Interview mit Psychiater Norbert Grossmann

Wann zum Psychiater gehen?

Im seelischen Bereich sei man nie ganz heil, von Heilung sprechen Fachleute darum nur äusserst selten, sagt der Psychiater Norbert Grossmann im Interview mit idea.
Psychiater Norbert Grossmann

Idea: Wann soll der Mensch zum Psychiater gehen?
Norbert Grossmann: Der beste Hinweis ist das eigene Gefühl: Wenn ich selbst das Empfinden habe, so kann und soll es nicht weitergehen in meinem Leben. Sodann ist auch wichtig, auf die Umwelt zu hören. Wenn andere sagen: ‹Bei dir kommt mir etwas komisch vor.› Das ist auch ein Zeichen, dass es Zeit sein könnte, Hilfe zu suchen. Das muss aber nicht immer ein Psychiater sein.

Gibt es Alternativen zum Arztbesuch?
Wenn jemand wirklich psychisch krank ist, gibt es wohl keine bessere Alternativen. Wichtigster Indikator ist da meistens der persönliche Leidensdruck.

Wie soll ich den richtigen Psychiater finden?
Wichtig ist, dass man merkt, der andere versteht mich, nimmt mich ernst. Das ist gar nicht so selbstverständlich. Untersuchungen zeigen, dass es auf dieser Ebene nicht immer klappt. Deshalb ist es legitim, gegebenenfalls auch mehrere Psychiater auszuprobieren.

Soll sich ein gläubiger Christ an einen christlich denkenden Arzt wenden?
Das muss nach meiner Erfahrung nicht unbedingt sein. Ich empfehle: Finden Sie es selbst heraus. Grundlage ist auf jeden Fall, dass es auf der Beziehungsebene funktioniert. Im Übrigen ist die Kapazität der explizit christlichen Psychiater in der Schweiz begrenzt. Nicht jeder wird einen ‹Christen› finden. Deshalb eine nötige Behandlung nicht zu beginnen, wäre aus meiner Sicht ein Fehler.

Wann weiss man, dass man geheilt ist?
Im seelischen Bereich ist der Mensch nie ganz sicher geheilt. Auf jeden Fall können wir niemanden psychisch heilen. Ein Stück der "Krankheit" bleibt als Identität "Narbe" erhalten und gehört einfach zum Leben. Wir Ärzte können da nur Weniges grundlegend verändern, aber Vieles mildern und helfen, dass es erträglicher wird.

Worauf soll ein entlassener Patient achten?
Schon während der Behandlung ist die Beschäftigung mit der Prophylaxe ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Da werden konkrete Massnahmen festgelegt und dem Patienten praktische Hilfestellung an die Hand gegeben, woran er das Wiederauftreten seiner Krankheit frühzeitig erkennen und wie er mithelfen kann, Rückfälle zu vermeiden.

Artikel zum Thema:
Mit Gottes Hilfe in der Welt wieder Tritt fassen
Psychiatrie und Glaube

Datum: 27.06.2007
Autor: Thomas Hanimann
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service