Todesurteil vom Computer?

Tod durch Computer

Dürfen in der Intensivmedizin Computerprogramme angewandt werden, die neben der Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten die Kosten der Behandlung ermitteln?

Grundsätzlich ist aus der Sicht christlicher Ethik nichts dagegen einzuwenden, dass mit medizinischem Sachverstand ein Urteil über die Wahrscheinlichkeit des Überlebens von Patienten erstellt wird; auch nicht dagegen, dass solche Urteile mit Hilfe von Computern verbessert werden. Ebenso wenig ist ein Einwand gegen die Errechnung der Kosten einer Therapie zu erheben. Auch aus christlicher Sicht kann unter Umständen das Kalkül von Kosten und Nutzen ethisch geboten sein.

16 Totgesagte überlebten

Entscheiden künftig Computer über Leben und Tod von Patienten auf Intensivstationen? Dieses Horrorszenario könnte Wirklichkeit werden. In drei deutschen Kliniken in Berlin, Bremen und Köln liefen Teste mit einem Computerprogramm, das die Überlebenswahrscheinlichkeit von Kranken errechnet. Gefüttert mit den Daten mehrerer tausend Patienten vergleicht das Programm die medizinischen Werte des Kranken und ermittelt die möglichen Aussichten und Kosten einer weiteren Behandlung.

Die Ärzte wollen den Kollegen Computer (vorerst) nur als Entscheidungshilfe zu Rate ziehen, um die Effektivität ihrer Behandlung zu beurteilen. "Aber es ist natürlich denkbar, dass alle möglichen Leute alle möglichen Dinge damit versuchen", sagte der Bremer Professor Werner Kuckelt. In Berlin haben übrigens von 53 von der Maschine Totgesagten 16 überlebt.

Ein altes Dilemma

Ärzte als Herren über Leben und Tod - und das auch noch auf "Anweisung" des Computers? Dies ist eine neue Facette im alten Dilemma, in dem Mediziner ständig stecken. Um sie und die Patienten zu schützen, wurde bereits in der Antike eine ärztliche Verpflichtung formuliert. In dem Eid für Ärzte, der dem Ende des 5. vorchristlichen Jahrhunderts lebenden griechischen Arzt Hippokrates zugeschrieben wird, heisst es: "Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken nach bestem Vermögen und Urteil, sie schützen vor allem, was ihnen Schaden und Unrecht zufügen könnte. Nie werde ich, auch nicht auf eine Bitte hin, ein tödlich wirkendes Gift verabreichen oder auch nur einen Rat dazu erteilen. Gleicherweise werde ich niemals einer Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen geben."

Doch der Ruf nach ärztlicher Hilfe bei der Beendigung des Lebens wächst. Es gibt Bereiche, "in denen kraft des Vermögens heutiger Medizin der Heilauftrag des Arztes in einen Terror der Humanität, in den Frevel des Inhumanen umzuschlagen droht", schrieb der evangelische Theologe Helmut Thielicke bereits in den 70er Jahren. Lebensverlängernde Massnahmen können dem aufgenötigten Leiden weitere zusätzliche Leiden hinzufügen, also mehr schaden als helfen. Hier stellt sich die Frage: Bis zu welcher Grenze ist Helfen überhaupt Hilfe, und wo hebt Hilfe sich selber auf? Es ist zumindest fraglich, ob von Helfen dann noch gesprochen werden kann, wenn lebensverlängernde Massnahmen nichts anderes mehr sein können als ein ratenhafter Aufschub des Sterbeprozesses. Obgleich kein Arzt dazu verpflichtet ist, das ihm anvertraute Leben mit allen Mitteln zu verlängern, steht der Arzt in jedem Einzelfall vor einer Entscheidung von unabsehbarer Tragweite. Die Folgen einer Behandlung oder Nichtbehandlung sind nur bis zu einem gewissen Grad absehbar.

Und wenn der Patient seine Meinung ändert?

Ausschlaggebend für die ärztliche Entscheidung ist das Selbstentscheidungsrecht des Kranken. Eine Hilfe kann das sogenannte Patiententestament sein. Doch ein Patient hat seine Verzichtserklärung auf lebensverlängernde Massnahmen in der Regel als Gesunder und noch nicht vom Leid Betroffener unterzeichnet. Denkt er angesichts des Todes nicht möglicherweise ganz anders? Das Selbstentscheidungsrecht hat also ein weit grösseres Gewicht, wenn der vom Tode Gezeichnete in klarer Erkenntnis sein Sterben bejaht und eine Verlängerung des Lebens ablehnt. Voraussetzung dafür ist, dass der Arzt seine Pflicht zur Aufklärung über die Folgen wahrgenommen hat und der Sterbende noch bei vollem Bewusstsein ist.

Problematisch ist es, bei der Entscheidung eines Verzichts auf lebensverlängernde Massnahmen den Angehörigen ein Mitspracherecht einzuräumen. Dafür spricht, dass Angehörige den mutmasslichen Willen der betroffenen Person am ehesten kennen. Auf der anderen Seite aber können sie sich von nichtmedizinischen, wirtschaftlichen und auch von "unehrenhaften" Motiven, wie Bequemlichkeit oder Unwilligkeit zur Pflege, leiten lassen.

Entscheidet der Arzt im Sinne des Patienten, auf weitere intensivmedizinische Behandlung zu verzichten, so bedeutet dies kein Aufgeben der Person, keinen Abbruch der menschlichen und medizinischen Behandlung. Der Kranke wird nur anders behandelt. Eine solche Entscheidung ist ein allererster Schritt medizinischer Sterbehilfe. Diese sollte in jedem Fall ergänzt werden durch einen den Bedürfnissen des Sterbenden entsprechenden Sterbebeistand und eine geistliche Sterbebegleitung.

Computerprogramme sollten jedoch nur zur Berechnung der Erfolgswahrscheinlichkeit einer Therapie gebraucht werden dürfen.

Datum: 28.10.2002
Quelle: idea Deutschland

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