Negative Auswirkungen

Einsamkeit und soziale Isolation beeinflussen unser Immunsystem

«Es ist nicht gut, wenn der Mensch allein sei.» (1. Mose Kapitel 2, Vers 18) Mit diesem kernigen Satz spricht Gott gleich nach der Erschaffung des Menschen etwas Wesentliches über uns aus: Wir Menschen sind keine Einzelgänger, sondern Beziehungswesen. Wir sind auf ein Gegenüber und ein soziales Umfeld angewiesen. Fehlt uns das, sei es durch Einsamkeit oder soziale Isolation, wirkt sich dies negativ auf uns aus. Ein Bericht von Molekularbiologe und Theologe Beat Schweitzer.
Einsamkeit (Symbolbild)
Beat Schweitzer

Dass einsame Menschen häufig depressive Symptome entwickeln oder andere psychische Leiden aufweisen, ist schon länger bekannt. Es überrascht nicht, dass Einsamkeit auch Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. Einsamkeit kann dazu führen, dass man sich zurückzieht, körperlich weniger aktiv und weniger an der frischen Luft ist. Man begegnet der inneren Leere mit einer «aufmunternden», aber nicht unbedingt gesunden Ernährung.

Immer deutlicher zeigen Studien, dass Einsamkeit und soziale Isolation direkte Auswirkungen auf unser Immunsystem haben. Eine amerikanische Forschungsgruppe konnte vor einigen Jahren nachweisen, dass soziale Isolation einen Einfluss auf die Genaktivität in Monozyten hat. Monozyten sind eine Untergruppe der weissen Blutkörperchen, die in der Immunabwehr eine wichtige Rolle spielen. Die Forscher fanden heraus, dass in den Monozyten Gene aktiviert wurden, die Entzündungen fördern können und die Immunabwehr gegen Viren schwächen. Gleichzeitig vermehrte sich eine Untergruppe der Monozyten, in denen diese Gene besonders stark aktiviert waren. Diese Beeinflussung des Immunsystems kann Folgen haben: Die Anfälligkeit für chronische Entzündungen und Blutgefässerkrankungen erhöht sich. 

Unterschiedliche Reaktion – ähnliche Folgen

Den Einfluss auf Entzündungsmechanismen durch Einsamkeit und soziale Isolation hat eine englische Forschungsgruppe kürzlich genauer unter die Lupe genommen. In einer Metastudie analysierten sie bereits vorliegende Forschungsergebnisse, um daraus weiterführende Erkenntnisse zu gewinnen. Sie untersuchten 14 Studien, die sich mit Auswirkungen von Einsamkeit (subjektive, gefühlte Isolation) beschäftigten, und 16 Studien, welche die soziale Isolation (objektive Isolation) im Fokus hatten.

Das Ergebnis legt den Schluss nahe: Einsamkeit und soziale Isolation wirken sich messbar auf Prozesse im Körper aus. Die meisten Studien zeigten einen Zusammenhang mit der Konzentration von C-reaktivem Protein (CRP), Interleukin-6 (IL-6) und Fibrinogen. Das sind Substanzen, die als Anzeichen für Entzündungen gelten und in der körpereigenen Immunabwehr oder der Bildung von Blutgerinnseln eine wichtige Rolle spielen. Interessanterweise gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen Einsamkeit und sozialer Isolation: Letztere hat auf IL-6 keinen Einfluss. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich Einsamkeit und soziale Isolation auf unterschiedliche Art und Weise auf das Immunsystem auswirken, im Resultat aber ähnliche Folgen haben. 

Wenn Schutzmassnahmen zum Bumerang werden

In Zeiten von Corona lassen solche Studien aufhorchen. Aus nachvollziehbaren Gründen werden heute bestimmte Personengruppen unter besonderen Schutz gestellt und abgesondert. Doch das kann zu sozialer Isolation und Einsamkeit führen. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass diese Massnahmen einen negativen Einfluss auf das Immunsystem dieser Personen haben können. Wir kommen damit quasi vom Regen in die Traufe. Die Schutzmassnahme kann zum Bumerang werden.

Gerade als Kirchen sind wir herausgefordert, uns darauf zu besinnen, dass es auf verschiedenen Ebenen nicht gut ist, dass der Mensch allein ist. Unsere Aufgabe ist es, angemessene Wege zu finden, um uns einsamer Menschen anzunehmen. Unabhängig davon, ob Corona oder nicht.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin INSIST.

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Datum: 23.12.2020
Autor: Beat Schweitzer
Quelle: Magazin INSIST

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