Der US-Wahlkampf kreist um Werte

Das Weisse Haus
‚Spirit of America’: John Kerry im Mittleren Westen
John Kerry
Welcome
John Edwards

Moral und Mass, Sinn und ethische Grundlagen: Der Wahlkampf ums Weisse Haus wird zunehmend auf dieser Ebene ausgefochten. „Am Ende geht es um Werte“, sagte der Demokrat John Kerry Anfang Juli in einer Rede vor Jesse Jacksons Anhängern, in Abweichung von seinem Manuskript.

Wie lebt Amerika seinen Werten nach? Diese Frage beschäftigt die US-Bürger unter Anderem dann, wenn sie die ausländische Schelte zur Irak-Politik wahrnehmen. Sie beschäftigt sie viel dringender im Blick auf die sozialen und Erziehungsprobleme. Als Familie zu leben und ‚good kids’ aufzuziehen ist nicht einfacher geworden mit der ausufernden Konsummentalität, dem Individualismus und dem Schmutz, der sich (nicht nur über den Bildschirm) in die Stube ergiesst.

Sehnen nach verlässlicher Führung in unsicherer Zeit

Es sind nicht so sehr Wohlstand und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die die Zukunft der Nation sichern: Offensichtlich spüren mehr und mehr Amerikaner, dass es dazu Werte braucht. Im Land des Pragmatismus und des Erfolgsstrebens sehnen sich der Mann auf der Strasse, die Büroangestellte und der Farmer nicht in erster Linie nach dem kompetenten, gewandten, telegenen Macher (so sehr diese Qualitäten goutiert werden), sondern nach der verlässlichen Persönlichkeit mit starken Überzeugungen.

Diese zählen umso mehr, als Amerikaner im Vergleich mit Westeuropäern sozial weniger abgesichert sind und den rasanten Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft hautnah, oft schmerzhaft erleben. Am Sonntag schloss Kerry seine “Spirit of America”-Bustour durch die Midwest-Staaten Minnesota, Wisconsin und Iowa ab. Die Reise diente ihm dazu, seine “Pläne für die Wiederherstellung des ländlichen Amerika” unter die Leute zu bringen.


Charakter und Überzeugungen

Amerikanerinnen und Amerikaner werden auch in diesem Herbst mit dem Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung wählen gehen. Doch primär wollen sie sehen, “was im Kern des Kandidaten fürs Weisse Haus steckt”, wie ein Politberater formuliert. Bushs Kampagnenmanager haben nicht gezögert, Kerrys charakterliche Festigkeit mit dem Hinweis zu unterminieren, er habe über die Jahre in fast jeder politischen Frage seine Meinung geändert.

George W. Bush gewann das Oval Office, indem er Hoffnung auf „konservative Politik mit Mitgefühl“ weckte. Kerry kommt in den letzten Wochen ständig zum V-Wort (Values, Werte) zurück. Die New York Times zählte es acht Mal in einer 36-Minuten-Ansprache vor Führern der spanischsprechenden Minderheit.

Ob Kerry nun seinen Lebenslauf ins Spiel bringt, Mindestlöhne oder Migrationsfragen anspricht – es geht um Werte. Damit grast der Senator aus Massachusetts laut der Zeitung auf dem Feld der Grand Old Party; er “legt sich zunehmend einen traditionell republikanischen Refrain zu, um seiner Kampagne – und sich selbst – eine Grundlage und ein moralisches Umfeld zu geben“.

Welche Werte?

Kerry ist ein ‚liberaler’ Katholik (wegen seines Ja zur freien Abtreibung wird debattiert, ob er von der Eucharistie ausgeschlossen werden sollte). Wenn er im Land, wo Kirchen und Staat getrennt sind, sogar Gott erwähnt, etwa im Rückblick auf seinen Prostatakrebs, oder formelhaft, dass Gott die Soldaten segne, ist Kalkül im Spiel.

JFK sucht jene Stimmbürger anzusprechen, die die Politstrategen als „Wähler mit säkularen Werten“ (secular values) einstufen – Leute, die der Karriere nicht die Familie opfern wollen, die um die Chancen ihrer Kinder besorgt sind und um das Image der USA in der Welt.

Schutz der Ehe als Top-Wahlkampfthema

Unter diesen Wählern soll George W. Bush an Ansehen verloren haben, vor allem wegen des Irak-Kriegs. Der Amtsinhaber hat im Unterschied zu seinem Vorgänger die Nation nicht mit Sex-Geschichten abgelenkt. Nach den Lewinsky-Wirren nahm er für sich in Anspruch, dem „Ehre und Würde" des Weissen Hauses wiederherzustellen.

Er hat in den letzten Monaten auf die traditionelle Ehe gesetzt und sich gegen die Bemühungen um die Gleichstellung der homosexuellen Partnerschaften ausgesprochen. In seiner wöchentlichen Radioansprache ans Volk sagte Bush, die USA müssten mit einem Verfassungszusatz die Ehe als die Verbindung von Mann und Frau bestimmen; um den Bemühungen von Aktivisten und Richtern für ‚gay marriage’ einen Riegel zu schieben, habe die Nation keine andere Wahl.

Die evangelikalen Christen und einen Teil der konservativ gestimmten Bevölkerung hat er damit hinter sich – um die Leute mit ‚secular values’ wird er bis November kämpfen.


Webseite des Weissen Hauses: www.whitehouse.gov

Datum: 14.07.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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