Radikales Umdenken

Professor Prabhu Guptara

Täglich empfangen wir Nachrichten und Signale, die darauf hindeuten, dass nur ein radikales Umdenken letztlich den Planeten Erde retten kann. Eine Vorreiterrolle müssen dabei die industrialisierten Länder spielen. Christen hätten schon vom Alten Testament her eine Basis, zu diesem Umdenkprozess beizutragen, meint Professor Prabhu Guptara, ein indischer Management-Berater.

Prof. Prabhu Guptara, hat diese Erde eine Zukunft, wenn sich der Gedanke einer nachhaltigen Entwicklung weltweit durchsetzen sollte?
Generell muss man sagen, dass die Erde vor einer schwierigen Zukunft steht. Sie kann nicht mit der Geschwindigkeit der urbanen und ökonomischen Entwicklung mithalten. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem ist zu fragil, das herrschende Finanzsystem zuwenig stabil und die technische Entwicklung zuwenig anpassungsfähig für Veränderungen, wie sie zum Überleben der Erde nötig wären. Die Wirtschaft erlebte im vergangenen Jahrzehnt bis zum Frühjahr 2000 einen beispiellosen Boom, nun aber ist die Situation wieder prekär. Grosse Konzerne gehen in Konkurs, Leute werden entlassen, es herrscht Verunsicherung.

Wenn die Wirtschaft Probleme hat, ist nachhaltige Entwicklung schnell kein Thema mehr. Richtig?
Im Gegenteil. Gerade die gegenwärtige Krise löst die Frage aus, was in der ökonomischen Entwicklung schief gelaufen ist und ob es Fehler im System gibt. Wir haben ein gewinnorientiertes Wirtschaftssystem. Es ermöglicht eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung, weil es Zinsen abwirft und die Konzentration grosser Geldmengen zulässt. Diese ermöglichen wiederum die rasche Entwicklung der Technologie weltweit. Die Entwicklung verläuft leicht und schnell bis zu einem gewissen Zustand, bis es wieder kollabiert. ¨

Je grösser der Boom war, desto grösser ist der Zusammenbruch. Doch die Probleme sind bereits in guten Zeiten programmiert. So hat das System keine Lösung für die Entsorgung von Abfall und unerwünschten Nebenprodukten. Die Fähigkeit der Natur, die Abfälle zu absorbieren, liegt weit hinter den produzierten Mengen zurück. Die wahren Kosten der Entsorgung sind im Preis der produzierten Güter nicht einkalkuliert. Noch weniger die indirekten Kosten. Das ist ein weltweites Phänomen. Wenn zum Beispiel die Tabakindustrie die gesundheitlichen Kosten, die sie verursacht, dem Preis zuschlagen müsste, gäbe es keine Tabakindustrie.

Wir geben die realen Kosten unserer industriellen Produktion an die Nachwelt weiter. Wir entwickeln eine hochstehende Technologie, deren indirekte Kosten aber an die Zukunft weitergegeben werden. Ein Beispiel dafür sind Pestizide, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, oder die Auswirkung von Strahlungen von elektrischen Geräten. Wir geniessen heute die Vorteile, nehmen aber die Nachteile nicht wahr.

Nimmt das Konzept der nachhaltigen Entwicklung auch diese nachhaltigen Kosten auf?
Nein, auch die nachhaltige Entwicklung berücksichtigt solche Kosten nicht. Sie gilt als Alternative im Sinne einer umweltschonenderen Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen. Sie hat insofern eine Zukunft, als sie zur besseren Schonung der Umwelt beiträgt. Sie produziert mit weniger Abfällen und mit weniger oder erneuerbarer Energie wie Sonnenenergie und Windkraft. Sie beseitigt aber die Nachteile des bestehenden Systems nur teilweise und nur am Rande.

Ausserdem gibt es weltweit viele Vorbehalte gegenüber einem konsequenten Einsatz solcher Technologie.

