Wenn der Mensch zum Nachhilfs-Schöpfer wird

Das Geschöpf als Schöpfer
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Wie ist der biblische Schöpfungsauftrag nun aber im Zeitalter der Gentechnologie zu verstehen? Sollen alle technischen Möglichkeiten im Pflanzenbau und in der Tierzucht eingesetzt werden?

Der Schöpfungsauftrag

Nach 1. Mose 1,28 soll der Mensch die Erde in Besitz nehmen und über Fische, Vögel und Landtiere herrschen. Die herkömmliche Übersetzung, dass er sich die Erde "untertan machen" solle, hat zu folgenschweren Missverständnissen geführt. Die Natur soll keineswegs der Willkür des Menschen ausgeliefert werden. Dieser Text stammt aus einem Umfeld, in dem Herrschaft und Fürsorge zusammen gehören. Die Könige im alten Orient galten zugleich als Hirten des Volkes. Darum übersetzt die "Gute Nachricht Bibel 1997" zutreffend: "Ich setze euch ... über alle Tiere, die auf der Erde leben, und vertraue sie eurer Fürsorge an." Der Mensch ist zu einem fürsorglichen Umgang mit der Schöpfung angehalten.

Diese Aufgabe wird im zweiten Schöpfungsbericht in 1.Mose 2,15 bestätigt: "Gott, der Herr, brachte den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen." Gott setzt den Menschen in einen blühenden Garten. Der Mensch findet sich als Geschöpf inmitten des Geschaffenen vor. Er soll die Erde bebauen und die Schöpfung bewahren. Gott bringt dann die Tiere zum Menschen, "um zu sehen, wie er jedes einzelne nennen würde" (1. Mose 2,19). Adam, das heisst "der Mensch", gibt allen Lebewesen einen Namen. Er legt damit den Grundstein der biologischen Systematik.

Das Geschöpf als Schöpfer

Seither ist die Entwicklung unaufhaltsam weiter gegangen. Der Mensch hat Pflanzen und Tiere beobachtet, beschrieben, ausgelesen, gezüchtet und vermehrt. Die Forschung ist immer tiefer in die Steuersysteme der lebenden Zellen vorgedrungen. Der Zugriff ist heute bis in die Erbsubstanz hinein möglich. Wo das Leben früher "geworden" ist, kann es nun im Zellkern gezielt "gemacht" werden. Was bedeutet es, wenn der Forscher mit Hilfe der Gentechnologie Teile der Erbsubstanz über die natürlichen Grenzen hinweg von einem Lebewesen auf ein artfremdes überträgt? Er tut, was die Natur von sich aus nicht täte. Er erzeugt Neuheiten, die sonst nicht entstehen würden. Erhebt sich das Geschöpf damit selbst zum Schöpfer?

Kein neues Leben im Labor

Auch der Gentechnologe kann nicht Leben schaffen, sondern er setzt die von der Natur gegebenen Gene anders zusammen. Im vielfältigen Leben bereits vorhandene Strukturen werden neu kombiniert. Er wird damit zu einem Nachhilfs-Schöpfer. Das Leben ist viel zu komplex, als dass es im Labor geschaffen werden könnte. Ein Gen mittlerer Grösse kann theoretisch auf mehr als 10 hoch 600 verschiedene Arten codiert werden. Die Anzahl prinzipiell möglicher Baupläne ist also eine Eins mit 600 Nullen - unvorstellbar!

Wenn man das Alter des Lebens auf etwa drei Milliarden Jahre schätzt, und es wäre jede Sekunde ein neuer Code hergestellt worden, so wären heute erst deren 10 hoch 17 vorhanden. Es braucht mehr als blossen Zufall, um aus den theoretisch möglichen die lebensfähigen Gene auszuwählen. Um nur schon die molekularen Voraussetzungen des Lebens zu schaffen, ist ein genialer ordnender Geist nötig. Die molekularen Strukturen sind indessen bloss eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für das Werden des Lebens. Der Gentechnologe kann nicht Leben schaffen, sondern nur verändern, was der grosse Schöpfer geschaffen hat.

Dem Auftrag treu bleiben

Bewegt sich der moderne Forscher nun immer noch innerhalb des ursprünglichen Schöpfungsauftrages oder geht er über diesen hinaus? Mit Hilfe der Gentechnologie setzt er einerseits die klassische Kombinationszüchtung auf wirksame Weise fort. Andererseits geht er über angestammte Grenzen hinaus, wenn er Lebewesen erzeugt, die nicht durch natürliches Werden entstehen könnten. Ob er damit die Schöpfung behutsam pflegt oder eigenwillig ausnutzt, hängt davon ab, wie er die Gentechnologie anwendet.

Wer dem Schöpfungsauftrag treu bleiben will, darf der Eigendynamik des technisch Machbaren nicht freien Lauf lassen. Wahre Grösse besteht in der Selbstbegrenzung. Die Schöpfung ist ein dem Menschen anvertrautes Gut, über das er nicht beliebig verfügen kann. In Verantwortung vor dem Schöpfer hat er zu handeln. Wie jede Technik, so kann auch die Gentechnologie lebensfördernd oder lebenszerstörend eingesetzt werden. Jedes gentechnologische Projekt muss daher nach strengen Kriterien beurteilt werden. Gesetzliche Richtlinien und öffentliche Bewilligungs-verfahren sind nötig. Dazu gehört nicht nur eine umfassende Technikfolge-Abschätzung, sondern auch eine Beurteilung nach ethischen Massstäben. Manchmal muss auf Machbares verzichtet werden.

Beziehung zum Schöpfer

In welche Richtung wird der Mensch als Nachhilfs-Schöpfer gehen? Es besteht die Gefahr einer einseitig am materiellen Gewinn orientierten Entwicklung. Der Schöpfungsauftrag wird verletzt, wenn Pflanzen und Tiere zum reinen Produktions-material degradiert, die Artenvielfalt abgebaut, die Macht auf wenige Grosse konzentriert und mit dem Patenrecht die Schwachen geschwächt und die Starken gestärkt werden.

Der Mensch nimmt seinen Schöpfungsauftrag dann wahr, wenn seine Arbeit in eine lebendige Beziehung zum Schöpfer eingebunden ist. Die alte Mönchsregel "bete und arbeite!" kann auch der Gentechnologe anwenden. Das bedeutet nicht nur mit klarem Kopf planen, sondern auch auf die innere Stimme des Herzens hören, wenn es um die Frage geht, was zu tun und was zu unterlassen sei.

Der Kopf mit seinem Wissen ist nötig, um folgerichtige Handlungsschritte zu planen. Doch im Herzen sitzt die Liebe zur Kreatur, das Staunen über die Schöpfung und die Ehrfurcht vor dem Schöpfer. Diese Qualitäten sind nötig, wenn wir die Schöpfung pflegen und schützen sollen. Wir brauchen nicht nur Wissen, sondern vor allem Weisheit. Sie wird jenen Menschen zuteil, die sie vom Schöpfer erbitten und in Verantwortung vor ihm handeln - auch in der Gentechnologie.

Datum: 30.03.2002
Autor: Alfred Aeppli
Quelle: Chrischona Magazin

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