Ägyptens Christen atmen auf

Kairos Hinwendung zu Russland ist Kopten sympathisch

Beobachter hatten nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes am Nil
Das koptische Kloster Deir as-Suriani in Wadi Natrun, Ägypten

neue Unruhen befürchtet. Warum sie ausgeblieben sind, erläutert Nahostkenner Heinz Gstrein.

Ägyptens junger Weg zu einer wirklichen Demokratie nach fast 60 Jahren unter den drei Diktatoren Nasser, Sadat, Mubarak und dem Zwischenspiel eines strikt islamischen Staates unter den Muslimbrüdern festigt sich spürbar.

Die Aufhebung vom Ausnahmezustand und nächtlichem Ausgehverbot Ende letzter Woche bewährt sich: Die frische Freiheit hat keine bedeutenden Gewaltausbrüche der inzwischen verbotenen Bruderschaft ausgelöst. Nur in Alexandria sind zwei Tote zu beklagen, was aber im Vergleich zu dem bisherigen Blutzoll bescheiden erscheinen muss. Und die Wochenend-Unrast in einer Textilstadt des Nildeltas hatte soziale und nicht religiöse Ursachen. Vor allem sind neue Gewaltakte gegen die koptischen Christen ausgeblieben.

Das dürfte vor allem auf einen Wandel in der Muslimbruderschaft selbst zurückzuführen sein. Ihre radikalen Exponenten, mit Ex-Präsident Mursi und dem «Obersten Geistlichen Führer» Badie an der Spitze, sitzen hinter Schloss und Riegel und sind so unschädlich gemacht. Ausserdem wurden die Muslimbrüder als Nichtregierungs-Organisation (NGO) in die Illegalität verbannt. In ihrer neu gegründeten Ersatz-«Allianz» geben gemässigtere Persönlichkeiten den Ton an. Sie sollen, wenn auch nur aus taktischen Gründen, den Stopp aller Aggressionen gegen die ägyptischen Christen beschlossen haben. Vor dem Arabischen Frühling von 2011 gab es immerhin eine Handvoll koptischer Abgeordneter auf der Liste der Muslimbrüder.

Ihre neuen Führer bieten seit Sonntag dem derzeitigen Regime um den starken Mann, Generaloberst Sissi, sogar einen Versöhnungsdialog an. Dabei wird erstmals keine Wiedereinsetzung des am 3. Juli gestürzten und seitdem inhaftierten Muslimbruder-Präsidenten Muhammad Mursi als Vorbedingung für jedes Gespräch gefordert. Damit bahnt sich eine beruhigende Entwicklung an. Diese entspricht auch den Wünschen, die Europäer und Amerikaner gegen jedes autoritäre Dauerregime am Nil deponiert haben.

Eine bleibende Folge dieser teils massiven Kritik ist allerdings Ägyptens erneute Hinwendung zu Russland wie in den 1960er Jahren. Das ist aber den koptischen Orthodoxen nicht unsympathisch. Schliesslich regieren heute in Moskau nicht mehr Kommunisten, sondern der orthodoxe Christ Putin. Dem amerikanischen Präsidenten Obama haben die ägyptischen Christen wegen seines islamischen Familienhintergrunds und des arabischen Vornamens Barak (der Gesegnete) von Anfang an nie recht über den Weg getraut.

Datum: 18.11.2013
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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