Der Gedanke der nachhaltigen Entwicklung ist an vielen Orten noch viel zu wenig präsent. Er greift noch viel zu wenig, und es gibt immer noch weltweite Konzerne, die sich überhaupt nicht darum kümmern. Ich möchte hier darauf verweisen, dass der Gedanke einer nachhaltigen Entwicklung bereits im Alten Testament verankert ist. Es gibt uns Regeln und Anweisungen zum Aufbau einer nachhaltigen Gesellschaft. Gottes Volk in der heutigen Gesellschaft hat das leider nicht begriffen, nicht einmal die Christen. Die meisten haben nicht verstanden, dass uns die Bibel das nötige Knowhow bezüglich Ökonomie und Technologie gibt, das für den Aufbau eines nachhaltigen Systems notwendig wäre. So war der Sabbat nicht deshalb gegeben, um die Produktion zu behindern oder die Menschen zum Gang in die Synagoge oder die Kirche zu verpflichten, sondern um Burn-out und Stress zu verhindern. Heute sind die Leute dermassen dem Stress verfallen, dass sie sich täglich 24 Stunden in Aktivitäten stürzen.

Welche Rolle könnten denn die Christen diesbezüglich in unserer Gesellschaft spielen? Sind sie nicht selbst zu stark in das geltende System eingebunden?
Das stimmt, deshalb müssen sie vorerst die Diskussion über die gegenwärtige Weltlage anstossen. Sodann geht es darum, die Zusammenhänge vertieft zu erfassen. Christen können erforschen und deutlich machen, wie Grundaussagen des Alten Testaments auf das Heute anzuwenden sind. Sie müssen aber auch deutlich machen, weshalb das alttestamentliche System durch das neutestamentliche abgelöst wurde. Nun zum konkreten Handeln. Wir müssen wissen, dass Christen mindestens 25 Prozent der Wirtschaft weltweit kontrollieren. Sie erzielen ein Einkommen von 10 Billionen Dollar pro Jahr. Wenn diese Christen ihr wirtschaftliches Handeln auf Nachhaltigkeit ausrichten würden, würden sie die gesamte Weltwirtschaft damit auf den Kopf stellen. Sie müssten, statt zinstragende Investitionen zu tätigen, in private Unternehmungen investierten, die nach ihren Vorstellungen arbeiten. Sie könnten auch verhindern, dass mit ihrem Geld unerwünschte Produkte wie zum Beispiel Waffen hergestellt würden.

Und weshalb tun sie das nicht?
Viele Christen haben ein New-Age-Verständnis ihres Glaubens. Solche Spiritualität ist individualistisch und innerlich orientiert. Die biblische Spiritualität umfasst dagegen auch unsern Körper sowie unsere Beziehungen zu Gott, zu andern Menschen und zur Welt, insbesondere auch zur Schöpfung. Wenn wir beginnen, eine ganzheitliche Spiritualität zu pflegen, bekommen alle diese Aspekte eine neue Bedeutung.

Brauchen wir eine spezielle Schöpfungsspiritualität?
Ja schon, aber eben nicht nur. Wir müssen eine biblische Spiritualität entwickeln, welche die individuellen wie auch die gesellschaftlichen und ökologischen Bezüge erfasst. Meine Beziehung zur Schöpfung ist nur ein Aspekt davon. Das Arbeiten an einer nachhaltigen Welt ist letztlich eine Sache der Herzenshaltung.

Wenn Sie Leitungsverantwortung in einer Kirche hätten, wo würden Sie beginnen, diese Einsichten umzusetzen?
Man kann an verschiedenen Orten beginnen, denn wir haben es mit einem grossen und weiten Thema zu tun. Man kann darüber predigen, in Gruppen diskutieren, aber man müsste das Thema auch in die theologische Ausbildung der Seminare und Universitäten einbringen, sodass es der Pfarrerschaft klar ist. Wir müssen aber auch darüber nachdenken, wie wir die Sache in die Gemeinden einbringen. Die Kirchen könnten einen Thinktank schaffen, der sich mit diesen Fragen befasst: für Europa, wo die Probleme vergleichsweise klein sind, aber auch für die Probleme der übrigen Welt. Wir können als einzelne und als Gruppen praktische Initiativen ergreife.

Datum: 28.03.2007
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Bausteine/VBG

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