Emergent Forum 2016

«Kirche für alle, aber …»

Natürlich hat Gott alle Menschen lieb. Und genauso natürlich ist jeder Mensch in unseren Kirchen und Gemeinden willkommen. Wirklich? Was würde es denn bedeuten, wenn nicht nur jeder herzlich in unsere christlichen Gemeinschaften eingeladen wäre, sondern auch tatsächlich jeder käme? Diese Gedanken waren Grundlage des Emergent Forums 2016, das vom 9. bis 11. September in Niederhöchstadt stattfand.
Theologin und Wortkünstlerin Christina Brudereck (li) und die lutherische Pastorin Nadia Bolz-Weber (re)
Jay und Christina Brudereck

Das Spektrum der Auseinandersetzung reichte dabei über Inklusion und Evangelisation bis hin zur theologischen Frage: «Hat Gottes Gnade Grenzen? Und was heisst das für Kirche und Gemeinde?»

Biografie stärker als Theologie

Ein Treffen wie das Emergent Forum (#emfo16) wird von viel mehr bestimmt als von seinen Rednerinnen und Referenten. Doch die Theologin und Wortkünstlerin Christina Brudereck aus Essen und die lutherische Pastorin Nadia Bolz-Weber aus Denver in den USA prägten es in besonderer Weise. Unterschiedlich und gleichzeitig seelenverwandt, begannen die beiden Frauen am ersten Abend damit, dass sie sich unter dem Motto «Warum Biografie immer stärker ist als Theologie» sehr persönlich vorstellten. Ohne dass es je voyeuristisch wirkte, kamen theologische Prägungen dabei genauso zur Sprache, wie eigene Erlebnisse – sei es eine Südafrikareise oder das Arbeiten als Stand-up-Comedian, Alkoholismus oder Erfolg als Autorin.

«Ideal ist nicht real»

Am nächsten Vormittag legten die beiden Gemeindegründerinnen nach. Bolz-Weber stellte die Frage: «Hat Gnade Grenzen?» und forderte die Zuhörenden dazu auf, «das zu lieben, was Gott schon liebt». Jeder Mensch sei sich der Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Soll und Ist im eigenen Leben bewusst. Dabei gebe es zwei Möglichkeiten: «Tu so, als ob du heilig wärst, alles im Griff hättest. Das tun (erschreckend) viele. Oder gib zu, dass du so bist, wie du bist, zeig dich verletzlich – und wachse.» Die lutherische Pastorin forderte dazu auf, sich von dem Idealbild eines Christen zu verabschieden. «Dein Ideal ist nicht real, aber du bist es. Du wirst dein Ziel auch nie erreichen, weil sich auf deinem Weg das Ziel ändern wird.»

Dabei illustrierte sie ihren Vortrag mit Berichten aus ihrem eigenen Leben und ihrer Arbeit in der Gemeinde «House for All – Sinners and Saints» (Zuhause für alle – Sünder und Heilige). Bis heute gelte es, dass Jesus uns gerade einlädt, weil wir uncool sind, lahm, blind und ausgestossen. Gleichzeitig widersprach sie entschieden, dass ihre Gemeinde solche Menschen nur erreichen würde, weil sie selbst tätowiert sei: «Es kommen die ganz normalen Leute aus der Nachbarschaft – da gibt es genug Zerbrochene…»

Und statt Aber

Christina Bruderecks Vortrag stand unter dem Motto: «Ich möchte nicht das 'Aber' sein, sondern das 'Und'». Typisch für die wortgewaltige Rednerin, lässt sich ihre dichte und dichterische Sprache kaum zusammenfassen. Sie schwärmte von Gott und seiner Gnade, die sie als Gegenbewegung zum Zynismus in unserer Welt darstellte. Und wurde sehr persönlich darin, als sie klarstellte: «Wenn ich mich ansehe, fällt mir kein Grund ein, warum Gott ausgerechnet mich annehmen sollte – und andere nicht.» Diese bedingungslose Liebe Gottes sei natürlich nicht konfliktfrei und jede Denomination brauche eine sinnvolle eigene Identität. Die Hauptherausforderung bleibe jedoch: Will ich das überhaupt? Als Fazit zog die Theologin: «Ich glaube nicht an ein letztes Aber, sondern an ein ewiges Und. Dabei zeigt mir ein Blick ins eigene Herz, dass ich das Trennen selbst noch verlernen muss.»

Workshops, Gespräche und Begegnungen

«Das Eigentliche beim Forum waren für mich die Begegnungen», fassten es viele der über 200 Teilnehmenden am Schluss zusammen. Und die geschahen nebenbei in den Kaffee- und sonstigen Pausen, in Gesprächen als Tischrunden, in zahlreichen Workshops zu unterschiedlichsten Fragen und nicht zuletzt in einer abschliessenden Talkrunde. «Hossa Talk» – bestehend aus David «Jay» Friedrich und Gottfried «Gofi» Müller brachten zusammen mit den Referentinnen einige der grossen Fragen noch einmal auf den Punkt: Was ist Mission? Wie funktioniert Feindesliebe praktisch? Ist das Ideal von der grenzenlosen Kirche überhaupt erreichbar oder erstrebenswert? Was ist mit der letzten grossen Ausgrenzung – der Hölle? Und es war ein gelungenes Spiegelbild des gesamten Emergent Forums, dass diese Fragen zwar engagiert und ehrlich besprochen wurden, aber keine Gräben zogen. Wie meinte ein Teilnehmer abschliessend auf Facebook? «Beim #emfo16 habe ich mich neu in Kirche verliebt.»

Zur Webseite:
Spontanes Fazit zum Emergent Forum 2016

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Datum: 14.09.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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