Rechte und Pflichten

Ich habe ein Recht darauf!?

Kürzlich sah ich eine Sendung, in der Leute gefragt wurden, wieso sie ausgerechnet während der Pandemie in die Ferien fliegen. Die Antwort eines jungen Mannes war: Ich habe ein Recht darauf! Wirklich? Haben wir ein Recht auf Ferien oder auf sonst irgendetwas? Oder habe wir nicht vielmehr auch Pflichten?
Ferien in Rom trotz Corona? (Bild: Unsplash)
Barbara Rüegger

Als ich diesen Ausspruch hörte «Ich habe ein Recht auf Ferien», musste ich an meine Freunde in Indien denken, von denen viele im Moment leiden, weil Angehörige und Freunde krank oder gestorben sind, weil sie die für uns simpelsten Rechte, wie zum Beispiel das "auf eine anständige Gesundheitsversorgung und Sauerstoff", nicht bekamen, als sie es brauchten. Da sträubt sich dann alles in mir, wenn ich höre, dass jemand meint, er hätte ein Recht auf Ferien im Ausland.

Habe ich Rechte?

Auch als Christen erheben wir den Anspruch auf gewisse Rechte, vielleicht ist es nicht das Recht auf Ferien und Freizeit, aber wir denken, dass wir das Recht auf einen Partner oder das Recht auf eigene Kinder hätten. Schliesslich ist Familie haben ein Teil von Gottes Plan für mich und so habe ich doch ein Recht darauf, wie so viele um mich herum?

Als Schweizerin habe ich das Privileg, in einem der schönsten, reichsten und politisch stabilsten Länder zu leben. Dass dem so ist, dass ich hier geboren wurde, dazu habe ich gar nichts getan. Ich bin das Kind meiner Eltern, die «zufällig» eben in der Schweiz lebten. Ich habe keinen Rechtsanspruch darauf, an einem solch sicheren Ort zu leben, aber könnte es sein, dass ich dank dieses Privilegs die Pflicht habe, etwas daraus zu machen? Dankbarkeit dafür ist sicher etwas, aber ich glaube, es geht um mehr. Ein Recht auf etwas zu haben, bringt auch eine Pflicht mit sich! Als Schweizer habe ich das Recht, alle Strassen zu benutzen, ohne etwas dafür zu bezahlen, mal abgesehen vom jährlichen Betrag für die Autobahn-Vignette. Aber ich habe dafür die Pflicht, Steuern zu bezahlen, damit es auch weiterhin solch gute Strassen gibt.

Wie steht es nun aber um mein Recht, oder besser Privileg, in der Schweiz wohnen zu dürfen? Für mich persönlich heisst das auch, dass ich mich dafür einsetze, dass es Anderen besser geht. Das kann ich dadurch, dass ich etwas von meinem Einkommen weggebe oder dass ich meine persönlichen Fähigkeiten einbringe, zum Beispiel, indem ich mich politisch oder sozial engagiere.

Menschenrechte, Kinderrechte und die Christen

Als jemand, der seit Jahren mit Kindern arbeitet, spreche ich manchmal über Menschen- oder Kinderrechte. Da bin ich dann auch schon von Christen darauf hingewiesen worden, dass wir als Christen keine Rechte hätten, also auch keine Rechte beanspruchen dürften. Damit bin ich ja ein Stück weit einverstanden, aber was, wenn es nun nicht um meine Rechte geht, sondern um das Recht meines Nächsten? Jesus gab uns im Neuen Testament nur ein Gebot, dass eigentlich ein Doppelgebot ist: «Liebe Gott, deinen Herrn, und deinen Nächsten wie dich selbst.»

Als die Menschenrechte nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges geschrieben wurden, war einer der Hauptbeteiligten ein libanesischer Christ, dem es wichtig war, dass alle Menschen gleich waren und die gleichen Rechte besassen. Bei Kinder- oder Menschenrechten geht es also nicht darum, auf was ich ein Recht habe, sondern darum, was ich meinem Nächsten an Rechten zugestehe. Auch mein Nächster hat zum Beispiel das Recht auf genügend Nahrung, ein Dach über dem Kopf oder medizinische Versorgung, das Recht auf freie Meinungsäusserung oder den Schutz vor Ausbeutung.

Schon Kinder müssen lernen, dass die Schokolade, die die Grossmutter mitgebracht hat, für alle ist, dass die Geschwister genauso viel Recht darauf haben, ihren Anteil zu bekommen, wie ich. Von diesem Standpunkt aus gesehen, kann ich mich für diese Rechte einsetzten, ja, muss ich sogar, als Ausdruck davon, dass ich meinen Nächsten mehr liebe als mich selbst. Menschenrechte sind also nicht für mich, sondern für den anderen und wenn ich will, dass ich gut behandelt werde und meine Rechte bekomme, habe ich die Pflicht, für meinen Nächsten dasselbe zu tun.

Einfordern und zugestehen

In den letzten Wochen und Monaten scheint das für viele Leute nicht mehr so klar zu sein. Oft werden an Demonstrationen Rechte und Freiheiten eingefordert, anderen aber, die nicht die selbe Meinung haben, wird dieses Recht nicht zugestanden. Auch hier wieder: Wenn ich ein Recht für mich einfordere, habe ich die Pflicht, das auch meinem Mitmenschen zuzugestehen. Ein Recht auf etwas zu haben, bringt Verantwortung mit sich. Rechte ohne Pflichten und Verantwortung ist reiner Egoismus.

Da wird dann klar, dass eine Aussage wie «Ich habe ein Recht darauf, endlich in die Ferien zu gehen» eben kein Recht ist, da ich ja nicht dafür sorgen kann, dass der Nächste auch Ferien geniessen kann, sondern höchstens ein Privileg, für welches ich dankbar sein sollte. Jesus machte auch ganz klar, dass unser Nächster wohl nicht immer der ist, mit dem wir auch Ferien verbringen würden, sondern vielleicht der Flüchtling im Asylzentrum oder der Obdachlose auf der Strasse. Sind wir bereit, dass diese dieselben Rechte bekommen, die wir auch beanspruchen?

Zum Thema:
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Datum: 28.05.2021
Autor: Barbara Rüegger
Quelle: Livenet

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