Präsident der BPlus

Gottesdienst – alter Zopf oder frisches Brot?

Sind Gottesdienste überhaupt noch angesagt? Und wo sollte man definitiv etwas verändern? Thomas Eggenberg, Präsident der BewegungPlus, spricht im Interview über seine Vision für den Gottesdienst und antwortet auf den latenten Vorwurf, dass Gottesdienst doch eine Sache von gestern sei.
Gottesdienst im CLZ Spiez am 31. Mai 2020. (Bild: CLZ Spiez)
Thomas Eggenberg (Bild: BewegungPlus Bern)

Wann war es das letzte Mal, dass Gott in einem Gottesdienst etwas in dir bewegt hat?
Am vorletzten Sonntag hat Sabine Rüfenacht über Grosszügigkeit gesprochen. Sie hat von einem Experiment erzählt, bei dem man Menschen mit tausend Franken beschenkte und dann untersucht wurde, wie sie damit umgehen. Resultat: Sie gingen grosszügiger damit um als mit dem Geld, das sie selber verdient hatten. Das hat mich bewegt. Weil Gott mich grosszügig mit Geld und materiellen Gütern beschenkt hat, darf ich grosszügiger sein.

Was geht denn verloren, wenn ich am Sonntag statt zur Kirche in die Alpen fahre?
Ganz viel. Wenn ich am Sonntag nicht in der Kirche bin, dann fehlen mir die Stimmen und Gedanken all der Menschen, durch die mich Gott ermutigen, berühren, motivieren, ausrichten und Orientierung geben will. Und den anderen fehlt meine Stimme, durch die Gott zu ihnen sprechen will. Klar: Wenn ich in den Alpen eine gute Zeit verbringe, ist das auch wertvoll. Nur kann ich dafür einen anderen Zeitpunkt wählen.

Und warum sollen wir nicht definitiv auf den Pyjama-Gottesdienste am Computer umstellen? Das ist doch viel praktischer.
Online-Gottesdienste sind eine super Sache für alle, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht vor Ort sein können. Auch für Personen, die unsere Gottesdienste nicht besuchen würden, ist es genial. Aber die persönlichen Begegnungen bleiben so aus, für Erwachsene und Kinder. Die Betroffenheit vor dem Bildschirm ist meist kleiner, die eigene Beteiligung geringer, die Konzentration gefährdet, das Wegklicken näher. Fazit: Der Aufwand, am realen Gottesdienst teilzunehmen, ist grösser, aber er lohnt sich.

Zwei Fragen zum Wording: Warum reden wir bei unseren sonntäglichen Zusammenkünften von Gottesdiensten? Wer dient da wem womit?
Das Wort «Gottesdienst» wurde offenbar von Luther geprägt, als Übersetzung des griechischen Wortes «leiturgeia», das im religiösen Kontext den kultischen Dienst an Gott meint. Luther verstand unter Gottesdienst ein kommunikatives Geschehen zwischen Gott und Mensch. Gott dient dem Menschen durch sein Reden und seine Zeichen (Taufe und Abendmahl), der Mensch dient Gott durch seine Antwort in Lobpreis und Fürbitte. Das finde ich überzeugend.

Statt einfach von Durchführen oder Abhalten reden wir bei Gottesdiensten oft von Feiern. Was gibt's denn da zu feiern?
Wir feiern nicht den Gottesdienst, sondern Gott und sein Wirken an uns. Da gibt es viel zu feiern: Gottes Herrlichkeit, seine Rettung, seine Liebe, seine Hingabe in Jesus, sein Wort, seine verändernde Kraft. Wir feiern ein Fest, weil wir Beschenkte sind. Aber es geht nicht nur ums Feiern, sondern auch um meine Ausrüstung. Ich werde ermutigt und befähigt, Gott im Alltag zu dienen und ihn zu repräsentieren.

Als Präsident bist du in vielen verschiedenen Gottesdiensten zu Gast. So übers Ganze hinweg: Wo sind wir als Bewegung auf einem gutem Weg?
Ich empfinde, dass das Bewusstsein für die Bedeutung des Gottesdienstes vorhanden ist. Viele investieren sich, um mit dem Gottesdienst ein gutes Umfeld zu bieten, wo Gott wirkt und die Teilnehmer aufgebaut und motiviert werden. Auch der Gedanke, dass der Gottesdienst wie ein Schaufenster der Gemeinde ist, wo auch Gäste willkommen sind und berührt werden, ist an vielen Orten angekommen. Eine besondere Stärke unserer Gottesdienste sehe ich in der Zugänglichkeit und Verständlichkeit. Echtheit und Natürlichkeit sind oft vorhanden, worauf immer mehr Leute stark Wert legen – und dies zu Recht! Wahrheit und Wahrhaftigkeit gehören zusammen.  

Und wo im Gottesdienst machen sich bei dir Fluchtgedanken breit?
Ich bin grundsätzlich kein (kritischer) Gottesdienstbesucher, sondern ein Beteiligter, der auf Empfang geschaltet hat. Deshalb nehme ich eigentlich immer etwas mit. Dennoch kommen mir drei Dinge in den Sinn, die mir Mühe machen. Erstens: Wenn Menschen im Zentrum stehen und nicht Gott bzw. Jesus und sein Reich. Die Personen auf der Bühne tragen hier eine grosse Mitverantwortung. Zweitens: Wenn ein Gottesdienst vor allem «konsumiert» wird und die Beteiligung klein ist. Das ist dann stärker die Verantwortung der Teilnehmer, aber nicht nur. Und drittens: Wenn die Anwesenden nur die individuelle Begegnung mit Gott suchen und das Bewusstsein für die Gemeinschaft fehlt, beispielsweise in der Anbetung.

Gibt's bezüglich der Form unserer Gottesdienste etwas, wo wir uns von unseren Gewohnheiten lösen sollten?
Die Überzeugung, dass der Gottesdienst nicht mit dem Schlusssegen aufhört, sondern in der anschliessenden Gemeinschaft weitergeht, sollte weiter gestärkt werden. Wir nennen es bei uns in Bern den «zweiten Teil» des Gottesdienstes. Es gehört dann dazu, auf Gäste zuzugehen, einander zu ermutigen, füreinander zu beten.

Was den «ersten Teil» des Gottesdienstes betrifft, kennen einige Gemeinden tendenziell nur zwei Elemente: die Anbetungszeit und die Predigt. Da ist eine grössere Vielfalt möglich: Erlebnisberichte, prophetische Impulse, Aufrufe mit Segnungs- und Gebetszeiten, «interaktive» Abendmahlsfeiern usw. Das darf und soll durchaus geführt sein und muss nicht im Fremdschämen enden. Da ist schon viel Positives in Gang gekommen.

Das Interview erschien zuerst im «Online - das Bewegungsmagazin».

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Datum: 23.09.2020
Autor: Christian Ringli
Quelle: BewegungPlus Online

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