt von politischer und religiöser Werbung (links der Aufruf, per SMS eine Bibel zu bestellen).
Der christliche Glaube ist in Honduras allgegenwärtig.

Das Meer funkelt blau, die Sonne steht hoch am Himmel. Die zwischen Palmen gespannten Hängematten laden ein, sich ein wenig Schatten zu gönnen. Wer an der Nordküste Honduras am Strand liegt, könnte meinen, auf einer karibischen Insel zu sein. Ein Traum für jeden Touristen - doch anders als auf den Karibikinseln steht Honduras noch in den Kinderschuhen, was den Tourismus betrifft. Zwar hat man in den letzten Jahren parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung auch in diesem Bereich aufgeholt. Nun aber schreckt die ungewisse politische Situation viele Urlauber ab.

Schwitzen am Traumstrand

So sehen die Workcamper vom «Casa Girasol» (lesen Sie den 1. Teil: Strassenkinder in Honduras: «In zwei Jahren bin ich tot») am ganzen Strand keinen einzigen anderen Ausländer. Die Schweizer und Deutschen sind gerade daran, sich an das tropische Klima zu gewöhnen. Sie sind für drei Ferientage von Tegucigalpa hierher gereist. Die Hauptstadt liegt auf 940 Metern im Hinterland der Pazifikküste. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt dort 22 Grad. Ganz anders hier in der kleinen Küstenstadt Tela, wo die Durchschnittstemperatur fast zehn Grad höher liegt.

Das Hotel der Workcamper liegt mitten in einer Garifuna-Siedlung direkt am Strand. Diese Volksgruppe wohnt vor allem in Küstendörfern an der gesamten Karibikküste von Honudras und hat weitgehend eine eigene Kultur und Sprache bewahrt. Die Garifunas haben indianische und afrikanische Vorfahren. Die Armut ist im ganzen Land sehr hoch, über 70 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Doch unter den Garifunas sind es noch weit mehr.

Tanzen für Touristen

Die Armut zeigt sich auch den Workcampern deutlich. Sie liegen nicht lange am Strand, bis ein Einheimischer samt seinen sechs Töchtern vorbeikommt. Der Vater möchte Schmuck verkaufen, scheucht die Mädchen herum. Sie sollen allen Touristen die Hand schütteln. Danach für ein Foto posieren. Und schliesslich einen traditionellen Tanz, den Punta, vorführen. Die Mädchen scheinen dabei Spass zu haben und das Ganze als Spiel zu sehen - für den Vater ist es wohl die einzige Möglichkeit, den Unterhalt für die Familie zu verdienen.

Der Hurrikan «Mitch» hatte 1998 grosse Teile von Honduras zerstört und das Land auch wirtschaftlich um Jahre zurückgeworfen. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch; genaue Zahlen liegen nicht vor. Viele Honduraner sind abhängig von Verwandten in den USA, die sie finanziell unterstützen. Dennoch hat das Land in den letzten Jahren wirtschaftliche Fortschritte gemacht - vor allem dank internationalen Entwicklungsgeldern. Würden diese nun gestrichen, wie es Honduras nach der Absetzung von Präsident Zelaya angedroht wurde, hätte das fatale Auswirkungen.

«Nur Clowns»

Doch bisher sind die Sanktionen ausgeblieben. Und auch sonst merkt man vor Ort wenig von den politischen Wirren. «Das sind alles nur Clowns», sagt Carlos, der Tourguide der Workcamper, über die Politiker. So wie er empfindet es wohl mancher Honduraner. Als friedliche Menschen bezeichnet Carlos seine Landsleute, die keinen Ärger wollen und schon gar keinen sozialistischen Machthaber wie Chávez in Venezuela. Doch den Politikern gehe es nur darum, in ihrer Amtszeit viel Geld zu verdienen und schöne Häuser zu bauen. «Für das Land interessiert sich doch keiner. Wer fördert zum Beispiel den Tourismus und macht Werbung für Honduras? Niemand.» Es sei ein wunderschönes Land, aber eins versteht Carlos nicht: «Die Leute wählen trotzdem immer wieder die gleichen Politiker. Irgendwie will doch niemand einen Wechsel.»

Das stimmt: Seit Honduras 1981 nach einer Militärregierung zurück zur Demokratie fand, stellten nur zwei verschiedene Parteien den Präsidenten. Die letzten Wahlen fanden 2005 statt. Mit 57 Prozent war die Stimmbeteiligung so tief wie nie zuvor. Die Korruption und die mangelnde Fähigkeit der Politiker, die Anliegen der verschiedenen sozialen Gruppen im Land aufzugreifen, haben wohl dazu beigetragen. Gewählt wurde damals Manuel Zelaya. Erst nach seiner Wahl hatte sich dieser der Bewegung des «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» angeschlossen, die von Venezuelas Präsident Hugo Chávez angeführt wird.

