Interview

Materialismus in unserer Gesellschaft

Wie kann man dem Materialismus widerstehen? Jesus Christus äusserte sich sehr scharf über die Habsucht. Aber trotz dieser Warnung sind auch Christen sehr empfänglich für den Reiz eines materialistischen Lebensstiles, klagt der Psychologe Dr. Ray Guarendi.
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Ray Guarendi
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Guarendi, Autor, Rundfunkmoderator und Vater von 10 Kindern, äussert sich darüber, wie sehr die Leute dem Konsum verfallen sind und welchen Schaden die Habsucht den einzelnen Menschen zufügen kann.

Zenit: Die Menschen in einer freien Gesellschaft sind überflutet von Wahlmöglichkeiten bei praktisch fast allen Aspekten des Lebens: Wohnung, Beruf, äusserer Erscheinung, Beziehungen, Besitz. Was beeinflusst die Menschen an meisten – ohne dass es ihnen bewusst ist?
Ray Guarendi: Das Konsumverhalten scheint mir an erster Stelle zu stehen. Wir sind einfach so tief in ihr drin, dass wir es überhaupt nicht mehr merken. Unser Verlangen nach Besitz verdrängt alles. Wir werden von ihm abgelenkt, in Besitz genommen, angelockt und verführt. Selbst Christen finden dadurch nicht einmal mehr die Zeit über Gott nachzudenken. Deswegen hat wohl Jesus im Neuen Testament viel von der Habsucht gesprochen.

In unserer Kultur gilt Konsument zu sein als das gute Leben – aber es lenkt uns von dem eine Ewigkeit lang währenden guten Leben ab. Adam und Eva hatten alles, bis auf einen Baum. Und natürlich, genau den wollten sie am meisten.

Wenn der Materialismus so zunimmt, welches sind die Auswirkungen dieses Phänomens auf Ehen, Familien und Kinder, die Sieals Psychotherapeut erfahren?
Das Erste, was ich als Therapeut mit einem Kind mache, das ein Verhaltensproblem hat: Ich bitte die Eltern, sich neu einen Überblick zu verschaffen, was für Spielzeug und was für Freizeitbeschäftigungen es hat und was es alles darf. Die Kinder schwimmen in Spielzeug und Freizeitbeschäftigungen, und das wirkt sich auf ihr Verhalten aus.

Einer der drei Hauptstressfaktoren in den Ehen und Familien sind die Finanzen. Unsere Unzufriedenheit über unserer Finanzen, unsere Wohnungen und unsere Möglichkeiten, Dinge zu kaufen, ist himmelhoch.

Und weil unser Verlangen nach Besitz so gross ist, müssen wir arbeiten. Das bedeutet, dass Papa und manchmal Mama den ganzen Tag von zu Hause fort sind, damit sie und ihre Kinder alles haben können, was sie wollen. Dies führt zu dem, was ich das “Kompensationssystem arbeitender Eltern” nenne.

Die Mütter wollen oft gar nicht arbeiten, sie denken aber, dass sie arbeiten müssen, wegen der in der Familie herrschenden Gewohnheit, Geld auszugeben. Sie sind müde, wenn sie nach Hause kommen, sie fühlen sich schuldig, weil sie nicht genug Zeit mit ihren Kindern verbringen, und sie scheuen sich, diese kurze Zeit damit zu verbringen, ihre Kinder zu bestrafen, wenn sie sich schlecht benehmen.

Das beeinträchtigt ihre Erziehungsvorsätze und hält sie davon ab, wirklich Eltern zu sein. Wenn Eltern lange arbeiten oder Überstunden machen, können sie ihre Kinder nicht beaufsichtigen; ihre Kinder sind was die Erziehung angeht, auf sich selbst gestellt.

Und die Männer?
Die Ehemänner gehen ihren Hobbys häufig mehr nach als Ehefrauen es tun, weil ihnen gesagt wird, sie müssten sie unbedingt haben, um ein rechter Mann zu sein und das Leben zu geniessen. Aus Oberflächlichkeit wollen Männer die neuesten, besten Sachen haben, und manchmal schliesst das Ehefrauen ein. Sie denken, „meine Frau wird älter; es gibt bestimmt noch ein besseres, neueres Modell.“

Wenn man daran gewöhnt wird, Sachen haben zu wollen, machen die Ansprüche nicht bei unbelebten Objekten Halt. Man will andere Menschen haben, andere Beziehungen, die einem als etwas Besseres erscheinen als die jetzigen. Wenn man mit dem unzufrieden ist, was man hat, hört es nicht bei Konsumgütern auf. Eine solche Haltung führt oft zu Affären und zu einem allgemein von Unzufriedenheit geprägten Verhaltensmuster.

