Ein Kommentar zur Stellungnahme „Wirtschaftsethik” der Evangelischen Allianz

Thomas Guidici

Pünktlich auf das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos hin hat die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA) „Postulate für eine neue Wirtschaft“ ausgearbeitet. Ein Schritt zur „Reform der Wirtschaft“ oder ein Papiertiger? Ein Kommentar des Ökonomen und Journalisten Stephan Lehmann.

Die wirtschaftlichen Nöte begannen mit Adams verfluchtem Acker. Seit dann sind Länder, Handelsstädte, und Industrien aufgestiegen und gefallen. Und seit dann ist die Menschheit auf der Suche nach Wirtschaftsrezepten.

Ein neues präsentiert jetzt auch die SEA. Ihre Ziele sind ambitiös. Sie will dazu anregen, dass die Wirtschaft verstanden, neu gedacht und reformiert wird. Ausgeheckt hat ihr Konzept der Ökonom Thomas Giudici. Seine Diagnose: Unternehmen betrachteten die Mitarbeiter oft nur als Ressource, weswegen diese ihre Würde verlieren. Die Marktwirtschaft fördere das Recht des Stärkeren.

Diese Probleme sind laut Giudici „systemimmanent“. Die Wurzel des Übels ortet er in der Ökonomie – genauer gesagt in der These des Vaters der Disziplin, Adam Smith (1723-1790), wonach das Gemeinwohl profitiert, wenn jeder seinen eigenen Nutzen anstrebt. Auch am „homo oeconomicus“, dem ökonomischen Modellmenschen, der seinen Eigennutzen auf mathematischen Nutzenfunktionen maximiert, lässt Giudici kein gutes Haar. Sein Verdikt: Die Wirtschaftswissenschaften predigen die Maximierung des Gewinns, weil ihnen ein mechanistisches Weltbild zugrunde liegt.

Dem stellt Giudici die „Vision einer lebensdienlichen Wirtschaft“ nach biblischen Massstäben gegenüber. Diese geht von einer Schöpfung aus, in welcher der zentrale Wert Liebe heisst. Giudici schlägt daher vor, die Rechenmaschine „homo oeconomicus“ mit dem Menschen, der die „Krönung der Schöpfung“, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes, sei, auszutauschen. Er solle die Welt als ein „fürsorglicher Verwalter“ gestalten und den Gewinn optimieren, nicht maximieren.

Daraus leitet Giudici Vorschläge für eine „neue Wirtschaft“ auf den Ebenen Staat, Unternehmen und Führungskräfte ab. So fordert er die „vollkommene Konkurrenz“, welche die „effizienteste Wirtschaftsordnung“ sei. Überdies erinnert er an Ideen wie eine verbesserte internationale soziale und ökologische Regulierung, die Sicherstellung der materiellen Existenz aller Menschen, die Internalisierung externer Kosten sowie die Förderung der Mitarbeiter mitsamt deren ehrenamtlichen Tätigkeiten und vieles mehr.

Giudici trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er resümiert, dass das egoistische Verhalten nicht nützlich, sondern schädlich ist. Andererseits übersieht er, dass selbst die Bibel den gefallenen Menschen als eine Art „homo oeconomicus“ beschreibt, der „einen selbstsüchtigen Willen“ hat und alles unternimmt, um „die eigenen Wünsche zu befriedigen“ (Römer 8, 1 bis 13). Wo es darum geht, Kontrollmechanismen in Systemen einzubauen, fährt man wohl mit diesem Menschenbild besser als mit dem eines Gutmenschen. Ein Wandel hin zur Liebe ist gemäss der Bibel nur durch die Wiedergeburt möglich. Diese Veränderung brauchen Konsumenten wie Produzenten.

Zumal sich die SEA-Postulate an der Bibel orientieren wollen, fällt auf, dass diese kaum je zitiert wird. Dabei finden sich in fast jedem Kapitel der Heiligen Schrift Hinweise von wirtschaftlicher Relevanz. Immer wieder dringt dort durch, dass Gott diejenigen segnet, die ihm gehorchen – und das Gegenteil: Die Propheten scheuten sich nicht, dem Volk wirtschaftliches Unheil anzukünden, wenn es sich von Gott entfernt hatte.

Wie ein innerer Widerspruch mutet schliesslich Giudicis Plädoyer für die „vollkommene Konkurrenz“ an. Hierbei handelt es sich ausgerechnet um eines der Modelle, das nur in der Theorie existiert und dessen Annahmen er bemängelt. Überhaupt unterscheiden sich seine Verbesserungsvorschläge nur um Nuancen von kursierenden Konzepten und der vereinzelt bereits gelebten Realität. Aber: Sie sind verständlich formuliert. Vielleicht verhindert gerade dies, dass das Papier nicht zum „Papiertiger“ verkommt.

Lesetipp: „Das göttliche Wirtschaftsmodell“, verfasst vom britischen Ökonomen Paul Miller aufgrund der Prinzipien aus Leviticus Kapitel 25, zu beziehen in deutscher Übersetzung beim VBG-Institut. ( institut@bibelgruppen.ch )

Website: http://www.each.ch/sea/stellungnahmen/index.php

Datum: 02.02.2004
Autor: Stephan Lehmann
Quelle: idea Schweiz

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