Ein Plädoyer

Vom Lockdown hin zu Pfingsten

Pfingsten war schon immer das seltsamste Fest der Christen: Es bietet wenig Greifbares. Gott kam vor 2'000 Jahren als Heiliger Geist auf die Menschen, die ihm nachfolgten. Das passierte tief drinnen in ihnen.
Ein Lichtstrahl im Wald

Denken Sie sich doch einmal 2’000 Jahre zurück. Da gab es eine Handvoll Nachfolger von Jesus. Sie hatten ihre ganze Hoffnung auf den Messias gesetzt und waren relativ enttäuscht worden. Klar: Inzwischen war es bekannt, dass Jesus auferstanden war und lebte – doch was hatte das mit jedem Einzelnen zu tun? Und wie sollte es weitergehen? Durchhalteparolen wurden ausgegeben. Und die Freunde von Jesus lebten wochenlang damit, dass sie als «Kirche» keine Rolle in der Gesellschaft mehr spielten. Die Gesetzgebung fragte nicht nach ihren Werten. Die wenigsten Menschen interessierten sich für sie. Angst war ihr täglicher Begleiter, deshalb begaben sie sich in eine Art Lockdown-Zustand. Sie verliessen kaum noch ihre Häuser. Waren maximal als Familien zusammen. Und sie warteten. Aber worauf?

Damals und heute

Kommt Ihnen diese Situation ein wenig bekannt vor? Natürlich waren viele Vorzeichen damals anders, aber die Gefühlslage der ersten Christen war in etlichen Punkten gar nicht so weit entfernt von dem, was heute in Zeiten von Corona die Menschen beschäftigt. Zukunftsangst. Alltägliche Beschränkungen. Druck von aussen. Das Gebet um Gottes Eingreifen. Die Frage nach seinem Gericht. Und immer wieder die Überlegung: Was hat das Ganze mit mir persönlich zu tun?

Die ersten Christen erfuhren es nie, die heutigen Christen vermissen es: ein starkes Wir-Gefühl. Vielleicht ist das sogar der deutlichste gemeinsame Nenner. Offensichtlich fragt gerade (fast) niemand nach christlichen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Die ersten Nachfolger von Jesus fanden dies noch relativ normal. Wer hatte Jesus und seine bahnbrechende Botschaft denn überhaupt erlebt? Nur ein paar hundert Menschen am Rand der Landkarte. Die heutigen Nachfolger von Jesus tun sich damit schon schwerer. Warum will in Zeiten einer weltweiten Pandemie denn niemand wissen, dass es einen liebenden Gott gibt? Haben die Christen nicht eine lange Geschichte mit Highlights wie einer weltweiten Missionsbewegung, einer ausgefeilten Theologie und einer funktionierenden Diakonie? Ja, aber… Offensichtlich wogen und wiegen die Bedenken schwerer.

Raus aus der Innenperspektive

In dieser Situation kommen die Nachrichten dazu. Also nicht die von vor 2'000 Jahren, sondern die heutigen. Und gerade die christlichen News drehen sich ganz klar um das Wichtigste, was Christen beschäftigt: «Wann können wir wieder gemeinsam im Gottesdienst singen?» und «Wann ist es wieder möglich, christliche Urlaubsfreizeiten zu veranstalten?» Beides sind völlig legitime Fragen. Und beides interessiert ausserhalb der christlichen Interessensblase niemanden!

Wie war das noch damals – beim ersten Pfingstfest? Da sassen die ersten Christen zusammen in ihren Wohnungen und hatten Angst. Das Endergebnis war aber alles andere als ein märchenhaftes: «und wenn sie nicht gestorben sind, dann sitzen sie dort noch heute…». Stattdessen erfüllte Gottes Geist die Häuser, in denen sie sassen, und sie redeten plötzlich von dem, was sie erlebt hatten (Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 3–4).

Natürlich fragten sich auch diese Christen, wie es mit ihnen selbst weitergehen sollte. Aber das rückte plötzlich an die zweite Stelle. Getrieben vom Heiligen Geist, machten sie sich auf den Weg zu den Menschen in ihrer Umgebung.

