„Gespür für soziale Verantwortung der Unternehmen muss an Boden gewinnen“

Wolfgang Thierse prangert Millionengehälter an.
John Stapleford

Ein Thema von wachsender Bedeutung im Bereich „Ethik im Geschäftsleben“ ist das Konzept der „sozialen Verantwortung der Unternehmen“. Sowohl internationale Organisationen als auch die öffentliche Meinung fordern zunehmend, dass private Unternehmen sich in stärkerem Masse verpflichten, das Wohl der Gemeinschaften zu fördern, in denen sie tätig sind.

Als "obszönen Vorgang" in den aktuellen Krisenzeiten hat der deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die jüngsten Erhöhungen der Millionengehälter von Spitzenmanagern bezeichnet. In diesen Zeiten verlangten die Bosse, dass Arbeitnehmer flexibler sein und in wirtschaftlichen Krisenzeiten auf Lohnzuwachs verzichten müssten.

"Zugleich aber erhöhen sich die Vorstände erneut ihre ohnehin gigantischen Gehälter", sagte der SPD-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Der Parlamentspräsident bezog sich dabei auf Zahlen der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, wonach die Vorstände der DAX-Unternehmen im Durchschnitt rund 1,25 Millionen Euro in bar an Jahresgehalt verdienten und damit etwa 7,4 Prozent mehr als im Jahr davor.

"Reformbereitschaft und Verzichtkultur" müsse jedoch in den oberen Etagen beginnen, wenn das Land schnell gesunden solle. "Die wirtschaftliche Elite hat noch nicht begriffen, dass sie nur dann wirkliche Elite ist, wenn sie selbst so handelt wie sie es von anderen verlangt", sagte Thierse.

Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder plädiere für einen "strikten Zusammenhang zwischen der Bezahlung eines Vorstands und dem Erfolg eines Unternehmens. Entscheidende Kriterien seien dabei nicht nur der Gewinn, sondern auch die Frage, wie das Unternehmen mit seinen Beschäftigten umgehe. "Wer erfolgreich ist, soll ordentlich Geld verdienen", sagte der Kanzler. "Aber wenn das nicht der Fall ist, müssen die Gehälter dort auch kräftig sinken."

Globalpakt zum Wohl der Gemeinschaft

Auf globaler Ebene sind auch andere Initiativen zur Wirtschaftsethik im Gang. Die Vereinten Nationen fordern Unternehmer dazu auf, sich bei ihrer Tätigkeit an neun Prinzipien zu halten. Diese sind in drei Abschnitte unterteilt:

Menschenrechte

1. Unternehmen sollten innerhalb ihres Einflussbereiches den Schutz international verkündeter Menschenrechte unterstützen und selbst achten.
2. Sie sollten sich vergewissern, dass sie nicht an der Verletzung von Menschenrechten mitwirken.

Arbeitsnormen

3. Unternehmen sollten die Vereinigungsfreiheit und die wirksame Anerkennung des Rechts auf Tarifverhandlungen unterstützen.
4. Eliminierung aller Formen von aufgezwungenen, unzumutbaren Tätigkeiten.
5. Tatsächliche Abschaffung von Kinderarbeit.
6. Beseitigung der Diskriminierung hinsichtlich Beschäftigung und Berufstätigkeit.

Umwelt

7. Unternehmen sollten eine vorausschauende Einstellung zum Umweltschutz unterstützen.
8. Sie sollten Initiativen ergreifen, um die Verantwortung für die Umwelt zu fördern.
9. Sie sollten die Entwicklung und Verbreitung von umweltfreundlichen Technologien unterstützen.

Der Globalpakt steht und fällt mit der freiwilligen Beachtung seiner Prinzipien; seine Organisationsstruktur ist die eines Netzes, das aus einer Anzahl von UN-Gremien besteht. Regierungen, Wirtschaftsunternehmen, Arbeitnehmervereinigungen und auch Nicht-Regierungsorganisationen sind daran beteiligt. Zu den jüngsten Aktivitäten, die vom Globalpakt organisiert wurden, zählen Konferenzen in Spanien und Deutschland, an denen viele Vertreter von Unternehmen, Regierungen und der Zivilgesellschaft teilnahmen.

