Wie kann man die Trennung zwischen Wirtschaft und Glück überwinden?

Luigino Bruni
Bicocca-Universität in Mailand

Eine Wirtschaftstheorie über das Glück ist möglich. Dies versuchen derzeit einige Wirtschafter zu erreichen, unter ihnen Luigino Bruni, Vertreter der so genannten „Wirtschaft in Gemeinschaft“.

Luigino Bruni ist Forscher auf dem Gebiet der politischen Ökonomie an der Bicocca-Universität von Mailand. Er beschäftigt sich mit dem Gedankengut der Wirtschaft und ihrer ethischen Grundlage. Er ist Autor des jüngst erschienenen Buches: „Die Wirtschaft, das Glück und die Anderen. Eine Untersuchung über Güter und Wohlbefinden“, erschienen im Verlag Città Nuova.

Zenit: Was ist die Wirtschaft in Gemeinschaft?
Luigino Bruni:
Die Wirtschaft in Gemeinschaft ist ein Projekt, das 800 Firmen aus zahlreichen Ländern weltweit einschliesst mit dem Ansatz, die wirtschaftliche Aktivität als Ausdruck der Gemeinschaft zu leben.

Im Besonderen heisst das, dass die Firmen, die bei diesem Projekt mitmachen, sich dazu verpflichten, in verschiedenen Aspekten des Firmenlebens – zum Beispiel in den internen und externen Beziehungen und im Steuerwesen - einen gerechten Lebensstil in Gemeinschaft zu leben.

Der Nutzen daraus ist Folgender: Reinvestition in die Entwicklung der Firma, die Verbreitung der Kultur des Gebens und der Liebe und Hilfe für Menschen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Die Wirtschaft in Gemeinschaft wurde 1991 in Brasilien von Chiara Lubich gestartet.

Kann man diese Wirtschaftsform auch in einer Familie oder im eigenen Bereich anwenden, oder ist sie nur für die Gemeinschaft?
Im wörtlichen Sinn ist sie an Firmen gerichtet, nicht an Individuen oder Familien. Jedoch ist ihre Wirtschaftskultur und -konzeption universell, weil sie einen Versuch darstellt, die Logik des Evangeliums in der Führung der wirtschaftlichen Güter anzuwenden. Damit kann auch eine Familie von der Kultur der Gemeinschaft in seiner Verwirklichung durch die Güter und den wirtschaftlichen Reichtum Anregungen mitnehmen.

Wenn wir das Familienleben aus der Nähe betrachten, bemerken wir, dass die Wirtschaft in Gemeinschaft für sie sehr vorteilhaft ist, weil sie die eigenen Ressourcen für dieselben Ziele der Ökonomie der Gemeinschaft nutzt: durch die Garantie der Lebenserhaltung und die typischen Investitionen einer Familie (Haus, Gewand, Ernährung, etc.), bestimmen sich die Ressourcen nach der kulturellen Bildung (man denke nur an die Ausgaben für Bildung) und jenen Personen, die kein Einkommen haben: Kinder, Jugendliche und Menschen, die sich in einer Notsituation befinden (Kranke).

Die Wirtschaft in Gemeinschaft basiert auf der Kultur des Gebens, des Schenkens und der Gegenseitigkeit. Die Familie, wenn sie funktioniert, ist das natürliche Abbild dieser Prinzipien.

In vielen Ländern hat sich die Kaufkraft deutlich erhöht, aber nicht das Glücklich-Sein…

Das grundsätzliche Paradoxon ist, dass die Vermehrung des individuellen Gewinnes nicht zu einer Erhöhung des Wohlbefindens führt; viel schlimmer: Einige Studien scheinen eine umgekehrte Beziehung zwischen Reichtum und Glück zu zeigen, und das ist ein Paradoxon.

Aber das tiefste Paradoxon ist, dass die Güter, die nicht mit anderen geteilt werden, nur äusserst selten zu Wohlbefinden führen. Und die heutige Gesellschaft ist völlig auf den Konsum des Individuums ausgerichtet, ohne die anderen und gegen die anderen. Damit kann man Güter nicht in Wohlbefinden wandeln. Wir fallen in das Syndrom des König Midas: Wir sterben an Hunger nach Gefühl und Glück, obwohl wir von Gold umgeben sind.

Ist in der Wirtschaft eine Theorie des Glücks möglich?
Es sind viele, die versuchen, einen Beitrag in diese Richtung zu leisten. Mich interessieren diese Paradoxa über Reichtum sehr, der, anstatt dass es uns besser geht, uns in die Falle des Unglücklich-Seins geraten lässt, aus der wir nicht herauskommen, weil uns nicht bewusst ist, dass wir drinnen sind. Das typische Beispiel ist die Arbeit: Viele von uns arbeiten sehr viel, aber wir halten keinen Moment inne, um uns dessen bewusst zu werden.

Die Theorie des Glücks in der Wirtschaft möchte die Schlafenden in der Konsumwelt wecken. Wenn dies gelingt, ist das schon viel wert.

Wie der Nobelpreisträger A. Sen erklärt, „sind wir unglücklich und unfrei, aber wir sind uns dessen nicht bewusst“.

Das heisst, die Wirtschaft ist wichtig, aber das Glück ist es noch mehr. Wie können sich diese beiden Elemente verbinden?
Sie ergänzen sich auf eine sehr einfache Weise. Auf der einen Seite kann die Zunahme an Reichtum viel Unglücklich-Sein mitbringen. Auf der anderen Seite ist es sehr schwer, ein gutes Leben zu leben, wenn man nicht das Notwendigste zum Leben hat.

Aus diesem Grund war der erste Name, den man in Neapel der Wirtschaftswissenschaft gab: „Wissenschaft des öffentlichen Glücklich-Seins“.

Wenn das oberste Ziel der Wirtschaft das Wohlbefinden ist (und nicht das Ansammeln von Gütern), wird es nicht überraschen, dass ein wirtschaftliches Projekt, das diese Wahrheit dank der Spiritualität der Gemeinschaft aus diesen Gütern nicht einen Endzweck sondern ein Mittel für ein gutes und glückliches Leben macht. Hier sehe ich die Möglichkeit, Wirtschaft und Glücklich-Sein miteinander zu verbinden.

Einmal, für kurze Zeit, funktioniert diese Spiritualität der Gemeinschaft: die ersten Christen teilten alles miteinander.

Datum: 31.07.2004
Quelle: Zenit

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