Nur, um das noch einmal klarzustellen: Nichts hatte sich verändert. Die Bedrohungslage war dieselbe wie vorher. Die Ablehnung der Gesellschaft war dieselbe wie vorher. Und trotzdem war etwas anders. Denn die Christen fragten nicht mehr länger: «Was hat all das mit mir zu tun?», sondern: «Wie können wir jetzt für andere da sein?»

Als Mitbetroffene Hoffnung weitergeben

Es gibt ein scheinbares Einverständnis darüber, was ein «Zeugnis», ein christlicher Lebensbericht, enthalten sollte. Ganz vorne stehen dort: Antworten, Lösungen und praktische Hilfen. Und da ist sicher etwas dran. Allerdings ist dies nur ein Teil der Wahrheit. Denn in Umbruchszeiten wie vor 2'000 Jahren ist es jedem klar: Es gibt nicht auf jede Frage eine Antwort. Aber es gibt begründete Hoffnung.

Dasselbe gilt für heute: Es gibt nicht auf jede Frage eine Antwort. Aber es gibt begründete Hoffnung. Vielleicht ist es sogar die stärkste mögliche christliche Reaktion: das Vermitteln von Hoffnung als Mitbetroffener. Zu Beginn unserer Zeitrechnung war dies die Rede von Petrus und den anderen Aposteln. Damals fragte sich jeder: «Wieso hören wir sie jeder in unserer eigenen Sprache, in der wir geboren wurden?» (Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 8). Natürlich fragten sich die ersten Christen, wie es mit ihnen selbst weitergehen sollte. Aber das rückte plötzlich in den Hintergrund. Stattdessen fragten sie sich: Wie können wir für andere da sein? Und das verstand jeder Zuhörer in seiner Sprache. Mehr noch als das scheinbare Sprachenwunder war dies ein Wunder in der Perspektive: Jeder Zuhörer verstand, dass Gottes Liebe auch ihm galt.

Und heute?

Immer noch feiern wir Pfingsten. Doch das schwer verständliche Fest ist längst ein «Insider» geworden. Und der Anspruch von Christen tut ein Übriges dazu. Christen fordern momentan, ihre Gottesdienste so zu feiern, wie sie es «schon immer» getan haben. Dabei bedeutet «schon immer» maximal «so, wie ich es gewohnt bin».

Konkret heisst das: Die ersten Christen wurden von Gott angerührt, ihre Komfortzone zu verlassen und sich den Menschen um sich herum zuzuwenden. Genau das haben sie getan – in der Kraft Gottes. Dieses Ereignis nennen wir heute Pfingsten. Das hat wenig damit zu tun, dass Christen ihren Gottesdienst in der gewohnten Art und Weise feiern dürfen, sollen oder müssen. Vielmehr steht es dafür, dass Christen mit ihrem ganzen Leben unterstreichen: Gott ist tatsächlich gegenwärtig!

Pfingsten bedeutet mehr als ein Fest im Kirchenjahr. Es steht dafür, dass Gott den aktuellen Lockdown überwindet. Es bedeutet, dass sein Geist Christen «begeistert». Pfingsten überwindet das «ich – meiner – mir – mich» vieler Christen und zeigt: Gott ist für alle da.

Pfingsten bedeutet mehr als Lobpreis, als Gottesdienst, als ein klassisches christliches Fest: Es steht dafür, dass Gottes Geist Menschen berührt. Dass Christen ihre Grenzen überwinden und anderen Menschen begegnen. Und dass diese realisieren: Das meint mich. In biblischen Zeiten hiess das: «Als sie es aber hörten, drang es ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, ihr Männer und Brüder?» (Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 37). Heute kann es dasselbe bedeuten. Doch dazu gehört die Frage, ob es um ein kirchliches Fest geht oder um die konkrete Begegnung von Menschen mit Gottes Geist.

Pfingsten? Das ist mehr als ein Fest. Mehr als ein paar freie Tage. Es steht dafür, dass Gott seinen Nachfolgern die Angst nimmt. Sie ausrüstet. Damit sie auf die Menschen in ihrer Umgebung zugehen und ihnen zusprechen: «Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird errettet werden» (Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 21).

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Datum: 30.05.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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