Mehr als nur PR für Unternehmen

Ein Artikel von Peter Utting in der ersten Nummer der Zeitschrift “UN-Chronik” dieses Jahres analysierte den bisherigen Erfolg dieser Initiative. Utting, leitender Forschungskoordinator am „UN-Forschungsinstitut für gesellschaftliche Entwicklung“ (UNRISD), stellte fest, dass die Befürworter diese Initiative “als einen innovativen und pragmatischen Schritt,” betrachten, “der die Unternehmenskultur durch die Übermittlung neuer Werte reformieren und Ressourcen von Seiten der Grossindustrie für eine soziale, nachhaltige Entwicklung mobilisieren kann.” Bei dieser Sicht haben Zusammenarbeit und freiwillige Beachtung der Prinzipien Vorrang gegenüber einem schwerfälligeren Regulierungsverfahren.

Kritiker befürchten jedoch, dass “ das Vorgehen mehr dazu dienen könnte, den Ruf der Grossindustrie zu verbessern als der Umwelt und bedürftigen Menschen zu helfen. Nicht nur hätten die Unternehmen freie Hand, sich aus den Prinzipien die auszusuchen, auf die sie sich konzentrieren wollen, sondern es gebe auch nur wenig Kontrolle darüber, inwieweit die Unternehmen sich überhaupt an die Prinzipien halten.

Abschliessend meint Utting, dass der Globalpakt trotz seiner Schwächen und begrenzten Erfolgen bislang ein nützliches Forum bietet, auf dem Fragen über soziale Gerechtigkeit und Entwicklung angesprochen werden können.

UN-Generalsekretär Kofi Annan sieht dies auch so. In einer Rede erklärte er: “Der Pakt ist kein Verhaltenskodex. Er ist lediglich eine Plattform, eine Arena, ein Rahmen für Zusammenarbeit und gegenseitiges Lernen. Er sucht Lösungen für gesellschaftliche Probleme und bietet zugleich Gewähr dafür, dass die Märkte offen bleiben"

Komplexe Fragen

Die Anwendung dieser Prinzipien in einzelnen Unternehmen ist viel komplexer. Dies zeigt ein Anfang dieses Jahres veröffentlichtes Buch. Daniel Litvin untersucht in “Empires of Profit (Weltreiche des Profits): Kommerz, Eroberung und verantwortungsbewusstes soziales Engagement von Unternehmen", eine Anzahl von Fallstudien, die von Beispielen aus Indien im 19. Jahrhundert bis zu solchen der heutigen Zeit reichen.

Litvin, ein Berater und Schriftsteller über Probleme der Wirtschaftswissenschaften, zeigt auf, wie die feindselige Reaktion auf einige Aspekte der Globalisierung die Unternehmer gezwungen hat, auf Kritiken ihrer Geschäftspraktiken zu antworten. Die unter der Überschrift ‚soziale Verantwortung von Unternehmen‘ formulierte Antwort umfasst einen weiten Bereich von Aktivitäten, die von der Veröffentlichung von Unternehmensregeln und der Praxis der Rechnungsprüfung von Unternehmen bis zu ‚Public Relations-Kampagnen‘ (Kampagnen zur Steigerung des guten Rufs eines Unternehmens) reichen.

Er stellt fest, dass eine Schwierigkeit auf dem Gebiet sozialer Verantwortung von Unternehmen darin besteht, dass die mitwirkenden Faktoren zu den verschiedensten Bereichen gehören. Menschenrechte, Arbeitnehmerinteressen und die Umwelt sind nur einige der Gebiete, die zu Konflikten zwischen Unternehmen, der örtlichen Bevölkerung und den Regierungen führen. Ethnische Konflikte in den Zonen, in denen Firmen tätig sind; Konflikte über die Verteilung wirtschaftlicher Hilfsmittel; Uneinigkeit mit der jeweiligen Regierung -- all dies kann Proteste gegen die Arbeitsweise eines Unternehmens hervorrufen.

Gut gemeint, aber...

Ebenso können auch scheinbar positive Schritte zur Umsetzung ethischer Prinzipien ihre Nachteile haben. Als Beispiel führt Litvin Proteste von US-Verbraucher-Aktivisten an, die Fabrikarbeiter in Bangladesch dazu veranlassten, der Beschäftigung von etwa 50.000 Kinderarbeitern unter 14 Jahren Einhalt zu gebieten. Auf Grund der Armut ihrer Familien waren diese Kinder danach gezwungen, andere Arbeit unter viel härteren Bedingungen zu suchen.