Unzufriedenheit hängt nicht mit dem zusammen, was wir haben sondern mit dem Abstand zwischen dem, was wir haben und dem, was wir haben wollen.

Wir leben in einer Kultur, in der unsere Aufmerksamkeitsspanne kurz ist. Wir definieren das Gutsein des Lebens nach seiner Veränderbarkeit, seiner Fortschrittlichkeit und Wandelbarkeit. Sich auf etwas auf Lebenszeit festzulegen, wie zum Beispiel auf die Ehe, kann einem psychologisch so vorkommen, als müsse man dabei ersticken. Wir können uns nicht auf ein Ding festlegen. Auf Tradition, Hingabe und Beständigkeit wird herabgesehen. Leider ist es so, dass wir genau die Dinge als gut würdigen, die unsere Kultur zerstören können.

Was für Fragen können sich die Menschen und vor allem Eltern stellen, um festzustellen, wie weit er bei ihnen eingedrungen ist?
Ich will einige Dinge nennen, die man sich fragen kann: Wie viel Spielraum habe ich in meinem Leben? Habe ich freie Zeit? Habe ich Geld übrig? Energie übrig? Bin ich zu beschäftigt, um irgendetwas für irgendjemanden zu tun? Überprüfen Sie Ihre Beschäftigungen und schauen Sie, wie viel davon nötig ist.

Sie müssen schauen, was Ihre Zeit in Anspruch nimmt und ob Sie es rechtfertigen können. Auch wenn Sie sich Dinge leisten können, müssen Sie sie nicht haben. Überprüfen Sie, wie viel Sorgfalt Sie auf Besitz verwenden, besonders auf Ihre Steckenpferde und grossen Besitztümer. Fragen Sie sich: Vernachlässige ich andere, um mich stattdessen um all meine Sachen zu kümmern? Welche Zeit wende ich auf für meine Kinder und meine Familie?

Falls Sie ein grosses Haus besitzen: auch wenn Sie es bezahlen können, es zu erhalten frisst eine Menge Ihrer Zeit. Gott wird nicht fragen, wie gross Ihr Haus war. Er wird Sie fragen, wie viel Zeit Sie mit Ihrer Familie verbracht haben.

Wie viel Sachen haben meine Kinder? Kinder brauchen ungefähr fünf Spielsachen, wenn’s hochkommt. Sie können zeichnen, lesen und Dinge erfinden. Ich benutze als Faustregel: 90 Prozent von dem, was Kinder haben, sollten Sie weg geben. Es erspart Ihnen Enttäuschungen mit den Kindern, und diese sind dankbarer und benehmen sich besser.

Beeinträchtigt mein Besitz meine Fähigkeit, zu helfen und Beziehungen zu Menschen zu haben? Je mehr Sie besitzen, desto mehr werden Sie davon in Besitz genommen.

Wie kann man praktisch darauf reagieren?
Ganz einfach: Geben sie die Sachen weg, beziehungsweise kaufen Sie sie nicht. Gehen Sie durch Ihr Haus; zählen Sie alle Dinge, die da herumstehen, liegen oder hängen. Sie dienen keinem anderen Zweck als unser Leben zu verschönern.

Überprüfen Sie, wie Sie Ihr Geld ausgeben. Wenn jemand leidet und Ihre Hilfe braucht, geben Sie nur fünf Franken, um ihm zu helfen? Warum geben Sie ihm nicht mehr? Der Konsumismus ist eine Fortsetzung des in sich selbst Aufgehens – so besteht das Leben darin, etwas zu bekommen und nicht zu geben. Wir müssen auf uns, unsere Häuser und unseren Lebensstil mit einem objektiven Blick schauen. Schauen Sie darauf, was Ihnen hilft, in den Himmel zu kommen und was Sie davon abhält, mit Gott zu gehen.

Datum: 13.09.2004
Quelle: Zenit

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