„Wir werden eure Männer und Söhne töten“ – wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?

Chad Frauen
Karte vom Tschad und Sudan
Frauen aus Sudan
Frauen aus Chad
Sudan Frauen

Vielen zehntausend Vertriebenen in Darfur drohen Hunger, Krankheit und Tod. Doch das Morden und Plündern der Banden hält an, während internationale Hilfe – wieder einmal zu spät – angelaufen ist. Die UNO, die USA und Grossbritannien verstärken den Druck auf die sudanesische Regierung, die die Milizen offensichtlich deckt. Die Volksbewegungen von Darfur haben die Verhandlungen mit Khartum abgebrochen.

Über eine Million Menschen sind in Darfur vertrieben worden; 30'000 sollen umgekommen sein. Der britische Premier Tony Blair erwägt nach Zeitungsberichten den Einsatz von Truppen im Sudan. Er hat entsprechende Planungen angeordnet.

UNO-Generalsekretär Kofi Annan warnte Khartum am Mittwoch, die Staatengemeinschaft werde eingreifen, wenn es dem mörderischen Treiben der Banden nicht Einhalt gebiete. Die Milizen müssten unverzüglich entwaffnet werden. Annan forderte die Weltgemeinschaft auf, einen Völkermord zu verhindern.


Khartum ‚will Schwarze ausrotten’

Aber das ist ziemlich genau, was die arabische islamistische Regierung in Khartum will. Jedenfalls meint dies der aus Ostafrika stammende Menschenrechtsexperte Makau Mutua. Der in Buffalo im Osten der USA lehrende Jus-Professor betont, dass Darfur „nicht eine zufällige Apokalypse von Massenmorden, Versklavung, Plünderung und ethnischer Säuberung ist“.

Vielmehr sei das Geschehen der letzten Jahre „Teil eines historischen Verlaufs, in dem mehrere Regierungen nacheinander versucht haben, schwarze Afrikaner in dieser Nation mit zwei Rassen völlig auszurotten“. Daher genügten humanitäre Anstrengungen nicht. (Inzwischen untersuchen Beamte des US-Aussenministeriums in der Befragung von Vertriebenen, ob in Darfur ein Völkermord geschieht.)

Muslime killen Muslime

Die Tatsache, dass die schwarzen Bewohner von Darfur wie die Araber Muslime sind, hat laut Mutua die arabischen Janjawid-Milizen und die Regierung nicht vom Versuch abgehalten, sie auszulöschen, schreibt Mutua. „Rasse, nicht Religion, ist die eigentliche Bruchlinie im Sudan, auch wenn im Süden der religiöse Gegensatz gewiss wie Öl im Feuer gewirkt hat“.

Die Araber im Norden hätten sich seit der Unabhängigkeit des Sudan (seine Grenzen wurden kolonial festgelegt!) nie auf eine Machtteilung mit den Schwarzen eingelassen, obwohl – oder eben weil – die Bodenschätze des Landes im Süden liegen.

Massenvergewaltigung ‚als Kriegswaffe’

Amnesty International klagt Sudan (noch) nicht des Völkermords an. In einem Bericht bezichtigt die Menschenrechtsorganisation die Milizen aber der massenhaften Vergewaltigung schwarzer Frauen und Mädchen „als Kriegswaffe“ zur Demütigung und Einschüchterung. Für Amnesty http://web.amnesty.org/library stellen die sexuellen Untaten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

„Die schauerliche Natur und der Umfang der Gewalt, die ganzen Gruppen in Darfur angetan wird, scheint eine Form kollektiver Bestrafung einer Bevölkerung zu sein, deren Mitglieder sich bewaffnet gegen die Zentralregierung erhoben haben. Die Gewalt kann verstanden werden als Warnung an andere Gruppen und Regionen.“

Rassismus unter Muslimen

Manche Frauen schämen sich, von ihrem Leiden zu reden. Eine Frau aus Silaya, im fünften Monat schwanger, wurde mit acht anderen im Juli 2003 entführt. „Fünf bis sechs Männer vergewaltigten uns der Reihe nach, einer nach dem andern, für Stunden, während sechs Tagen, jede Nacht. Mein Mann konnte mir das nicht verzeihen. Er hat mich weggeschickt.”

Die schwarzen Frauen werden auch rassistisch beschimpft. Eine Frau bekam zu hören: „Ihr Schwarzen habt das Land verdorben. Wir werden eure Männer und Söhne töten und mit euch schlafen. Ihr werdet unsere Frauen sein!“

Lüge, wo man hinsieht: Khartum deckt die Banden

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat Dokumente vorgelegt, die beweisen, dass die sudanesische Regierung die arabischen Janjawid-Milizen rekrutiert, bewaffnet und deckt, welche Darfur seit Anfang letzten Jahres verheeren.

