Was liegt in unserer Macht?

Livenet-Talk: «Nächstenliebe im Sturm der Meinungen»

Vier Gäste diskutierten am Tag nach Bekanntgabe der neuen Corona-Massnahmen (Livenet berichtete) über Herausforderungen und die Rolle der Christen in der Krise. Dabei ging es um Zusammenhalt, Bereitschaft zum Zuhören, Perfektionismus und Weihnachten.
Menschen am Bahnhof
Giancarlo Voellmy
Andreas Keller (Bild: zVg)
Peter Schneeberger
Barbara Stotzer-Wyss

Verschiedene Meinungen zur Corona-Situation erhitzen gegenwärtig die Gemüter. «Die Nerven liegen bei einigen blank», sagte Moderator Florian Wüthrich zum Einstieg ins Gespräch und schilderte eine Szene am Bahnhof Bern, die er vor ein paar Tagen beobachtet hatte: «Da hat eine Frau ein Paar beschimpft, weil die beiden die Maske nicht trugen. Dann eskalierte die Situation: Die Frau, wohl etwas alkoholisiert, schüttete Bier in Richtung des Paars. Darauf ging der Mann auf die Frau los und leerte das ganze Bier auf den Boden… Solche Situationen, die man im öffentlichen Raum beobachten kann, zeigen die angespannte Stimmung in unserem Land.»

Keine Normalität in Sicht

Andreas Keller (Stiftung Schleife Winterthur) stimmte zu, dass die zweite Welle vielen Menschen spürbar zusetzt: «Nachdem im Sommer die Hoffnung auf die wiederkehrende Normalität aufkam, erleben jetzt viele Menschen die Situation als mühsam.» Er selbst sieht die Chance, sich auf sein Lebensfundament zu besinnen.

Giancarlo Voellmy, reformierter Pfarrer in Linden, steht den Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 eher kritisch gegenüber. «Ich glaube, dass wir die Sache etwas gelassener angehen sollten», sagt er und hält fest, dass man die Pandemie mit den Massnahmen unmöglich in den Griff kriegen könne.

Auch Peter Schneeberger (Präsident Freikirchen Schweiz) glaubt nicht, dass der Virus auf die Schnelle überwunden werden kann. Er vergleicht die Situation mit der Besteigung eines Berges. «Mir erscheinen die ganzen Corona-Massnahmen wie ein Berg ohne Bahn, die uns raufbringen kann. Wir können den Berg nur Schritt um Schritt erklimmen.»

Erhitzte Gemüter

Barbara Stotzer-Wyss (Bereichsleiterin am IGW) sagt: «Die Corona-Situation ist komplex und chaotisch. Es ist unmöglich, einfache Antwort zu finden und das verunsichert viele.» Menschen haben verschiedene Meinungen und befolgen die Schutzmassnahmen entsprechend unterschiedlich. Auch christliche Gemeinden sind von spannungsgeladenen Diskussionen betroffen.

«Es ist ein politischer Geist, der in unsere Gemeinden eindringt», meint Andreas Keller. «Nicht, dass politische Debatten in der Gemeinde keinen Platz finden sollten, wir sollten aber einen höheren Weg gehen.» Damit meint er, sich auf das zu besinnen, was uns vereint. Durch Jesus verbunden zu sein, muss mehr Gewicht haben, als unterschiedliche Meinungen über Corona. Auf dem höheren Weg geht es um die Liebe – für Gott und füreinander. «Ich glaube, dass es ein geistlicher Kampf ist, um nicht von den politischen Diskussionen vereinnahmt zu werden und den höheren Weg zu beschreiten. Wir müssen daran denken, dass wir Christen zusammen gehören und die Ewigkeit zusammen verbringen.»

Einen sinnvollen Dialog suchen

«Auf Plattformen wie Facebook wird oft kontrovers diskutiert», erzählt Giancarlo Voellmy. «Wer da mitmacht, sollte diese verschiedenen Meinungen aushalten können. Ansonsten empfehle ich Leuten immer, solche Foren zu meiden.» Er selbst schätzt den offenen Austausch und glaubt, dass dieser momentan wichtig ist.

Peter Schneeberger wird oft von Menschen kontaktiert. «Als Zeichen der Wertschätzung beantworte ich auch jedes Mail, selbst dann, wenn ich darin angegriffen werde.» Er hat aber auch Grenzen in Bezug auf Fragestellungen, über die er mit Menschen diskutiert. «Das sind Fragen, wie beispielsweise über die Ursprünge des Virus. «Ich diskutieren nur über die Themen, die zumindest einmal in der NZZ abgebildet wurden.» Voellmy unterstützt die Meinung, dass die NZZ einer grossen Vielfalt unterschiedlicher Meinungen Raum gibt.

Gut genug, um weiterzugehen

Peter Schneeberger meint, dass wir unsere Bemühungen vermehrt als «gut genug» betrachten sollten und dann weitergehen können. «Oft erlebe ich Christen als viel zu perfektionistisch. Wir haben dann immer das Gefühl, die Schutzmassnahmen nicht gut genug umzusetzen. Stattdessen sollten wir mal sagen: Es ist gut genug, um vorwärtszugehen und mich um meinen eigentlichen Auftrag zu kümmern.»

Und über diesen Auftrag drehte sich ein Teil des weiteren Gesprächs. Giancarlo Voellmy spricht von seinen Bemühungen, die Probleme seines Dorfes zu erfassen und Positives reinzubringen. «Es gibt auch Möglichkeiten, über die Hoffnung auf das ewige Leben zu sprechen.» Andreas Keller betont die Wichtigkeit des Gebets und wie wir damit in der geistlichen Welt etwas bewegen können. Giancarlo Voellmy erzählt, wie sie mit dem Läuten der Kirchenglocken zum Gebet aufrufen.

Barbara Stotzer-Wyss glaubt, dass unsere Hoffnung konkret sichtbar werden kann. Einige verlieren ihre Arbeitsstelle, andere werden krank und noch andere leben in einem schlechten sozialen Umfeld. Ihnen allen können wir Hoffnung bringen und die Strahlkraft von Jesus leuchten lassen.

Und was ist jetzt mit Weihnachten?

Irgendwann kam das Thema «Weihnachten» auf. Peter Schneeberger ist überzeugt, dass die Massnahmen über Weihnachten gelockert werden sollten. «Wir sollten auf Eigenverantwortung setzen. Die familiären Weihnachtsfeiern sind für uns sehr wichtig.»

Barbara Stotzer-Wyss glaubt, dass Weihnachten eine Chance ist, sich aufs Wesentliche zu besinnen, eine Möglichkeit, die wir nicht ungenutzt verstreichen lassen sollten.

Wiederholt führt das Gespräch zum Punkt, dass wir tun sollten, was in unserer Macht und Verantwortung steht und unsere Energie nicht in Dinge verschwenden, die wir ohnehin nicht beeinflussen können. In diesem Sinne soll das Schlusswort Peter Schneeberger gehören: «Ich habe gelernt, dort Einfluss zu nehmen, wo es mir auch wirklich möglich ist, etwas zu verändern. Und genau dies möchte ich allen Christen empfehlen.»

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Datum: 30.10.2020
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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