Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer brauchen psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen – und das spürt auch die Volkswirtschaft. Laut Statistiken der Weltgesundheitsorganisation WHO kosten Depressionen am Arbeitsplatz die Unternehmen in Nordamerika und Europa 120 Milliarden Dollar pro Jahr. „Beunruhigend“ ist für Lachenmeier die Zunahme jüngerer und jüngster Patienten; anderseits haben wegen der Alterung der Bevölkerung auch immer mehr Betagte seelische Leiden. Vorweg verhüten lässt sich nur ein kleiner Teil der Erkrankungen. Lachenmeier verweist auf die „zunehmenden Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen sowie viele depressive Verstimmungen“, die mit dem Leben der Einzelnen in Familie und Gesellschaft zu tun haben; diese Umstände seien von der Politik nur schwer und nur langfristig zu beeinflussen; genannt werden eine sozialere Familienpolitik, bessere Schulbedingungen und Erziehungsberatung. (Was religiöse Orientierungen wie der christliche Glaube zur Stabilisierung des Innenlebens und zur Bewältigung von familiären Problemlagen leisten, wird im Artikel des Psychiatrie-Fachmanns nicht angesprochen.) Die 2'000 Psychiater in der Schweiz sind nicht imstande, die 100‘000 Neuerkrankungen pro Jahr zu behandeln. Den beteiligten Hausärzten fehlt laut dem Artikel meist die psychopathologische und psychotherapeutische Ausbildung, den Psychologen das Wissen über medizinische Zusammenhänge und Psychopharmaka. „Der Mangel an Fachärzten wird sich verschärfen, denn immer weniger Studienabgänger spezialisieren sich in Psychiatrie und Psychotherapie.“ Wie schafft es die Schweizer Gesundheitspolitik, „mittelfristig die optimale Behandlung allgemein zugänglich zu machen“? Lachenmeier meint, dass die Kosten dafür mehr als aufgewogen werden, wenn die Behandelten wieder arbeiten können und weniger Behandlung wegen körperlicher Leiden brauchen. Zur Förderung von ‚Mental Health‘, seelischer Gesundheit, erhoffen sich Fachleute gute Resultate von Initiativen wie dem ‚Nürnberger Bündnis gegen Depression‘. Ein Verbund von Fachleuten informiert dort die Öffentlichkeit, macht Depression zum Thema und ermöglicht einen niederschwelligen Zugang zur Behandlung, auch durch Hausärzte. „Der Vorteil liegt in einer höheren Behandlungsrate und einer schnellen Breitenwirkung, die sich in der Senkung der Suizidrate sowie der Verbesserung der Arbeitsfähigkeit niederschlägt.“ Allerdings warnt der Fachmann in der NZZ vor den Nachteilen dieses Systems, etwa der Gefahr vermehrter Fehlbehandlungen oder der Förderung der passiven Haltung der Patienten. Jedenfalls genügten solche Massnahmen nicht, um die Volkskrankheit Depression zu bewältigen. Psychiater sind laut Lachenmeier gefragt: Ärzte, die medizinisches Wissen und psychotherapeutische Kunst einsetzen und an den Verhaltensstrukturen, den Gewohnheiten der Patienten arbeiten können. Lachenmeier plädiert für Qualitätszirkel, in denen Hausärzte und Fachärzte einander unterstützen. Im Projekt «Nationale Gesundheitspolitik» sind Bund und Kantone an der Arbeit, um mehr zu tun für ‚Mental Health‘, wie dieser Bereich der Gesundheitsvorsorge im internationalen Fachjargon heisst. Lachenmeier beklagt, dass es zu wenig Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie gibt; dies habe zu tun mit „ungünstigen Arbeitsbedingungen, der hohen Belastung bei niedrigem Sozialprestige und den vergleichsweise schlechten Verdienstaussichten“. Ähnlich stellt sich die Lage bei PsychiatriepflegerInnen dar. Der Präsident des Dachverbands hofft, dass die „gegenwärtige Notsituation“ dazu führt, dass Psychiater, Hausärzte und Psychologen besser zusammenarbeiten „und jede Berufsgruppe ihren Platz in der Mental-Health- Politik kooperativ einnimmt“.Hohe volkswirtschaftliche Kosten
Viele Fachleute nicht umfassend ausgebildet
Volkskrankheit Depression
Mehr Psychiater nötig
Datum: 08.02.2003
Quelle: NZZ