Nicht zu unterschätzen

Megachurches in den USA

In den USA setzen Grosskirchen durch ihre Medienpräsenz Akzente in der Gesellschaft. Die meisten Gottesdienste werden live im Fernsehen übertragen. Die Befragung von Barack Obama und John McCain durch Rick Warren von der Saddleback Kirche im August rückte die Megachurches erneut ins Rampenlicht.
Megachurch
Chor der Second Baptist Church.
Faith Church, in New Milford, Connecticut.

Die vom populären Prediger und Bestsellerautor gegründete Saddleback Church, mit baptistischem Hintergrund, ist mit rund 22‘000 Besuchern die viertgrösste US-Megakirche. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein amerikanisches Einkaufszentrum, ist in Wirklichkeit ein protestantisches Gotteshaus.

Oft finden mehrere Gottesdienste am Tag statt, auch unter der Woche. Die wöchentliche Kollekte einer Megachurch wird im Schnitt auf 70‘000 US-Dollar geschätzt. Angeboten werden neben Gottesdiensten auch Selbsthilfegruppen und Kinder- und Berufsberatung. Therapeuten kümmern sich um "verletzte Seelen" und Sporthallen sorgen für Abwechslung.

Stark im Süden

In den Vereinigten Staaten fanden sich 2005 laut einer Datenbank des Hartford Institute for Religion Research in Connecticut heute mehr als 1‘200 Gotteshäuser, die diesem neuen Kirchentyp entsprechen. Die grösste nordamerikanische Megachurch, die "Lakewood Church" in Houston (Texas), zählt bis zu 47‘000 Gottesdienstbesucher. Auf dem zweiten Platz liegt die "Willow Creek Community Church" in South Barrington bei Chicago. Beide evangelikalen Kirchen bezeichnen sich als konfessionell ungebunden.

Den dritten Platz belegt derzeit die "Second Baptist Church" in Houston mit 23‘200 Kirchgängern. Grösse und Vielfalt dieser Grosskirchen variieren. Über 60 Prozent der Megachurches befinden sich im so genannten Süd-Gürtel der USA, vor allem in den Bundesstaaten Kalifornien, Florida, Georgia und Texas, in Grossstädten wie Atlanta, Dallas, Houston, Los Angeles, Orlando, Phoenix und Seattle.

Es begann mit der "Crystal Cathedral"

Historischer Ausgangspunkt der Bewegung war die "Crystal Cathedral", die Pastor Robert H. Schuller 1955 im kalifornischen Garden Grove im Auftrag der Reformed Church of America (RCA) begründete. Der eindrucksvolle heutige Bau der "Crystal Cathedral" nach Entwürfen von Philip Johnson entstand 1977/80 unter Einbeziehung von bereits vorhandenen Bauteilen, die Richard Neutra errichtet hatte. Die "Crystal Cathedral" gilt daher auch als eines der Hauptwerke der modernen Sakralarchitektur. Aus der "Crystal Cathedral" kommt die TV-Sendung "Hour of Power", die allwöchentlich weltweit von bis zu 30 Millionen Menschen gesehen wird.

Das Phänomen der Megachurches erregt internationales Aufsehen. Der Religionssoziologe Scott L. Thumma vom Hartford-Institut meint, mit etwa sieben Millionen Anhängern würden die Megachurches die drittgrösste religiöse Gruppe in den USA darstellen, gleich hinter der römisch-katholischen Kirche und der "Southern Baptists Convention". Genaue Zahlen hat niemand, weil es in den USA - einem Land mit mindestens 100 Millionen Bewohnern, die "unchurched" sind und daher keiner Konfession angehören - Religionsstatistiken nach mitteleuropäischer Vorstellung nicht gibt.

Seichte Bewegung?

Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Pfarrer Samuel Kobia, kritisiert den religiösen Trend: "Theologisch gesehen hat diese Bewegung keine Tiefe. Das kann gefährlich sein, denn es scheint sich eine Art Christentum zu entwickeln, das zwar drei Kilometer lang, aber nur fünf Zentimeter tief ist". In den Megachurches konzentriere man sich nur darauf, dass sich die Leute "gut fühlen". Viel mehr sei nicht dahinter.

Die meisten Megachurches sind konfessionell ungebunden, wenngleich ihr Hintergrund zumeist die protestantische Theologie evangelikaler Prägung ist. Umfangreiche technische Ausstattung wie Konzertbühnen und professionelle Licht- und Tontechnik gehören dazu; visuelle und akustische Effekte im Stil der aktuellen Jugendkultur sind selbstverständlich. Denn die Megachurches werden vorwiegend von jungem Publikum besucht.

Viel Aufwand für Junge

Duncan Dodds, "Geschäftsführer" der "Lakewood Church", räumt ohne weiteres den hohen Stellenwert der technischen Ausstattung ein. Mit einer hoch professionellen Internetseite und einer 60‘000 Namen umfassenden "Mailing List" erreiche die Megachurch Hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt. Treffpunkt am Wochenende ist eine renovierte Basketball-Arena, in der früher die Mannschaft "Houston Rockets" trainierte. Der Lakewood-Pastor Joel Osteen rangiert auf Platz 5 der "50 einflussreichsten Christen" in den USA. Seine wöchentlichen Predigten werden in rund hundert Länder übertragen. Die Zuschauer können sich Bibelverse auf ihren Laptop laden, während eine PowerPoint-Präsentation sie durch den Gottesdienst leitet.

In den vergangenen Jahren haben die evangelikalen Gemeinden ein dichtes Marketing-Netz entwickelt. Mit Hilfe eigener Radio- und TV-Sender und eigener Verlagshäuser konnten sich die Megachurches Einfluss auf Politik und Wirtschaft des Landes erarbeiten. Es gibt eigene Schulen (Colleges), die zum "Netzwerk" der Megachurches gehören. Selbst im Immobiliengeschäft wird bereits mitgemischt.

"Die Massenkultur hat triumphiert", zitiert die Wochenzeitung "Die Zeit" den amerikanischen Sozialwissenschaftler Alan Wolfe. Das Geschäft mit der Religion scheint gut zu laufen. "Megachurches are megabusiness", schreibt das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes".

Die Grössten sind anderswo

In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul befindet sich die derzeit grösste Kirche der Welt: die "Yoido Gospel Church". Auch in Brasilien und in einigen afrikanischen Ländern wurden evangelikale Gotteshäuser enormer Grösse gebaut. Im Gegensatz dazu ist das Phänomen in Europa wenig präsent. Die "Embassy of God" in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist mit 20‘000 Mitgliedern Europas grösste Megachurch.

Datum: 16.10.2008
Quelle: APD

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service