Ein Herz für Arme

Kirchen müssten ihre «Sozialen Bekenntnisse» in die Tat umsetzen.

Urs Gassmann ist Pastor in der Bapistengemeinde Basel und Präsident der Schweizerischen Zigeunermission. Er besucht regelmässig Zigeunersiedlungen in Serbien und Südungarn, predigt dort und erlebt Armut unter den Ärmsten der Bevölkerung aus erster Hand. Zu diesem Thema hat er eine Predigt geschrieben und ist deshalb für den StopArmut-Predigt Preis 2012 nominiert worden.
Urs Gassmann

StopArmut: Urs Gassmann, was ist die Kernaussage Ihrer Predigt?
Urs Gassmann:
Wir haben, weil wir geben! Es gibt ein erfülltes, sinnvolles Leben für jeden Menschen, egal ob er arm oder reich ist. Glücklichsein hängt nicht vom Materiellen, vom Besitz ab. Es ist ein geistliches Geheimnis, dass wir durch Teilen, Schenken, Hingabe gesegnet sind. Wer gibt, erhält, wer teilt, wird beschenkt, wer hingibt, erhält. Jeder Mensch kann etwas weitergeben, sei es seine Liebe, seine Gegenwart oder ein Lächeln. Dies ist das Geheimnis, aus jeglicher Armut herauszukommen. Jesus hatte nichts auf der Erde, keinen Besitz, aber er war der erfüllteste, reichste Mensch!

Was hat Sie bewegt, eine Predigt über das Thema «Armut» zu halten?
Ich wollte die Hintergründe aufzeigen, warum Menschen immer reicher werden und andere immer ärmer. Es hängt mit der falschen Einstellung zusammen. Es ändert sich nicht viel daran, wenn wir uns nicht von Christus eine neue Sicht schenken lassen. Jeder Mensch will glücklich werden, sucht Anerkennung, will geliebt werden, aber er tut es auf völlig falsche Weise, denn Karriere, Reichtum oder Ansehen reichen nur für kurze Momente aus.

Wie sind Sie persönlich zu diesem Thema gekommen?
Durch die persönliche Betroffenheit, zuerst durch die Arbeit mit Randständigen (Alkoholiker, Drogenabhängige) und behinderten Menschen und durch meine Ausbildung zum Sozialpädagogen. Dann aber durch die Betroffenheit bei armen Menschen selber wie den Roma in Serbien. Unglaublich, was für eine Armut mitten in Europa herrscht! Heute erleben wir, wie unsere reiche Gesellschaft am Streben nach immer mehr Wohlstand zugrunde geht und wie sie immer mehr Menschen in die Armut treibt. Die Frage ist denn auch: Was kann ich dagegen tun? Kritisieren und moralisieren hilft nicht weiter. Es braucht sachliche Aufklärung – und dass wir mit einem guten Beispiel vorangehen.

Gibt es eine Bibelstelle, die Sie besonders inspiriert hat?
Ja, z.B. Sprüche 19,17: «Wer sich der Armen erbarmt, der leiht dem Herrn, und der wird ihm vergelten, was er Gutes getan hat.» Erbarmen heisst für mich nicht in erster Linie, materiell zu helfen. Wir sind in der Regel damit überfordert, weil wir nicht allen Armen helfen können. Es ist wie ein Fass ohne Boden, wenn man die grosse Armut sieht. Aber es geht um unser Herz. Beten wir darum, dass der Herr uns ein Herz für arme Menschen schenkt. Sprüche 19,17 war die Herrnhuter-Losung vom 1. März 1994. Ich war damals zweimal bei den Roma in Serbien. Mich haben diese Menschen und ihr Elend nicht mehr losgelassen. Ich spürte, dass dies wahrscheinlich mit einem göttlichen Auftrag zu tun haben könnte. Diese Losung war dann das entscheidende Reden Gottes, und auch der Lehrtext und das folgende Gebet von Emilio Castro dazu: «Jesus Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan» (Mt. 25,40). «O Gott, möge deine Kirche ihr Leben mit Menschen teilen, die Ungerechtigkeit leiden und ungehört bleiben. Lass deine Kirche die Stimme der Stimmlosen sein. Hilf deiner Kirche, den Weg zu wahrer Verantwortung zu finden.»

Haben Sie während der Vorbereitung etwas Spezielles oder Neues erkannt oder dazugelernt?
Ich bin ermutigt worden, selber noch mehr zu geben, auch mehr zu spenden, aber auch die Wohnung und die Zeit zu teilen. Es hat mich ermutigt, unsere pflegebedürftige Mutter bei uns aufzunehmen.