Litvin zieht das Resümee: Seine Falluntersuchungen zeigen ein zweifaches Problem. Erstens sind in vielen Fällen die sozialen Probleme, mit denen die Unternehmen konfrontiert waren, zu komplex, als dass sie mit ihnen fertig werden konnten. Zweitens haben, so Litvin wörtlich, “ sich die Unternehmensriesen als eine besonders schwerfällige und ungeschickte Brut erwiesen."

Zur Verbesserung der Verhältnisse, empfiehlt er einerseits den Unternehmen eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Komplexität der zu Grunde liegenden Situationen, mit denen Unternehmen zu tun haben; und den Regierungen andrerseits, sowohl den westlichen als auch den Gastgeberregierungen, dem sozialen und gesellschaftlichen Kontext, in dem Investitionsentscheidungen getroffen werden sollen, mehr Bedeutung beizumessen.

Profite oder Menschen?

Eine andere Perspektive zu dem Problem zeigt John Stapleford auf, Professor für Wirtschaftsentwicklung am Eastern College in Pennsylvania. In seinem Buch aus dem Jahr 2002, “Bullen, Bären und goldene Kälber bei der Anwendung christlicher Ethik in der Ökonomie", widmet Stapleford ein Kapitel der sozialen Verantwortung.

Ein erheblicher Teil der Wirtschaftstheorie, stellt er fest, geht davon aus, dass die Profitmaximierung das Hauptziel im Geschäftsleben sei: Wenn ein Unternehmen langfristig keinen Profit mache, werde es seine Tore schliessen. Ausserdem leisteten Unternehmen schon dadurch einen substanziellen Beitrag zum Gemeinwohl, dass sie ihre Güter erzeugen und Dienste leisten und Arbeitsplätze schaffen.

Aber, so fährt er fort, wir leben in einer gefallenen Welt, in der oft Egoismus, Habgier und Ungerechtigkeit auftreten. Ausserdem sind nicht alle Methoden, die angewendet werden, um Profite zu maximieren, ethisch annehmbar. Selbst am Buchstaben des Gesetzes festzuhalten ist manchmal nicht genug, da einige Gesetze ungerechterweise soziale Ungerechtigkeiten billigen.

Den Glauben bei der Arbeit praktizieren

Stapleford gibt eine Reihe von Empfehlungen. Er befürwortet ein System des freien Marktes, weil die Existenz von Konkurrenten einen starken Einfluss darauf hat, dass Unternehmen ehrlich bleiben. Er ermutigt auch die Christen, ihren Glauben bei ihrer Arbeit zu praktizieren, besonders wenn sie Managemententscheidungen beeinflussen können. Er unterstützt ferner die Durchsetzung von Regierungsvorschriften, die tatsächlich ihre erwünschte Wirkung erreichen.

In den meisten Fällen hebt Stapleford die Verantwortung des Einzelnen bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen hervor. Ob Angestellter, Manager oder Kunde, jeder von uns muss bereit sein, auf unethische Handlungen und Entscheidungen in Geschäftsangelegenheiten zu reagieren, sagt er. Dies bedeutet, dass wir sowohl gut informiert sein als auch unseren christlichen Glauben aktiv leben müssen.

Gewinne sind notwendig. “Sie ermöglichen Investitionen, die die Zukunft des Unternehmens und die Arbeitsplätze sichern, jedoch ist das wirtschaftliche Leben nicht allein dazu da, die Produktionsgüter zu vervielfachen und den Gewinn oder die Macht zu steigern; es soll in erster Linie im Dienst der Menschen stehen: des ganzen Menschen und der gesamten menschlichen Gemeinschaft.” Die wirtschaftliche Tätigkeit sei - wenngleich gemäss ihren eigenen Methoden - im Rahmen der sittlichen Ordnung und der sozialen Gerechtigkeit so auszuüben, dass sie dem entspricht, was Gott mit dem Menschen vorhabe. Grössere Aufmerksamkeit der Unternehmen für soziale Verpflichtungen sei ein Teil der Erfüllung dieses Planes.

Quellen: Zenit/Livenet

Datum: 23.12.2003

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