Die Beteiligungskirche

«Unsere Kirche ist ein Wunder!»

Eine reformierte Kirchengemeinde in der Schweiz setzt auf das Konzept Beteiligungskirche und beweist einen langen geistlichen Atem. Sie erlebt: Wenn wir hingehen, erreichen wir die Menschen vor Ort.
Blick vom Hallwilersee auf Meisterschwanden
Die Kanzel mit dem Sale-Banner
Singen in der reformierten Kirche Meisterschwanden

«Wie hat dir der Gottesdienst gefallen?», wird eine Seniorin während des gemeinsamen Mittagessens im reformierten Kirchgemeindehaus Meisterschwanden gefragt. «Es waren viele englische Lieder. Aber ich hatte Freude, dass die Jungen so schön gesungen haben.» Das ist typisch für diese Kirche, die ich persönlich kennenlernen durfte. Senioren, junge Familien mit vielen Kindern und Menschen um die Lebensmitte treffen sich zu einem etwas anderen Gottesdienst, der sich «loGo!» nennt. Dabei sind eine generationenverbindene Toleranz und eine familiäre Atmosphäre zu spüren.

«LoGo!»

Die traditionellen Gottesdienste in Meisterschwanden werden von rund 50 Personen besucht. In einem «loGo!-Gottesdienst» sitzen bis zu 200 Besucher. Diese Gottesdienste mit Bandbegleitung, Theater und anschliessendem Mittagessen finden sechs Mal im Jahr statt. LoGo! steht für «lebendiger und offener Gottesdienst».

Dass der Name Programm ist, erlebe ich selber: In der Kirche hat man das Gefühl, sich in einem Warenhaus zu Ausverkaufszeiten zu befinden. Die Kanzel ziert ein «Sale»-Banner. Wird hier die Kirche zu einem Schnäppchenpreis verkauft? Nein, das Theater zeigt, was es mit der Dekoration auf sich hat. In unserer spirituellen Welt packen wir in unseren Einkaufwagen, was uns gerade am meisten anspricht. Hier ein Häppchen Ramadan, da ein Schnäppchen Esoterik und weil es grad so schön passt, nehme ich noch ein bisschen Buddhismus.

Um dies zu illustrieren, dürfen alle Kinder zwei Freiwillige aus der Ausverkaufsbox verkleiden. Die originellere Gruppe erhält mehr Applaus. Hinter der «Mix & Match»-Spiritualität, wie sie Diakon Andreas Müller nennt, steckt der Wunsch nach absoluter Freiheit und Unabhängigkeit. Ich lasse mir nicht gern von jemandem vorschreiben, was gut für mein Leben sein soll und was nicht. Aber er zitiert den Schriftsteller Christian Wallner: «Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein.» Jesus möchte, dass wir uns an ihn binden und in dieser Bindung erleben wir die wahre Freiheit. Was paradox erscheinen mag, drückt die Bibel so aus: «Wenn der Sohn Gottes euch frei macht, dann seid ihr wirklich frei» (Johannes-Evangelium, Kapitel 8, Vers 36).

Bunte Aktivitätenpalette

Die «loGo!» sind längstens nicht alles, was diese vielseitige, kreative und aktive Kirche den Leuten anbietet. In Alphalive-, Trauer-, Erziehungs- und Ehekursen wird Gemeinschaft gepflegt, auf die speziellen Lebensstadien und Bedürfnisse eingegangen und darüber ausgetauscht, wie der Glaube im Alltag Fuss fassen kann. Gottesdienste werden von verschiedenen Teams oder von Jugendlichen des kirchlichen Unterrichts mit gestaltet und nehmen Bezug zur Aktualität wie zum Beispiel den Schulbeginn. Während des Winterhalbjahres finden Taizé-Abendgottesdienste statt. Gemeinsame Essen, Ferienwochen oder Wochenenden wirken gemeinschaftsfördernd und motivierend für die rund 160 ehrenamtlichen Mitarbeiter. Im Asylantenheim bietet die Kirche einen Deutschkurs an, Senioren verreisen miteinander, die Generation 50+ besichtigt die Stadt Zofingen, geht auf Wanderschaft oder besucht einen Motorsägekurs, um später ihre Kräfte zum Wohle der Bergbevölkerung im Saastal einsetzen zu können. Derweil stricken zwei Arbeitsgruppen fürs Projekt «Warme Füsse» Socken für Kinder in Osteuropa. Im Crea-Treff wird für den Basar gebastelt, im Müttertreff erhalten Mütter hilfreiche Erziehungstipps, Singbegeisterte treffen sich im Gospelchor. Für Kinder und Jugendliche gibt es spezielle Jugendgottesdienste, Kleingruppen, Leiterkurse, kirchlichen Unterricht, Auslandseinsätze, gemeinsame Ferien, Wochenenden, Jungscharnachmittage und jeden Sonntag treffen sich die Kinder im «Chinderträff».

Kirche, die zu den Leuten geht

Ein Fahrlehrer erzählt mir, dass im Dorf die vielfältigen Angebote der Kirchen sehr positiv wahrgenommen werden. Lobend stellt er heraus: «Diese Kirche geht ins Dorf und wartet nicht, bis die Leute die Kirche aufsuchen.»

Was ist das «Erfolgsrezept»? Als ich diese Frage am Mittagstisch stelle, bekomme ich mehrmals dieselbe Antwort: Pfarrer Philipp Nanz. Er stehe niemandem im Weg. Er sei ein herzlicher, motivierender und verbindender Hirte. Es gäbe dank seiner Persönlichkeit im Dorf ein grosses Wohlwollen gegenüber der Kirche. Doch genauso wichtig wie der Pfarrer sei der Kirchenvorstand, welcher am selben Strick ziehe. Zudem wurde vom Vorgänger Wolfgang Bittner eine gesunde und segensreiche Vorarbeit gelegt. Er legte Wert darauf, als Pfarrer den «Karren nicht alleine zu ziehen» und betonte, dass die Kirche nicht eine blosse Dienstleistungskirche sei. Beide förderten neue Ideen und Mitarbeiter mit ihren Begabungen.

So verankerte sich tief in der Tradition das Bewusstsein, dass Kirche nur da leben kann, wo jeder verantwortlich mitzutragen bereit ist. Wenn es also ein «Erfolgsrezept» gibt, dann ist es wohl die Wechselwirkung eines Pfarrers, der Menschen zuerst einmal von Herzen liebt und sie dann in ihren Begabungen fördert und freisetzt, und einen Kirchenvorstand, der ihm unterstützend zur Seite steht. Dieser «Humus» wurde über die Jahre mit Gebet begossen. Diese ausdauernde Mischung sorgte dafür, dass aus einer wenig besuchten Kirche und einer handvoll Mitarbeiter pralles geistliches und menschliches Leben erwuchs. Trotz aller scheinbaren Planungen bringt es eine Frau beim Abschied auf den Punkt: «Unsere Kirche ist ein Wunder!»

Die Autorin: Regula Aeppli-Fankhauser (49) ist verheiratete Familienmanagerin mit drei Kindern, Hundesitterin, Testkundin, freie Autorin, Hausmeisterin, Hobbyfotografin und Line-Dancerin und lebt in CH-Beckenried.

Datum: 20.12.2013
Autor: Regula Aeppli-Fankhauser
Quelle: Livenet / Magazin 3E

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