Gegensätze, die keine sind

Der alte Streit: Beten oder behandeln?

Im Zuge der Covid-19-Pandemie kocht gerade der uralte Streit wieder hoch: Sollte man lieber für Heilung beten oder alles medizinisch Mögliche tun? Auslöser war ein Pressefoto, das den US-Vizepräsidenten Mike Pence zusammen mit einer 15-köpfigen Corona Task Force im Weissen Haus zeigt – beim Beten. Über Twitter wurde das Bild tausendfach geteilt. Meist mit dem Kommentar: «Jetzt sind wir geliefert …»
Mike Pence betet zusammen mit der Corona Task Force im Weissen Haus (Bild: Official White House)

Während sich viele Christen positiv zu dem Foto äusserten und es als «berührend» oder «ermutigend» bezeichneten, kritisierten andere, dass kaum Mediziner im Bild seien. Eine Virologin ärgerte sich über wissenschaftliche Sitzungen, die mit Gebet beginnen, und ein Wissenschaftspädagoge ergänzte, dass die Coronavirus-Krise Wissenschaft erfordere, «kein magisches Denken». Diese Auseinandersetzung ist nicht neu. Seit langem schon geraten Religion und Wissenschaft in solchen Fragen immer wieder aneinander. In einem Artikel in «Christianity Today» verweist der Historiker James C. Ungureanu auf eine ähnliche Auseinandersetzung im 19. Jahrhundert.

Queen Victoria und ein seltsamer Wettbewerb

Im Herbst 1871 erkrankte Albert Edward, der Prinz von Wales, schwer an Typhus. Eigentlich war die Situation aussichtslos, doch Queen Victoria bat die britischen Christen, für ihn zu beten. Tatsächlich wurde der Prinz wieder gesund. Zum anschliessenden Dankgottesdienst in die Westminster Abbey lud die Monarchin allerdings nur Geistliche ein, keine Wissenschaftler. Was folgte, war ein langer Schlagabtausch zwischen Theologen und Naturwissenschaftlern: Sollte man nicht lieber auf die Medizin vertrauen? Aber was war mit Gebetserhörungen oder sogar Wundern? Beide Seiten warfen sich vor, die Erfolge des jeweils anderen zu ignorieren. Die (damals) bekanntesten Vertreter in der Auseinandersetzung waren der Theologe James Mozley und der Physiker John Tyndall. Da sie mit Argumenten nicht weiterkamen, überlegten sie sich ein Experiment. Sie wollten die Abteilung eines Krankenhauses für drei bis fünf Jahre reservieren. Dort sollten schwerkranke Patienten in zwei getrennte Gruppen aufgenommen werden: Die einen sollten rein medizinisch behandelt werden und kein Gebet bekommen. Für die anderen sollte intensiv gebetet werden, ohne dass sie jedoch medizinische Hilfe bekämen.

Ein riesiges Missverständnis

1872 füllte die Debatte um das Messen von Gebetserfolgen die Zeitungen in England. Die meisten Theologen waren jedoch nicht glücklich über den Wettbewerb. Sie hatten keine Angst vor dem Vergleich, aber sie hielten das Ganze für ein riesiges Missverständnis. Wieso sollten Medizin und Glaube gegeneinander «kämpfen»? Was für ein Gottesbild stand hinter dem Wettstreit? Und was war die eigentliche Natur des Gebets? Ging es wirklich um einen unbedingten Verzicht auf Ärzte und Medizin? Wie würde man Familienangehörigen erklären, dass ein Patient leider verstorben war, weil ihn kein Arzt versorgt hatte: «Wissen Sie, es geht um eine Art Wette …»

Die spannende Frage nach den Wundern

Gläubigen Menschen zu allen Zeiten war es wichtig, dass Gott in irgendeiner Form in den Ablauf der Geschichte eingreifen konnte – und wollte. Gebet spielte dabei schon immer eine wichtige Rolle. Im Dienst von Jesus unterstrichen Wundertaten seinen Anspruch, Gottes Sohn zu sein. So erklärte er dies selbst: «Blinde werden sehend, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote werden auferweckt, Armen wird das Evangelium verkündigt» (Lukas, Kapitel 7, Vers 22).

Mit der Reformation wurden die Wunder neu bewertet. Für Johannes Calvin war die Zeit der Wunder vorbei. Für Martin Luther waren sie gar «lügnerische Wunder» und «törichte Täuschung». Im Heidelberger Katechismus unterstrich er stattdessen Gottes Vorsehung: «Die Vorsehung ist die allmächtige und gegenwärtige Kraft Gottes, durch welche er alles, Himmel und Erde samt allen Geschöpfen, erhält und regiert. Laub und Gras, Regen und Dürre, fruchtbare und unfruchtbare Jahre, Essen und Trinken, Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut, und alles andere geschieht nicht zufälligerweise, sondern wir erhalten es aus seiner väterlichen Hand.»

Beten oder nicht?

Ist es nun richtig und wichtig zu beten? Aber ja! Und es ist durchaus möglich, dass Gott so etwas wie ein Wunder tut – auch wenn das nicht die Regel ist. Aber Gebet war noch nie das Heraufbeschwören von Wundern. Stattdessen ist es ein Reden mit Gott. In Zeiten von Krankheit oft ein Klagen. Es findet nicht immer eine Antwort – aber Gott klagt mit uns. Wir nehmen damit wahr, was Gott bewegt. Es bringt uns Gottes Weisheit. Beim Beten unterstreichen wir, dass wir nicht alles unter Kontrolle haben. Wir wenden uns darin an den Schöpfer der Welt, von dem es heisst: «Alles ist durch ihn und für ihn geschaffen; und er ist vor allem, und alles hat seinen Bestand in ihm» (Kolosser, Kapitel 1, Vers 16–17).

Dies beantwortet nicht alle Fragen: Weder zu persönlichen Schwierigkeiten noch zur Covid-19-Pandemie. Aber es sortiert die Gedanken: Natürlich sind wir auf Ärztinnen und Ärzte angewiesen, selbstverständlich ist wissenschaftliche Forschung zu Behandlungen und Impfstoffen notwendig. Gleichzeitig tun gläubige Christen gut daran, das zu tun, was sie in schwierigen Zeiten immer getan haben: Beten. Um Weisheit, Mut und Gottes Hilfe.

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Datum: 27.04.2020
Autor: Hauke Burgarth / James C. Ungureanu
Quelle: Livenet / Christianity Today

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