Nur wenige Tage nach Präsident al Bashirs Erklärung, „alle militärischen Operationen in Darfur“ würden eingestellt (9. Februar 2004), wurden die Provinzbeamten angewiesen, die Rekrutierung und Unterstützung von Kämpfern zu verstärken!

Die Ordnungskräfte in Nord-Darfur erhielten Order, die Janjawid nicht zu stören, „um ihre Autorität nicht in Frage zu stellen“. Sie sollten „kleine Vergehen der Kämpfer gegen Zivilpersonen, die vermutlich zu den Rebellen gehören, übersehen”! HRW liegt auch ein Konzept für die Wiederbesiedlung von Land vor, von dem Schwarze vertrieben worden waren.

Janjawid werden nicht entwaffnet

HRW-Direktor Kenneth Roth sagte vor den Medien in New York, es sei Zeit, der Fiktion der unabhängig handelnden Milizen den Abschied zu geben. Offenbar werden Janjawid-Milizionäre nicht entwaffnet, sondern in eben die Ordnungskräfte eingebunden, mit welchen die Regierung die Janjawid angeblich bekämpfen will!

Khartum dürfe mit seinem Doppelspiel – einerseits kooperative Fassade zur Staatengemeinschaft, anderseits relative Untätigkeit gegenüber den fortdauernden Gräueln – nicht weiter Erfolg haben, sagte Roth. Die Resolution des Sicherheitsrats bewirke gar nichts, da sie nur den Janjawid das Reisen und Geldtransaktionen verbiete, nicht aber Sudans Politikerelite.

Verhandlungen abgebrochen

Die sudanesische Regierung hat unter massivem Druck wieder einmal Nachgiebigkeit signalisiert. Aber die Friedensgespräche über Darfur zwischen Khartum und der Sudanesischen Befreiungsbewegung (SLM) sowie der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung (JEM) wurden vor einer Woche für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt.

Die Unterhändler der beiden Bewegungen reisten aus Addis Abeba ab mit der Begründung, die sudanesische Regierung halte sich nicht an bisherige Abkommen. SLM und JEM fordern einen konkreten Zeitplan für die von der Regierung zugesagte Entwaffnung arabischstämmiger Milizen in Darfur.

Nothilfe aus der Schweiz

Caritas Schweiz und HEKS leisten gemeinsam mit anderen grosskirchlichen Hilfswerken mit einem umfassenden Programm Nothilfe zugunsten der Opfer des bewaffneten Konflikts in Darfur im Westen des Sudans. Das Nothilfeprogramm beinhaltet den Bau von Notunterkünften, die Lieferung von überlebenswichtigen Gütern wie Kochutensilien, Seife und Lebensmitteln, die Verbesserung der Wasserversorgung sowie verschiedene sanitäre Massnahmen.

Das internationale Konsortium von kirchlichen Hilfswerken will 500’000 Menschen in der Region von Nyala im Westen und Süden von Darfur Hilfe bringen. Caritas Schweiz stellt für die Nothilfe für Darfur-Flüchtlinge insgesamt 300’000 Franken zur Verfügung: zwei Drittel für das umfassende Nothilfe-Programm im Westen und Süden von Darfur, ein Drittel für die drei von Caritas geführten Flüchtlingslager in Tschad nahe der Grenze zum Sudan. HEKS beteiligt sich mit 100’000 Franken am Nothilfe-Programm in Darfur. Das Nothilfe-Programm wird von der Glückskette unterstützt.

Neue Gefahren durch den Regen

Auch die Global Alliance, zu der das Allianzhilfswerk Tear Fund Schweiz gehört, ist im Sudan und im Tschad aktiv. Tear Fund Grossbritannien beschrieb am Donnerstag den Katastrophen-Alltag in einer Pressemitteilung: „Tausende von Flüchtlingen kommen täglich in den Lagern an. Sie haben nichts als ihre Kleider. Die Lager quellen über – 57'000 Menschen sind in Kalma, das auf bloss 26'000 Personen ausgelegt ist. Flüchtlinge schlafen im Frauen; sie haben zuwenig Nahrung und Trinkwasser ist knapp.“

Nach den Regenfällen werden Fäkalien (auch von Kühen) in die Wasserquellen gespült – was tödliche Gefahr vor allem für geschwächte, unter Flüssigkeitsmangel leidende Kinder mit sich bringt.

Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars"
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
12. Teil Die Sternstunde
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten

Datum: 24.07.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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