Smarter Medicine

Wie im Gesundheitswesen Kosten gespart werden könnten

Die Kostenentwicklung im Gesundheitsapparat hat viel mit (mangelnder) Ethik zu tun. Ausserdem sind die Anreize falsch gesetzt. Das wurde am Donnerstag an einer Tagung des Instituts «Dialog-Ethik» in Zürich deutlich. 
Der Chirurg Luzi Dubs kritisiert das kostentreibende Schweizer Gesundheitssystem.
Ruth Baumann-Hölzle

Die Krankenkassenprämien in der Schweiz steigen nächstes Jahr wiederum zum Teil massiv, wie ebenfalls am Donnerstag bekannt wurde. Muss das sein? Das fragen sich die Versicherten jedes Jahr. Die von Dialog-Ethik unter der Leitung der Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle zusammen mit der Stiftung SPO Patientenschutz organisierte Tagungen zeigte auf, dass es nicht zwingend so sein müsste. Trotz demografischen Verschiebungen und teurerer Medizin, wie die Erhöhungen Jahr für Jahr offiziell begründet werden. «Mehr ist nicht immer besser», lautete das Motto der Tagung, die zahlreiche Fälle von medizinischer Überversorgung unter die Lupe nahm. Bei optimaler statt maximaler Behandlung der Kranken könnten Milliarden gespart werden.
 
Doch das System sei angebots- und nachfragegesteuert, sagte dazu Ruth Baumann-Hölzle. Auch die Patienten trügen oft mit «unbegrenzten Erwartungen» – und weil sie hohe Prämien bezahlt haben – zur Kostenexplosion bei. Auf der andern Seite lösen Ärzte oft teure Behandlungen und Untersuchungen wie Computertomografien aus, nur um auf sicher zu gehen, auch wenn die Symptome dies nicht rechtfertigen. Stattdessen müsse das Gespräch zwischen Medizinern und ihren Patienten verbessert werden. Dies könne dazu beitragen, auf teure Behandlungen im gegenseitigen Einverständnis und sinnvollerweise zu verzichten. Hier gibt es viel Nachholbedarf, wie an der Tagung deutlich wurde.

Ärzte sagen: Weniger ist oft mehr

Eine Gruppe von Ärzten hat in der Schweiz unter dem Motto «Smarter Medicine – weniger Medizin kann mehr sein» eine Liste von Abklärungen, Tests und Therapien zusammengestellt, die in den letzten Jahren stark angestiegen sind, deren Resultate aber fraglich sind. Dazu gehören teure Röntgenaufnahmen, Bluttests für Prostatakrebs, Antibiotikabehandlungen oder Säureblockern bei Magen-Darm-Störungen. Zwar seien die Erwartungshaltungen der Patienten hoch, das Machbare zu tun. «Dass eine Leistung aber mehr Wert sein kann, wenn weniger untersucht oder behandelt wird, ist ein noch ungewohnter Gedanke», schreibt dazu der Hausarzt und Dozent Stefan Neuner-Jehle, Mitglied der Steuergruppe der Schweizer Smarter-Medicine-Kampagne.

Doch das System ist auf Umsatz eingestellt. Auf Überversorgung, sagt dazu Peter Meier-Abt, Präsident der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Wörtlich: «Das haben wir uns selber eingebrockt: Das Gesundheitswesen rentiert nur, wenn es mehr Gesunde krank schreiben kann.»

Der Chirurg Luzi Dubs, der den Ruf des «Don Quichote der Schweizer Medizin» hat, prangert auch die Tatsache an, dass im Gesundheitswesen viel gelogen werde. Zudem gebe es viel Desinformation im Internet. Es brauche eine gute Denkschule in der Medizin. Jeder Mediziner müsse sich die beiden Fragen stellen: erstens, was tue ich, das Richtige oder das Falsche? Zweitens: Wie tue ich es, gut oder schlecht? Wer das Richtige schlecht tue oder das Falsche gut oder sogar das Falsche schlecht, handle nicht zum Wohl des Patienten. «Als Gutachter stehen mir oft die Haare zu Berge», so Dubs dazu.

Unnötige Therapien können gefährlich werden

Unnötige Behandlungen erfahren laut Dubs namentlich die Zusatzversicherten. Zugespitzt sagte Dubs: «Der Hochrisikopatient ist heute der Zusatzversicherte!»

Der ehemalige Chefarzt im Spital Affoltern, Christian Hess, betonte, dass in Spitälern Ärzte mit einem Bonussystem ermuntert werden, möglichst viele Operationen durchzuführen. Er erwartet von der FMH, dass sie solche Verträge verbietet. Hier liegt auch eine Ursache dafür, dass das neue Fallpauschalen-System die Kosten nicht mindert.

Die Tagung zeigte indessen auch, dass jedes System ein Missbrauchspotenzial hat. Es braucht mehr Ethik von Patienten (die ihre Anspruchshaltung aufgeben), Spitälern (die nicht auf Umsatzmaximierung aus sind) und einer Ärzteschaft, die wirklich zum Wohl des Patienten wirkt und eine optimale Behandlung anstrebt. Und sich dafür die Zeit zum Gespräch mit dem Patienten nimmt, auch wenn das finanziell weniger attraktiv ist.

Datum: 26.09.2014
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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