«Oikocredit»

Kirchen betreiben Kreditanstalt

Sie ist nur so gross wie eine Schweizer Regionalbank. Trotzdem arbeitet diese Kreditfirma in 30 Ländern – noch dazu in Nationen, wo es «nichts zu holen» gibt. Hinter dieser Einrichtung stehen Kirchen der unterschiedlichsten Konfessionen.
Zehntausende von indischen Frauen profitieren von einem Darlehen von Oikocredit
Americo Rogelio Chapingo gehört zu einer Genossenschaft von Schafbauern, die ihre Wolle nun zu einem besseren Preis verkaufen können.

«Oikocredit» heisst diese Einrichtung. Aber «wir sind kein Spendenwerk», sagt Karl Johannes Rechsteiner. «Bei uns kann man vielmehr sein Geld anlegen.» Es werde sogar eine Dividende ausbezahlt. Livenet sprach mit dem Geschäftsführer von Oikocredit Deutschschweiz über «seine» Organisation.

Livenet: Herr Rechsteiner, Sie sind Geschäftsführer von Oikocredit Deutschschweiz. Was machen Sie, respektive Oikocredit, eigentlich?
Karl Johannes Rechsteiner: Der Name ist Programm, quasi unser Credo: «oikos» in Oikocredit steht für Haus und findet sich in Begriffen wie Ökologie, Ökonomie oder Ökumene. Die Welt wird als Hausgemeinschaft verstanden, zu der man Sorge tragen: durch Rücksicht auf die Umwelt, durch nachhaltiges Wirtschaften und durch die globale ökumenische Verbundenheit von Menschen guten Willens. Diese drei Aspekte stehen zugleich für die zentralen Werte von Oikocredit. «Credit» als zweiter Teil des Namens bezeichnet unsere Arbeitsweise: Menschen können dank Krediten neue Hoffnung schöpfen, sogenannte «Arme» sind für Oikocredit glaub-würdige Partnerinnen und Partner.

Wer steckt denn alles hinter diesem Institut? Wer investiert bei Ihnen?
Oikocredit ist ein Finanzinstitut und auch eine Entwicklungsorganisation. Das ist auf der ganzen Welt wohl einzigartig. Wir werden getragen von über 500 Mitgliedern. Da sind zum einen Kirchen der unterschiedlichsten Konfessionen. Denn es war der Ökumenische Rat der Kirchen, der das Ganze vor dreissig Jahren initiiert hatte. Katholiken sind ebenso dabei wir Freikirchen.

Neben diesen Kirchen gibt es rund 40 Förderorganisationen als Mitglieder, wie zum Beispiel Oikocredit Deutschschweiz. In unserem Verein finden sich wiederum Einzelpersonen, Kirchgemeinden, Organisationen, Geschäfte und Firmen, die ihr Geld ethisch verantwortlich anlegen wollen. Hinzu kommt eine dritte Kategorie von Mitgliedern: Projektpartner aus dem Süden, die ihre Darlehen erfolgreich zurückbezahlt haben. Die Zentrale von Oikocredit liegt in Holland, zwei Drittel der Mitarbeitenden arbeiten im «Feld», d.h. in einem der 30 Schwerpunktländer auf allen Kontinenten.

Sie sind ja nicht ein Spendenwerk, sondern ein Kreditunternehmen. Wie funktioniert das?
Weil wir im Süden mit Krediten arbeiten, die die Leute zurückzahlen müssen, suchen wir keine Spendengelder. Bei Oikocredit kann man Geld anlegen, auf ethisch vertretbare Weise und mit einer Dividende von maximal zwei Prozent, die in den letzten fünfzehn Jahren immer ausbezahlt wurde. Die Mindestanlage beträgt 200 Euro für wenigstens drei Jahre. Wer sein Geld anders braucht, kann es zurückziehen und wird es auch zurückerhalten.

Im Süden vergeben wir Darlehen zu möglichst fairen Bedingungen. Zum einen gehen sie in Mikroprojekte, nach westlichen Dimensionen jedenfalls. Wir finanzieren damit ganze Banken, Kreditkooperativen und Spar- und Leihkassen, die dann ihrerseits Tausende von Kleinstkrediten weitergeben. Wir helfen also nicht der einzelnen Marktfrau oder Friseuse mit 50 Dollar, damit sie sich ihre Trockenhaube kaufen kann. Sondern wir unterstützen die ganze Bank, die dann all diese Kundinnen und Kunden betreut.

Zum andern vergeben wir Darlehen an genossenschaftsähnliche Unternehmen, und zwar in ganz verschiedenen Bereichen: Schafbauern in Argentinien, T-Shirt-Drucker in Simbabwe oder Familien von Kaffeebauernin in Zentralamerika und die Stiftung Max Havelaar in Holland.

Dieses Werk existiert ja schon lange. Wie hat sich in dieser Zeit Ihre Bilanz entwickelt?
Ja, unsere Einrichtung gibt es seit 30 Jahren. Am Anfang waren wir relativ klein. Oikocredit ist zwar von den Kirchen gegründet worden, aber die haben dann nur sehr zurückhaltend investiert. Es sind nicht die gleichen Kirchenmenschen, die Visionen predigen und gleich selber das Geld dazu verwalten ... Für viele Kirchenkassiere war das Risiko zu gross und versprach zu wenig Ertrag. Das hat sich zwar etwas geändert. Aber vor allem sind Einzelpersonen und Firmen in die Lücke gesprungen. Seit 15 Jahren verdoppelt sich die Bilanz alle fünf Jahre. Zur Zeit stehen wir bei rund 300 Millionen Schweizer Franken. In absoluten Zahlen sind wir damit aber immer noch ein kleiner Fisch und nur so gross wie eine Schweizer Regionalbank. Trotzdem sind wir in 30 Ländern tätig.

Wie schaut das in der Praxis aus, «auf dem Feld»?
Ich erinnere mich gut an einen Bankbesuch in Ghana. Die Verantwortlichen zeigten mir ihre Jahresrechnung. Über 2500 Genossenschafterinnen und Genossenschafter hätten sich dank einem Kredit eine eigene Existenz aufbauen können – und hinter jedem Kredit steckt eine ganze Familie ... Die Bilanzsumme der Bank belief sich dabei auf weniger als eine Million Schweizer Franken. Soviel kann hierzulande auf einer einzelnen Gewerbeliegenschaft als Hypothek liegen. Es lässt sich also auch mit «kleinen» Summen viel bewegen.

Karl Johannes Rechsteiner ist Geschäftsführer von Oikocredit Deutschschweiz und war während sechs Jahren Vizepräsident von Oikocredit International.

Weitere Infos unter www.oikocredit.org

Lesen Sie morgen die 2. Folge: «Kirche vertreibt Kredithaie»

Datum: 17.11.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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