Sechs Frauen ausgenutzt?

Vorwürfe gegen verstorbenen Arche-Gründer Jean Vanier

Jean Vanier soll über Jahrzehnte «manipulative sexuelle Beziehungen» gehabt haben. Das berichtet das Jesuiten-Magazin «America» unter Berufung auf interne Untersuchungen der Arche-Gemeinschaft.
Jean Vanier (Bild: Twitter)

Jean Vanier ist der Gründer der christlichen Arche-Gemeinschaften für Menschen mit und ohne geistige Behinderung. Im vergangenen Jahr ist er gestorben. Vanier, der kein Priester ist, soll dem Bericht zufolge zwischen 1970 und 2005 das seelsorgerische Verhältnis zu sechs Frauen ausgenutzt haben, die von ihm geistlichen Beistand erhofft hätten. Vanier selbst habe kurz vor seinem Tod die Beziehungen zu den erwachsenen und nicht behinderten Frauen als «einvernehmlich» bezeichnet, hiess es.

Sexuelle Nötigung

Die Frauen, die aus unterschiedlichen Ländern und Lebenssituationen kämen, erklärten dagegen, sie seien damals anfällig gewesen, und Vanier habe «seine Position und Autorität ausgenutzt». Die Arche-Gemeinschaft in den USA schätzt die übereinstimmenden Anschuldigungen als glaubwürdig ein.

Laut dem Bericht spiegelt Vaniers eigenes Verhalten sexuelle Nötigungen von Frauen, wie sie auch seinem 1993 gestorbenen geistlichen Mentor, dem Priester Thomas Philippe, vorgeworfen werden. Philippes Taten habe Vanier über Jahre gedeckt.

Weltweit rund 150 Archen

Der 1928 in Genf geborene frühere kanadische Marineoffizier Vanier hatte in einem Dorf nördlich von Paris die erste Arche-Gemeinschaft 1964 ins Leben gerufen, in der Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammenleben. Heute gibt es in 35 Ländern weltweit rund 150 Archen mit etwa 5'000 Mitgliedern. In der Schweiz existieren drei Arche-Gemeinschaften

2015 erhielt der Katholik Vanier den Templeton-Preis für Verdienste um die Menschlichkeit und Ende 2016 eine Ehrung der Französischen Ehrenlegion.

Präsident der Bischofskonferenz entsetzt

Der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort von Reims, äusserte sich entsetzt und traurig über die Vorwürfe gegen Vanier. «Wie konnte er das grässliche Spiel von Pater Thomas Philippe mitspielen, ein Komplize werden und dabei diese verrückte Vermessenheit eines höheren mystischen Zustands beibehalten?», heisst es in einer Erklärung von de Moulins-Beaufort (22. Februar). Vanier habe unendlich viel für das Leben und die Akzeptanz von behinderten Menschen getan; «wie konnte er all das in seinem Leben vereinbaren?»

Verantwortlicher fühlt sich «verraten»

Der Arche-Verantwortliche in Frankreich, Pierre Jacquand, sprach vom «Gefühl, verraten worden zu sein», und von einem «gebrochenen Herzen». «Jean Vanier war mein Freund», zitiert ihn die Zeitung «La Croix» (Onlineausgabe 22. Februar); «er hat mir so viel Gutes getan, wie Tausenden anderen Menschen auch.» Und doch habe er es «vorgezogen, uns anzulügen». Der Verantwortliche von Arche International, Stephan Posner, sagte: «Er hat ein ganzes Segment seines Lebens vor uns versteckt.»

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Datum: 24.02.2020
Quelle: kath.ch / kna

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