Assistierter Suizid

Deutschland: Sterbehilfe-Vorstoss evangelischer Theologen sorgt für Kritik

Führende Theologen der Evangelischen Kirche in Deutschland haben sich für assistierte Sterbehilfe in kirchlichen Einrichtungen ausgesprochen – entgegen der offiziellen EKD-Position. Die weist den Ansatz zurück. Kritik und Ablehnung kommen auch von katholischer Seite.
Frau nimmt Tabletten

Bei der Frage nach assistiertem Suizid ist sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) uneins. Offiziell hat sich die Kirche kritisch gegenüber dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts positioniert, das das Verbot der geschäftsmässigen Sterbehilfe vor knapp einem Jahr kippte. «Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen», heisst es in einer gemeinsamen Erklärung mit der Deutschen Bischofskonferenz. Die Kirchen «wollen und werden» sich «weiterhin dafür einsetzen, dass organisierte Angebote der Selbsttötung in unserem Land nicht zur akzeptierten Normalität werden». Dass dies nicht alle Verantwortlichen der EKD so sehen, wurde bereits im vergangenen Jahr sichtbar. Im August erklärte der Bischof der Hannoverschen Landeskirche, Ralf Meister, in Interviews, dass er assistierte Sterbehilfe theologisch für möglich und auch in kirchlichen Einrichtungen für denkbar hält.

Durch einen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Montag (11. Januar) haben die gegensätzlichen Positionen in der Evangelischen Kirche eine breite Öffentlichkeit bekommen und eine Debatte über die EKD hinaus ausgelöst. Verfasst haben ihn Personen, die durch ihre Ämter und Aufgaben Einfluss innerhalb der Kirche haben: Reiner Anselm, Vorsitzender der EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung, Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sowie die Praktische Theologin Isolde Karle von der Ruhr-Universität Bochum. Sie plädieren dafür, «Möglichkeiten des assistierten Suizids» in kirchlich-diakonischen Einrichtungen «anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten» – abgesichert durch Beratung im Vorfeld sowie pflegerische und palliativmedizinische Angebote. Die EKD-Ratsmitglieder Ralf Meister und Jacob Joussen sind zwar nicht als Mitautoren genannt, aber als Wegbegleiter im Diskussionsprozess für diesen Beitrag namentlich aufgeführt, ebenso wie der Palliativmediziner Friedemann Nauck.

Propaganda für Sterbeprozess im Hospiz?

«Anstatt durch eine Verweigerung Suizidwillige dazu zu zwingen, sich auf die Suche nach – möglicherweise durchaus eigennützig und nicht im Interesse des Lebensschutzes handelnden – Organisationen zu machen, dürfte es sehr viel eher Ausdruck verantwortlichen Handelns sein, entsprechende Möglichkeiten durch besonders qualifizierte interdisziplinäre Teams in den Einrichtungen zuzulassen», argumentieren die Autoren. Kirchliche Einrichtungen könnten sichere Orte für Sterbewillige sein, weil sie diese «in einem aus dem christlichen Glauben entspringenden Respekt vor der Selbstbestimmung» beraten, unterstützen und begleiten könnten. Den Gemeindepfarrer sehen die Autoren dabei in einer besonderen Rolle: Er könne am ehesten dem Druck von Angehörigen eines Suizidwilligen entgegenwirken und alle Beteiligten seelsorgerlich begleiten.

Nur wenn sich Suizidwillige in ihren Ängsten und ihrer Selbstbestimmtheit ernstgenommen fühlten, seien sie womöglich bereit, ihre Entscheidung für den Tod zu überdenken. Auch Hilfen fürs Weiterleben könnten dann leichter angeboten werden. Seelsorge dürfe nach Ansicht der Autoren keinen Druck ausüben und den Sterbeprozess etwa im Hospiz im Gegensatz zum Suizid als «Norm» des Sterbens «propagieren». Weite Kreise der Bevölkerung hätten Vertrauen in seelsorgerliches und diakonisches Handeln. Deshalb sei es wichtig, dabei «nicht vorschnell Partei zu ergreifen», indem assistierter Suizid «als unvereinbar mit dem christlichen Glauben gebrandmarkt» werde. Darin sehen die Autoren des Textes die Gefahr, die Betroffenen zu bevormunden.

Wer sein Leben beenden möchte, soll nach Auffassung von Anselm, Lilie und Karle «Unterstützungsangebote auch für den Suizid vorfinden». Dabei müsse sichergestellt sein, dass es sich beim Sterbewunsch um eine freie und eigenverantwortliche Entscheidung handele. Gleichzeitig wollen die Autoren vermeiden, dass assistierter Suizid als normal und als selbstverständliche medizinische Leistung angesehen werde.

Kritik von EKD und Katholiken

Die EKD-Spitze wies den Ansatz ausdrücklich zurück. Sie lehne jede organisierte Hilfe zum Suizid ab, «die dazu beiträgt, dass die Selbsttötung zur Option neben anderen wird», sagte ein Sprecher gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Mit palliativer Versorgung, Seelsorge, Beratung und den Hospizen versuche die Kirche zu verhindern, «dass Menschen nur noch die Möglichkeit des Suizids sehen». Auch die Deutsche Bischofskonferenz widersprach: Respekt vor der Selbstbestimmung bedeute gerade nicht, den Wunsch oder die Entscheidung zum Suizid unhinterfragt hinzunehmen, sagte Sprecher Matthias Knop der KNA. Vielmehr sei es geboten, in solchen Situationen Lebensperspektiven zu entwickeln. Beihilfe zum Suizid zu ermöglichen, sei nach Überzeugung der Bischofskonferenz «nicht die richtige Antwort».

Augsburgs Weihbischof Anton Losinger, Mitglied im bayerischen Ethikrat, bezeichnete den Vorstoss als «schiefe Ebene», die «den Ball der aktiven Sterbehilfe auf fatale Weise beschleunigt und ins Rollen bringt. Sie erfordert Einspruch und Einhalt». Auch Thomas Sternberg, Vorsitzender des Zentralkomitees deutscher Katholiken, kritisierte den Beitrag der evangelischen Theologen ebenso wie Caritas-Präsident Peter Neher. «In katholischen Einrichtungen kann es kein solches Angebot geben», stellte er klar.

Aus der CDU wurden ebenfalls ablehnende Stimmen laut. Hermann Gröhe, in der Bundestagsfraktion Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften, hob hervor: «Wer Selbsttötungshilfe zum geregelten Angebot macht, schwächt die eigenen Möglichkeiten, auch in schwieriger Lage zum Leben zu ermutigen.» Gröhe ist Mitglied der EKD-Synode. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Krauss forderte den Rücktritt Lilies als Diakonie-Präsident. Aus Landesverbänden der Diakonie kamen sowohl ablehnende wie auch zustimmende Reaktionen.

Im Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot geschäftsmässiger Sterbehilfe für nichtig erklärt und die Politik aufgefordert, eine gesetzliche Regelung für assistierten Suizid zu erarbeiten. Dazu haben auch die Kirchen Stellungnahmen abgegeben.

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Datum: 14.01.2021
Autor: Jonathan Steinert
Quelle: PRO Medienmagazin

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