Wie kann man Ihr Anliegen im Alltag umsetzen?
Verzichten, teilen, Opfer bringen. Wobei wir Schweizer kaum eine Ahnung haben, was ein Opfer ist. Das könnte sein, auf ein grosses Auto oder eine Ferienreise zu verzichten und das eingesparte Geld für ärmere Menschen zu geben. Man kann sich für Werke einsetzen, die armen Menschen helfen, hier in unserem eigenen Land (es gibt verschiedene Sozialwerke) oder auch im Ausland. Jedes Werk – wie beispielsweise unsere Schweizerische Zigeunermission, braucht Mitarbeiter, Freunde, Spender, etc. Wertvoll ist, wenn man an einer Reise zu diesen Menschen teilnimmt oder an einem Strasseneinsatz mitmacht, um dann die schöne Erfahrung zu machen, dass es immer ein Geben und Nehmen ist. Nicht nur die Armen profitieren von uns, sondern auch wir von ihnen. Vielleicht bekommen wir dabei sogar mehr als wir geben!

Ihre Hörerschaft, wie hat sie auf die Predigt reagiert?
Sie hat nicht nur dankend reagiert. Die Predigt hat sie teilweise recht betroffen und nachdenklich gemacht und vielleicht sogar ein schlechtes Gewissen ausgelöst. Wir haben arme Menschen auch in unserer Gemeinde (Gott sei Dank!). Aber wir tun uns schwer, ihnen konkret zu helfen. Es wäre ein Thema für sich, wie wir unsere Gemeinden dazu bringen könnten, mehr zu helfen und vor allem mehr zu teilen. Meistens sind es nur vereinzelte Gemeindeglieder, die ein Herz für Arme haben und auch praktisch helfen. Für viele gilt leider die Devise: Nur wer sich entsprechend verhält und genügend «Danke» sagt, ist schenkenswürdig. Die Armen sollten quasi bereits Christen sein und sich entsprechend verhalten, nur dann bekommen sie etwas.

Es hat aber auch bewirkt, dass etwas mehr Geld in unsere Hilfskasse eingelegt wurde. Leider war dies nur kurzfristig. In der Regel kommen nur sehr kleine Gaben zusammen. Aber um richtig helfen zu können, braucht es mehr Geld.

Was könnten sich Christen in der Schweiz vermehrt zu Herzen nehmen?
Sie können sich über die Armut informieren. Wir Schweizer wissen nicht, was Armut ist. Wir kennen keinen wahren Hunger und profitieren von einem guten, wenn auch sehr teuren Gesundheitssystem.

Wir können einen einfacheren Lebensstil annehmen und weniger Fleisch kaufen.

Einige Kirchen müssten ihre «Sozialen Bekenntnisse» neu in die Tat umsetzen. Unter Missionsauftrag baut man schnell einmal schöne Kirchen und Kapellen, daneben erfrieren und verhungern Menschen. Diese Kirchen bleiben leer.

Das Evangelium den Armen bringen. Die Beziehung zu Jesus ändert Menschen radikal. Sie lernen Nächstenliebe, was bedeutet, dass die teilen und einander helfen. Menschen lernen, nicht mehr zu stehlen und erhalten die innere Kraft, von Abhängigkeiten loszukommen, Ordnung zu halten und gesünder zu leben. Ehen und Familien werden erneuert. Sie lernen, alle Anliegen zu Gott zu bringen und ihm zu vertrauen.

Wir können auf Luxus verzichten und damit Missionen und Hilfswerke in ärmeren Ländern unterstützen.

Es macht Sinn, unsere Reisen mit Besuchen bei armen Menschen zu verbinden. Wir können sehr viel lernen bei diesen Menschen, insbesondere einen einfacheren Lebensstil. Dabei entdecken wir auch unsere eigene, anders gelagerte Armut.

Das Endzeitgleichnis in Mt. 22 neu entdecken. Man spricht viel von einem Zeichen der Endzeit, seitdem Juden wieder in ihrem Land wohnen können. Bücher werden gefüllt und Seminare durchgeführt. Aber das gewaltige Zeichen des Landstrassenvolkes, das der Einladung Folge leistet, hat kaum ein Endzeitspezialist erkannt. Als Kirche erreichen wir heute mehrheitlich Ausländer und Asylanten. Es werden mehr Ausländergemeinden gegründet als Gemeinden für Schweizer. Daran könnten sich noch viel mehr Gemeinden beteiligen.

Datum: 11.06.2012
Autor: Cedric Zangger
Quelle: StopArmut 2015

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