Der Präsident und die Verfassung

Die Annäherung ans radikale linke Lager gefiel vielen Honduraner nicht. Endgültig zum Problem wurde Zelaya, als er sich weigerte, den Staatshaushalt 2009 abzusegnen. In diesem Budget hätten die Kosten für die geplanten Präsidentschaftswahlen im November enthalten sein sollen. Für die Kritiker des Präsidenten war klar, dass Zelaya damit die Wahl seines Nachfolgers verunmöglichen wollte. Am 28. Juni schliesslich hatte der Präsident eine Volksbefragung über die Einführung einer «Verfassungsgebenden Versammlung» geplant. Diese hätte dann darüber abstimmen können, ob sich der amtierende Präsident zur Wiederwahl stellen darf. Laut honduranischer Verfassung sind weder eine Wiederwahl noch die Volksbefragung oder eine «Verfassungsgebende Versammlung» möglich.

Zur Volksbefragung kam es nicht. Stattdessen entschied das Nationalparlament mit 124 zu 4 Stimmen, den Präsidenten am 28. Juni vom Militär absetzen zu lassen und seinem Streben nach einer zweiten Amtsperiode ein Ende zu setzen. Wäre man dabei etwas geschickter vorgegangen und hätte man den entmachteten Präsidenten nicht im Schlafanzug ausser Landes gebracht, würde wohl auch ausserhalb Honduras niemand von einem Militärputsch sprechen. Doch Zelaya verstand es seither immer wieder, sich dem Ausland in der Opferrolle zu präsentieren.

Respekt vor dem christlichen Glauben

Obwohl der entmachtete Präsident immer wieder zum Volkswiederstand aufruft, beschränken sich die Unruhen und Demonstrationen hauptsächlich auf wenige Strassen in der Hauptstadt. So können auch die Workcamper nach den drei Strandtagen unbehindert zurück ins «Casa Girasol» fahren. Die Strasse windet sich über zahlreiche Hügelketten in Richtung Süden. Am Strassenrand ist immer wieder Wahlwerbung zu sehen: «Micheletti - President 2010-2014». Roberto Micheletti, der wie Zelaya zur liberalen Partei gehört, ist seit der Absetzung als Übergangspräsident tätig. Doch beliebter als Zelaya ist auch er beim Volk nicht, meint Carlos. «Es sind doch alles die gleichen Gauner!»

Auf und neben den Strassen sehen die Workcamper neben der Politwerbung immer wieder religiöse Hinweise. Fast an jedem öffentlichen Bus findet man eine Aufschrift wie «Jesus lebt», und Kirchen sind im Minutentakt zu sehen. Religion ist in Honduras eine öffentliche Sache. «Vor dem christlichen Glauben haben alle Respekt», erklärt «Casa Girasol»-Missionar Andreas Schmid. Selbst die brutalen Strassengangs: Wer sagt, dass er zur Kirche will, hat vor ihnen nichts zu befürchten - wenigstens bis zum Ende des Gottesdienstes. Anders als in Europa kann man hier mit jedem über Gott und Jesus sprechen.

Telefonanbieter ruft zum Gebet auf

«Der staatliche Telefonanbieter hat seinen Kunden nach der Absetzung von Zelaya eine SMS geschickt mit dem Aufruf, für das Land zu beten», erzählt Andreas. Das sei hier in Honduras nichts Ungewöhnliches. Die politischen Spannungen haben auch die verschiedenen Kirchen zusammengebracht. «Sie rufen gemeinsam zum Gebet auf», so Andreas. Die Mehrheit der christlichen Kirchen in Honduras ist katholisch, aber daneben gibt es auch reformierte Kirchen und eine Vielzahl von Freikirchen.

Probleme machen fundamentalistische Einflüsse in den Gotteshäusern - egal, zu welcher Denomination sie gehören. Das erlebt Andreas immer wieder: «Da werden vor dem Einzug des Opfers zusätzliche Predigten gehalten, damit besonders viel Geld zusammenkommt. Die Botschaft lautet: „Je mehr du gibst, desto mehr wird Gott dich segnen!"» In einem armen Land wie Honduras sei man sehr stark auf das Geld fixiert - und das komme dann eben auch in Gottesdiensten zum Ausdruck. Zudem fehlt vielen Pastoren eine fundierte Ausbildung. Deshalb werden zurzeit Schulungen durchgeführt, in denen die Gemeindeleiter auf problematische Tendenzen aufmerksam gemacht werden.

Lesen Sie den 3. Teil: Tegucigalpas Kinder zwischen Gewalt, Prostitution und Hoffnung

Links zum Thema:
Warum Europa und UN bei Honduras falsch liegen - Bericht auf «Welt online»
Honduras hängt am Hilfs-Tropf - Artikel der NZZ

Datum: 20.08.2009
Autor: David Sommerhalder
Quelle: Livenet.ch

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