Podiumsgespräch: Das Verhältnis von Religion und Gewalt

Krieg und Frieden

Luzern. Sind die Religionen die eigentlichen Auslöser von Krieg und Gewalt in unserer Welt? Diese brisante Frage stand im Zentrum eines Podiumsgesprächs an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.

Die an der Diskussion beteiligten Theologieprofessorinnen und -professoren waren sich einig darüber, dass die Religionen im Umgang mit Gewalt eine ambivalente Rolle übernehmen: Einerseits waren sie oft verantwortlich dafür, dass Gewalt legitimiert wurde, andererseits haben sie aber auch das Potenzial, einen Beitrag zur Versöhnung und zum Frieden zu leisten.

Schlagzeilen von Gewalt und kriegerischen Auseinandersetzungen, bei denen im Hintergrund auch religiöse Motive eine Rolle spielen, gehören längst zum Alltag unserer Informationsgesellschaft. Und zwangsläufig tauchen gerade Zusammenhang mit den Attentaten in New York und Bali vielfältige Fragen auf: Welches Gewaltpotential wohnt den Religionen inne? Wann wird der Glaube zur Brandfackel und welche Religion taugt zur Friedensstifterin?

Bali, Belfast, Bethlehem

Die Theologische Fakultät der Universität Luzern stellte sich der Herausforderung, die Frage nach dem Zusammenhang von Religion und Gewalt im Rahmen eines öffentlichen Podiumsgesprächs mit verschiedenen Theologieprofessorinnen und - professoren zu thematisieren. "Bali, Belfast, Bethlehem: Der Umgang der Religion mit der Gewalt" lautete bezeichnenderweise der Titel der Veranstaltung, die von zahlreichen Interessierten besucht wurde.

Unter der Leitung des Dekans der Theologischen Fakultät, Professor Edmund Arens diskutierten auf dem Podium der Religionswissenschaftler Samuel-Martin Behloul, die Religionspädagogin Monika Jakobs, der Kirchengeschichtler Markus Ries und die Alttestamentlerin Ruth Scoralick.

Unheilige Allianz

Am 11. September 2001 sei die "Spannung zwischen säkularer Gesellschaft und Religion explodiert" ­ so zitierte Professor Arens in seinen einleitenden Worten einen brisanten Satz aus der berühmten Frankfurter Friedenspreis-Rede des deutschen Philosophen Jürgen Habermas. Und damit führte er gleich mitten ins Thema des Podiumsgesprächs hinein: Die Frage, ob es so etwas wie eine genealogische Verbindung zwischen Religion und Gewalt gebe, rufe nach einem selbstkritischen Blick in die Religionsgeschichte sowohl des Christentums wie auch des Islams, betonte der Religionswissenschafter Samuel-Martin Behloul: "Ich frage mich, ob die unheilige Allianz zwischen Religionen und Gewalt letztlich ein religiöses oder nicht vielmehr ein soziokulturelles Phänomen darstellt."

Ist Gott ein Gewalttäter?

Die Frage der Gewalt sei zwar ein wesentliches Thema in den heiligen Schriften. Sowohl im Koran wie auch in der hebräischen Bibel seien dazu allerdings sehr widersprüchliche Aussagen zu finden. Diese Auffassung teilte auch die Alttestamentlerin Ruth Scoralick: "Gewalt ist das grosse Thema im Alten Testament, das gerade im Buch Genesis beispielsweise mit dem Brudermord bei Kain und Abel zum Ausdruck kommt." Allerdings stehe Gott selbst nicht auf der Seite der Gewalttäter, vielmehr werde in der Bibel die Vision einer gewaltfreien Gesellschaft entwickelt.

Wider die Geschichtsvergessenheit

Dass diese Vision eines gewaltfreien Zusammenlebens allerdings in der konkreten Ausprägung der real existierenden Religionen nie in genügendem Masse durchzusetzen vermochte, ist für den Kirchengeschichtler Markus Ries offensichtlich. In seinem Statement warnte er vor unkritischer Geschichtsvergessenheit und wies darauf hin, dass die Bemühungen um eine gewaltfreie Lebenspraxis in der Regel nicht von oben, sondern von unten gekommen seien: Namentlich hätten in der Kirchengeschichte des Christentums die Armutsbewegungen die Forderung nach Gewaltlosigkeit immer wieder neu ins Bewusstsein gerufen.

Die Religionspädagogin Monika Jakobs betonte, dass auch die Religionen nie losgelöst von ihrem gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden könnten. Solange im sozialen Bereich Widersprüche vorhanden seien, genüge der Appell "Schwerter zu Pflugscharen" nicht, weil ein nachhaltiger Friede nur unter Einbezug des politischen Umfeldes realisiert werden könne. Deshalb warnte sie vor naiven Utopien, weil im Bewusstsein des berühmten "eschatologischen Vorbehaltes" das Reich Gottes auf dieser Welt nie vollkommen verwirklicht werden könne.

Religion als Friedensstifterin

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Podium waren sich einig darin, dass die Religionen neben der Tendenz, Gewalt in bestimmten Situationen zu legitimieren und zu sakralisieren auch ein entscheidendes Potenzial in sich bergen, um zur Versöhnung und zum Frieden beizutragen. Es gehe letztlich darum zu lernen, "auf zivilisierte Weise mit Konflikten umzugehen", meinte Monika Jakobs. Markus Ries wies darauf hin dass letztlich die Aufklärung und in der Folge auch die Begründung des Rechtsstaates einen wichtigen Beitrag zu einem vernünftigen Umgang mit Gewalt geleistet habe. Allerdings könne, wie Monika Jakobs betonte, mit Vernunft allein noch kein Friede hergestellt werden: "Es stellt sich auch die Frage, wie die Menschen mit verletzten Gefühlen umgehen können."

Da könnten durchaus auch die ­ auf den ersten Blick vielleicht brutal erscheinenden ­ Texte in den heiligen Schriften verschiedener Religionen eine Hilfe anbieten, um die erlebte Ungerechtigkeit auch auf der Gefühlsebene bewältigen zu können, betonte die Alttestamentlerin Ruth Scoralick. Sie verwies dabei insbesondere auf die Texte der Psalmen, die mit ihrer zum Teil sehr deutlichen Feindmetaphorik gewissermassen eine Ventilfunktion übernehmen und damit bei einem gläubigen Menschen möglicherweise sogar zum Abbau von Aggressionen beitragen können.

Datum: 23.12.2002
Quelle: Kipa

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