Schirmherr Arafat: über zehntausende Christen und hunderte Millionen Dollar

Arafat ist tot. Zu seinem Vermächtnis gehören verunsicherte palästinensische Christen und hunderte Millionen „abgezweigter“ Hilfsgelder für sein Land. – Zwei Seelen in einer Brust?
Jassir Arafat
Bruder Andrew

Seit mehreren Jahren schon existiert auf palästinensischem Gebiet ein christlicher Buchladen. Die Erlaubnis stammt von Arafat persönlich. Bruder Andrew, dem Gründer des Missionswerkes "Offene Grenzen" (Open Doors), hatte sie als Dankeschön erhalten, nachdem er Arafat zum ersten Geburtstag seiner Tochter eine Bibel überreicht hatte. „Ich hatte viele Male die Möglichkeit, mich mit ihm zu treffen und ihm das Evangelium zu bringen“, sagt Bruder Andrew. Inzwischen hätten Hunderte von moslemischen Fundamentalisten, besonders Mitglieder der militanten Hamas-Bewegung, sich dort eine Bibel oder den Jesus-Film geholt. Die Offenheit unter ihnen sei überraschend gross.

Erstarkende Islamisten

Bezeichnend auch die Tatsache, dass es in den Palästinenser-Gebieten schätzungsweise zehnmal mehr Christen gibt als in Israel: 70'000 gegenüber 7000 im Heiligen Land. Aber die fürchten nun um die Freiheit, die ihnen Arafat gewährt habe. Die offene Kleidung junger christlicher Frauen steht in wachsendem Gegensatz zum Auftritt von immer mehr moslemischen Frauen, deren Gesicht bis auf die Augen verschleiert ist. "Wir verzeichnen eine Islamisierung der gesamten Gesellschaft", sagt der evangelische Pfarrer aus Bethlehem, Mitri Raheb. Mit Geld aus arabischen Ländern seien viele neue Moscheen entstanden. "Früher hatten wir nur wenige, jetzt sind es mehr als 20."

Partys in der Zeit nach Arafat?

"Wenn die Islamisten die Wahlen gewinnen, können wir dann noch Partys feiern und mit unseren Freundinnen offen auf der Strasse gehen?" fragt sich der 27jährige Schneider Khader Kando. Ein neuer Präsident der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) habe möglicherweise nicht die Stärke, um den Einfluss der Islamisten zu begrenzen. Für Pfarrer Raheb ist das bevorstehende Weihnachtsfest die Nagelprobe. Er wolle dann genau hinschauen, wie sich die neue Palästinenserführung verhält. "Dann werden wir sehen, ob jemand zum Gottesdienst in die Kirche kommt und es gut mit uns meint."

Konten in der Schweiz

Arafat als Bibelleser und Schutzherr der Christen in seinem Land. Das ist die eine Seite. Die andere ist sein Finanzgebahren. Ein grosser Teil der internationalen Hilfe gelangte auf persönliche Konten des verstorbenen Präsidenten. Nach Untersuchungen des Internationalen Währungsfonds seien allein zwischen 1995 und 2000 fast 900 Millionen Dollar aus dem Etat der Palästinensischen Autonomiebehörde verschwunden.

Uzrad Lev, einer der wichtigsten Finanzberater von Jassir Arafat, spricht von 300 Millionen Dollar, die er für seinen Chef in der Schweiz deponiert habe, den grössten Teil bei der Bank Lombard Odier. Es sei „für das palästinensische Volk“ angelegt worden. Doch entgegen ursprünglicher Vereinbarungen wurden damit auch „erstklassige Aktionen gegen den zionistischen Feind“ unterstützt – sprich: terroristische Anschläge, wie der Journalist Ronen Bergmann in Originaldokumenten entdeckte.

Auch mit deutschen Steuergeldern

"Es wäre zu leicht, zu sagen, die EU habe Terrorismus gefördert“, schränkt Armin Laschet (CDU), Mitglied des Europäischen Parlaments, etwas ein. „Aber wir haben Dokumente gefunden, laut denen Präsident Arafat persönlich Gelder an Aktivisten angewiesen hat, die in Terroranschläge verwickelt waren.“ Allein Marwan Baraghouti, Drahtzieher terroristischer Anschläge und inzwischen von einem israelischen Gericht zu fünf Mal lebenslang verurteilt, erhielt nicht weniger als 250’000 Dollar. Die Schweizer Banker spielten stillschweigend mit.

Daneben erscheint der Lebensstil von Arafats Frau Suha nur noch als Faux-pas. Die Ehefrau des toten Präsidenten soll im Pariser Luxushotel Bristol eine ganze Etage gemietet haben. Die kleinste Suite kostet hier 1200 Euro pro Tag. Statt palästinensischer Handwerker unterstützte sie französische Designer, offenbar mit mehreren 10’000 Euro pro Einkauf.

Man hat es ihm ausgerichtet

Wie geht das zusammen? Zwei Seelen in Arafats Brust? Oder doch nur eine? Ist letztlich das gut, was den Feind schwächt und die eigene Position – und Kasse – stärkt? "Wir sind nicht verantwortlich dafür, was diese Menschen mit der Botschaft tun, aber es ist eine Tatsache, dass sie die Gelegenheit hatten, das Evangelium zu hören", so Al Janssen, Ko-Autor von Bruder Andrews neuem Buch.

Artikel zum Thema:
Wie Arafat sich zum "Staatsmann" mauserte

Quellen: Livenet/ORF/ZDF/Freitagsfax/Open Doors

Datum: 24.11.2004

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