Im Dialog mit Martin Buber

Ein christlicher Theologe und der jüdische Philosoph

Der Philosoph Martin Buber ist ein überzeugter Verteidiger des jüdischen Erbes. Er vergleicht es mit den Lehren des Christentums und sieht ihre Schwächen. Es sind zwar nicht die Schwächen des Evangeliums, dennoch können wir von Buber lernen.
Martin Buber (Bild: Wikimedia CC BY-SA 3.0 nl)
Bernhard Ott
Das Buch «Wegbegleiter in Krisenzeiten»

Mit seinem neuesten Buch «Wegbegleiter in Krisenzeiten / Impulse von Martin Buber» führt der mennonitische Theologe Bernhard Ott ein hochinteressantes Gespräch mit dem jüdischen Philosophen. Er setzt sich mit den Einwendungen Bubers ans Christentum auseinander, setzt da und dort dagegen und stellt sich der Frage, ob der jüdische Philosoph nicht echte wunde Punkte christlicher Traditionen berührt. Die Auseinandersetzung ist hoch inspirierend für die christliche Leserschaft. Sie bringt aber auch weithin unbekannte Facetten jüdischen Denkens und Lebens aufs Tapet.

Echtes Menschsein

Sie leuchten schon in Kapitelüberschriften auf wie «Errettung zum Menschsein» oder «Alles wirkliche Leben ist Begegnung». Bei Buber steht die Gottesbeziehung vor der Theologie, die Gemeinschaft vor dem Individuum, die (Gottes)Begegnung vor der Reflektion darüber. Bei der Theologie geht es um das Ich, das mit dem Du (Gott) in Beziehung steht. Gott ist nicht das Objekt, über das nachgedacht wird, sondern das personale Gegenüber. Daraus folgt: «Der Mensch wird am Du zum Ich». Für Buber ist zudem klar: Echtes Menschsein hat seine Quelle nicht in der römisch-griechischen Antike, sondern in der hebräischen Bibel.

Echte Erkenntnis

Echte Erkenntnis ist daher nicht ein rein intellektueller Vorgang. Sie kommt immer aus der Begegnung heraus, und zwar nicht mit einem «erkannten Objekt» (Gott), sondern «die Person begegnet der Person». Das setzt auch der Wissenschaft Grenzen. Bernhard Ott fasst das so zusammen: «Denken, Philosophie und Wissenschaft leisten uns enorme Dienste, wenn es darum geht, Phänomene dieser Welt sachlich präzise zu erfassen. Sie schieben sich aber, wie der Mond in der Sonnenfinsternis, zwischen uns und Gott, wenn wir mit ihren Methoden zu Gott vordringen wollen.» Buber sprach denn auch von einer «Gottesfinsternis», die die heutige Welt kennzeichnet. 

Hebräische und griechische Weisheit

Sehr bedenkenswert ist Bubers Vergleich zwischen hebräischer und griechischer Weisheit. Im griechischen Denken sei Weisheit eine Sache der Vernunft, des weisen Denkens, das aber nicht direkt mit (weisem) Handeln zu tun habe. Im hebräischen Denken dagegen habe Weisheit (chochma) direkt mit weisem Handeln zu tun. Lehre und Leben könnten hier nicht getrennt werden (wie im Christentum). 

Bernhard Ott gibt Buber in diesem Punkt insofern recht, als er sich von ihm herausfordern lassen will und dabei auf den Kern des Evangeliums verweist: «Nachfolge (Jesu) ist nicht ein Konzept des Kopfes oder der Gefühle, sondern eine Art der Lebensgestaltung. Da ist die Bergpredigt doch sehr klar! Ein Glaube, der sich in richtigen Lehrsätzen oder frommen Gefühlen erschöpft, ist nicht der Glaube, von dem Jesus spricht.» Christsein könne sich auch nicht im Streben nach dem Seelenheil erschöpfen, ergänzt Ott.

Welches Denken prägt uns?

Wie weit das Christentum tatsächlich stärker vom römischen und griechischen Denken, statt vom (biblischen) hebräischen Denken beeinflusst ist, lässt sich überprüfen, wenn man sich den vier Fragen stellt, die Ott aufgrund von Bubers Aussagen zusammenfasst:

  • Bedeutet glauben lediglich das Fürwahrhalten von Tatsachen (Ich-Es-Beziehung) oder geht es um Vertrauen (Ich-Du-Beziehung)?

  • Ist Glaube eine Leistung, die ich erbringe, oder schlicht und einfach eine unverdiente und bedingungslose vertrauensvolle Beziehung?

  • Tendieren wir dazu, Glauben und Handeln auseinanderzureissen in zwei separate, aufeinander folgende Akte, oder vollzieht sich das Vertrauen im Handeln?

  • Ist unser (christlicher) Glaube zu sehr auf uns selbst, auf das Individuum und sein Heil fixiert?

Bernhard Ott macht somit deutlich, dass sich genuines Christentum und Judentum in ihrem Kern viel näher sind, als es Buber, andere Juden und die meisten Christen meinen.

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Datum: 21.02.2021
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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