Junge Eritreer in der Schweiz

«Ohne ihren Glauben wären viele eritreische Flüchtlinge psychisch krank»

Zenagebriel Haile (27) ist Eritreer, gläubiger Katholik und in der Schweiz «vorläufig aufgenommen». Im Interview mit kath.ch erzählt er, wie sein Glaube ihm hilft, mit den schwierigen Erfahrungen auf der Flucht und als Heimatloser umzugehen.
Auf so einem Schlauchboot kam Zenagebriel Haile mit 26 anderen Flüchtlingen nach Europa.

«Die politische Situation in Eritrea ist schlecht. Es herrscht eine Diktatur, das Bildungssystem ist mangelhaft. Die Männer werden sozusagen zu einem lebenslangen Militärdienst gezwungen. Im Militär erhält man einen monatlichen Sold von etwa zehn Franken. Damit kann man keine Familie ernähren.» Das erklärt der Eritreer Zenagebriel Haile im Interview mit kath.ch zu den Gründen, warum er in die Schweiz gekommen ist. In einem Schlauchboot, das Platz für maximal 10 Personen hatte, kam er mit 27 Personen von Lybien her über das Mittelmeer.

Motor kaputt – ein Wunder

Er berichtet über die abenteuerliche Überfahrt: «Eines Abends ist der Motor kaputt gegangen. Die Wellen trieben uns zurück. Wir sahen nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder wir sterben oder wir werden vom libyschen Militär ins Gefängnis gebracht. In dieser Nacht haben wir gebetet. Am nächsten Morgen war ein kleines Wunder geschehen: Der Motor funktionierte wieder! Unser Käpt'n meinte, vielleicht sei am Vorabend Luft im Motor gewesen. Für mich persönlich war das ein Wunder.

Engagement in eritreischer Gemeinde

Haile ist heute – nach knapp 7 Jahren Aufenthalt in der Schweiz – Präsident der eritreischen Guthirt-Gemeinde Zürich, zu der rund 350 Gläubige aus den Kantonen Zug und Zürich gehören. In dieser Funktion hält er Predigten, leitet den Chor und organisiert die Jahresplanung für die Gemeinde. Über seinen Glauben sagt er: «Ich bin kein perfekter Mensch, auch ich mache Fehler. Aber ich tue, was ich kann. Im Moment bete ich zwar täglich kurz, aber ich lese selten in der Bibel. Sonntags besuche ich den Gottesdienst, wenn ich nicht arbeiten muss. Samstags haben wir in der Gemeinde jeweils drei Stunden Programm, vor allem für die Jugendlichen. Eine Stunde machen wir Bibelaustausch und zwei Stunden bereiten wir die Lieder für Sonntag vor.» Haile ist an theologischen Fragen interessiert und möchte im nächsten Jahr ein Online-Fernstudium in Theologie machen.

Thema «Flucht» verarbeiten

Das Thema «Flucht» wird von vielen Eritreern mit Hilfe ihres Glaubens verarbeitet. Haile: «Viele verarbeiten innerlich, direkt mit Gott. Im Gottesdienst gibt es Fürbitten. Wenn wieder ein Unglück in der Sahara oder im Mittelmeer passiert und ein Boot mit 250 Menschen sinkt, dann nehmen wir uns Zeit und beten für diese Menschen, zünden eine Kerze an.» Praktisch jeder Eritreer hat Angehörige daheim, denen er gern helfen würde, aber nicht kann. Auch hier hilft vielen der Glaube, diese Spannung zu verarbeiten. Haile sagt von seinen Landsleuten: «Wenn sie nicht gläubig wären, wäre die Hälfte von ihnen psychisch krank. Darum hilft der Glaube sehr.»

«Gott hat einen Plan mit mir»

Haile schliesst das Interview voll Hoffnung: «Trotz allen Problemen bin ich dankbar. Ich hatte Freunde und Angehörige, die das gleiche Ziel hatten wie ich, aber sie haben es nicht erreicht. Ihnen wurden Organe entnommen, die verkauft wurden, oder sie sind im Gefängnis, andere sind in der Sahara oder im Mittelmeer umgekommen. Darum bin ich sehr dankbar, dass ich noch am Leben bin und helfen kann, was ich helfen kann. Gott hat einen Plan mit mir, sage ich mir.»

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Datum: 09.09.2015
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / kath.ch

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