Methadon contra Abstinenz

Fachleute aus verschiedenen Richtungen kritisieren die Schweizer Drogenpolitik. Abhängige würden vermehrt mit Ersatzstoffen stillgestellt, anstatt zum Ausstieg motiviert.

hg. Vor 10 Jahren hatte der Bundesrat ein Vier-Säulen-Programm zur Bekämpfung der Drogenabhängigkeit aufgestellt: 1. Prävention, 2. Therapie, 3. Schadensverminderung und 4. Repression. Gemäss einem ausführlichen Bericht von “Facts” wurden diese Ziele deutlich verfehlt. Nach wie vor sind rund 30000 Menschen in der Schweiz von harten Drogen abhängig.

Nach einer Broschüre des Bundesamtes für Gesundheit formuliert die zuständige Bundesrätin Ruth Dreyfuss das Ziel der Drogenpolitik dahin gehend, “möglichst vielen Abhängigen möglichst effizient zu helfen, den Drogenkonsum aufzugeben und aus der Sucht auszusteigen”. Severin Salizzoni, Drogenbeauftragter von Pro Juventute, sieht diese Absicht nicht erfüllt: “Die Sucht wird nur noch verwaltet.”

Für Walter Meury, Leiter der Suchthilfe Basel, ist Methadon der zentrale Punkt: “Breitflächig wird Methadon abgegeben. Aber die psychosoziale Betreuung und die Motivation für den Ausstieg fehlen.”

Diese Feststellung lässt sich durch Zahlen untermauern. 1038 Schwerstsüchtige erhielten (Ende 2000) von staatlicher Stelle Heroin. Heute beziehen weitere 18000 Abhängige staatlich finanziert die Ersatzdroge Methadon. Gleichzeitig gehen Dutzende von Rehabilitations-Stätten mangels zu betreuender Patienten ein.

Die Situation ist absurd. Die abstinenzorientierte Betreuung in einer stationären Einrichtung muss von der Wohngemeinde des Drogensüchtigen bezahlt werden und dauert im Regelfall rund anderthalb Jahre. Die monatlichen Kosten belaufen sich auf rund 6000 Franken. Bei Methadonbezügern haben die Gemeinden höchstens die Existenzsicherung zu leisten. Kostenpunkt rund 1700 Franken. Der Unterschied ist deutlich.

Es gibt verschiedene belegte Fälle, in denen Gemeinden auf gerichtlichem Weg gezwungen werden mussten, Drogensüchtigen den teureren Ausstieg zu finanzieren. Eine Vollkostenrechnung für die Methadonbezüger, die meistens jahrelang auf die Ersatzdroge und meistens auch Sozialhilfe angewiesen sind, gibt es aber nicht.

Das Bundesamt für Gesundheit reagiert auf die Kritik mit Verschleierung. Wurden Methadonbehandlungen früher unter der 3. Säule (Schadensverminderung) geführt, gelten sie heute als Stütze der zweiten Säule (Therapie). Darüber hinaus werden Süchtige, die von Heroin auf Methadon wechseln, als “positive Austritte” gefeiert – gleich wie ein Übertritt in einen Entzug.

In einem umfassenden Drogenbericht hielt die Basler Regierung kürzlich fest: “Der Ausbau der niederschwelligen Drogenhilfe in den frühen Neunzigerjahren hat vor allem bei den nachfolgenden Generationen an Drogenabhängigen eine Einstellung gefördert, die staatliche und private Hilfeleistungen als selbstverständlich voraussetzt. Mit einer gewissen Unverfrorenheit werden auch darüber hinausgehende Ansprüche angemeldet.” Ernüchtert zieht auch Severin Salizzoni Fazit: “Früher war die abstinenzorientierte Therapie erste Wahl, heute ist es die letzte Wahl. Die Vier-Säulen-Politik wird so zum Lippenbekenntnis.”•

Datum: 05.04.2002
Quelle: factum Magazin

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