Warum wir das Alte Testament so gut kennen sollten wie das Neue
Jedem neuen Christen
wird empfohlen, als erstes die Evangelien zu lesen. Leider bleiben viele dann
im Neuen Testament der Bibel hängen und trauen sich nicht an den ersten Bibelteil
heran. Dabei kann man den zweiten Teil nur durch den ersten verstehen, erklärt
Bibelprofessor Pieter Lalleman.
Es ist bekannt, dass das
Alte Testament (AT) deutlich umfangreicher ist als das Neue. Und es ist
ebenfalls bekannt, dass der erste Teil der Bibel an vielen Stellen deutlich
schwerer zu verstehen ist als das Neue. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb
viele Christen überwiegend im Neuen Testament (NT) lesen? Oder liegt es daran,
dass viele Pastoren in ihren Predigten lieber über den hinteren Teil der
Bibel predigen? Oder dass man neuen Christen aufgrund des leichteren Verständnisses zunächst einmal das Lesen der
Evangelien empfiehlt?
Was auch immer der Grund
ist: Fakt ist, dass die meisten Christen sich im Neuen Testament deutlich
besser auskennen. Das ist ein Fehler, findet Pieter Lalleman, Professor für
Bibelkunde am Londoner Spurgeons's College. Denn dadurch würden viele den
tieferen Sinn der Heiligen Schrift nicht erkennen. «Es gibt schwierige Passagen
im Alten Testament, aber das ist bei weitem nicht das einzige und es gibt so
viel Wertvolles im Alten Testament», erklärte Lalleman im Gespräch mit
Christian Today. «Das Neue Testament kann ohne das Alte einfach nicht
verstanden werden (…), wenn man nicht versteht, wo es herkommt.»
Die versteckten
Verbindungen
Da sind beispielsweise
die vielen Zitate aus dem AT, die man im NT findet – doch es gibt laut Lalleman noch viel
mehr Referenzen, die nicht explizit sind und die man nur mit Kenntnis des AT
verstehen kann. Da würden auch nicht unbedingt die Fussnoten der modernen
Bibelübersetzungen helfen. Der Professor spricht beispielsweise über 1. Mose,
Kapitel 22, «wo Isaak durch seinen Vater Abraham geopfert werden soll. Später
ist Jesus bereit, das Lamm Gottes zu sein, wenn er ans Kreuz geht. So ist Isaak
ein Prototyp von Jesus.» Eine ähnliche Parallele biete die Geschichte von
Josef, ebenfalls aus 1. Mose, der viel erleiden musste, aber letztlich eine
grosse Nation rettete. «In all diesen Dingen wird die Verbindung im Neuen
Testament kaum erwähnt, aber sie ist da und man erkennt sie, wenn man nah genug
hinschaut.»
Auch das Bild vom Hirten
sei ein roter Faden, der sich durch die gesamte Bibel ziehe. «Man sieht das
nicht nur in Psalm 23, sondern auch in Hesekiel, wo es beinahe zu einem
politischen Statement wird, dass die aktuellen Hirten sich nicht sehr gut um
das Volk Gottes kümmern. Und als Jesus dann sagt: 'Ich bin der Gute Hirte',
erklärt er damit indirekt, dass er diese Versprechen und die Erwartungen Hesekiels
erfüllt.»
Die Wurzeln der Kirche
liegen im Judentum
In seinem neuen Buch zu dem Thema schreibt Pieter Lalleman über genau diese Verbindungen. Dabei ist auch die
Entstehungsgeschichte unserer heutigen Bibel wichtig – zur Zeit Jesu waren ja nur die
«Schriften» bekannt, zu denen grosse Teile des heutigen Alten Testaments
gehören. Für Lalleman würde es deswegen auch mehr Sinn machen, wenn man den
ersten Teil als «Erstes Testament» bezeichnen würde, «die Bezeichnug 'Altes'
ist nicht gerade hilfreich…».
Heutige Christen müssten
verstehen, dass die ersten Nachfolger Jesu Juden waren und somit für sie auch
die alten Schriften des heutigen ATs eine enorme Bedeutung hatten. «Wir sollten
wieder neu zu dem Bewusstsein gelangen, dass die Kirche aus Juden und
Nichtjuden besteht. Wir haben ihre Bücher geerbt und wir möchten – und müssen –
ihre Bücher studieren, um Jesus und die Kirche zu verstehen.»
Datum:
08.02.2020 Autor: Rebekka Schmidt Quelle: Livenet / Christian Today
Kommentare
Submitted by Max Zürcher on 8. Februar 2020 - 21:29.
Danke für diesen Artikel. Wir Nichtjuden – die wilden Zweige – sind als Gläubige an den Messias in den edlen Ölbaum Israels eingepfropft worden (Römer 11). Also brauchen wir ihre ganze Geschichte – "the whole story" – die dann auch zu der unseren wird.
Zudem wirkt der Begriff "Testament" heute irreführend. Auf den alten oder ersten Bund folgte der neue Bund Jesu in seinem Blut; auch dieser neue Bund wurde zunächst mit den Israeliten/Juden geschlossen, repräsentiert durch die Zwölf. Dann wurden auch wir mit ins Boot geholt.
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